Heft 
(1878) 20
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und weitsichtiger als die andern, und ihr wesentlich ist es zu verdanken, daß das freundschaftliche Verhältniß zu Rußland festgehalten, daß später während des Krimkrieges das Hinein­treiben Preußens in den Krieg gegen Rußland, selbst gegen sehr mächtige Einflüsse, verhindert, und es dadurch ermög­licht wurde, Preußens Streitsache mit Oesterreich und Frank­reich ungestört durch Rußland zum Austrag zu bringen. Nicht wenige von denen, welche damals schon den Gedanken einer Allianz mit Rußland als einenVatermord" bezeichnten, haben später ihren Jrrthum erkannt und denen, aufrichtig gedankt, durch welche sie vor einem großen Fehler bewahrt wurden. Die Revanche, welche Preußen an Rußland genommen, ist das geeinigte Deutschland, welches heute demnordischen Koloß" als eine Macht gegenüber steht, in Bezug auf welche das rus­sische Kabinet gewiß niemals wieder die Versuchung fühlen wird ü In Warschau und Olmütz aufzutreten.

Noch größer und bedeutender aber war die Veränderung, welche sich inzwischen in Frankreich vollzogen. Dort war an die Stelle der bisherigen theils furchtsamen, theils unfähigen Machthaber in der Person des Präsidenten Louis Napoleon ein Mann getreten, der es verstand, nicht allein die bisherigen

Machthaber Einen durch den Anderen abzuthun, sondern, ge­stützt auf die Bauern, Soldaten und Priester im geraden Wider­spiel mit der Politik Louis Philipps, dessen Basis ausschließ­lich der bürgerliche Mittelstand gewesen, dieNapoleonischen Ideen" an die Stelle der bisherigen liberalen Doktrin zu setzen und ungefähr in denselben Etappen wie sein Oheim den fran­zösischen Kaiserthron wieder aufzurichten. Daß es ihm dabei auch gelang, zwei scheinbar unversöhnliche Elemente, nämlich die nach Ruhe und Ordnung, und im Stillen auch nach der monarchischen Staatsform schmachtende Bourgeoisie und daneben auch die Pariser Arbeiter, welche in ihm einen Rächer an Cavaignac zu finden hofften, gleichmäßig an seine Person zu knüpfen, war das Ergebniß seiner überlegenen Einsicht und seines entschlossenen Charakters.

Mir ist es zufällig vergönnt gewesen, die letzten Sitzun­gen der französischen Nationalversammlung vor dem Staats­streich mitzumachen und alle damaligen Faiseurs von An­gesicht zu Angesicht kennen zu lernen, und ich habe von dort die Ueberzengung mit heimgenommen, daß in dem neuen Frankreich eine Macht aufsteige, welche die Gestalt Europas verändern werde.

Gesichtstäuschungen und Gespensiergkauöe.

Von G. Hattbrrg.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.

Das Sprichwort: was man sieht, glaubt das Herz, hat keine absolute Giltigkeit. Denn zwischen sehen und richtig sehen ist ein großer Unterschied. Ganz abgesehen davon, daß durch fehlerhafte Bildung des Auges oder durch krankhafte Zustände desselben der Eindruck, den ein Beschauer von einem Gegen­stände gewinnt, ein ganz anderer ist als der, den ein gesundes Auge empfängt, so hängt die Richtigkeit der durch das gesunde Auge gewonnenen Wahrnehmungen hauptsächlich von der Uebung des Auges im Betrachten der uns umgebenden Gegenstände, also von der richtigen Beobachtung und von der Ueberwachung der anfgenommenen Gesichtseindrücke durch unfern Verstand ab.

Deshalb können selbst richtige Wahrnehmungen, von denen wir uns keine oder nur mangelhafte Erklärungsgründe geben können, die Quelle ganz falscher Vorstellungen, die Ursache ganz verkehrter Schlußfolgerungen, der Samen des ärgsten Aber­glaubens sein.

Gerade das Licht, das uns die Außendinge erst erkennen und unterscheiden läßt, spielt unserer Phantasie, namentlich durch zurückgespiegeltes reflektirtes Licht die wunderlichsten Streiche. Ich übergehe die Spielereien aus demhöheren Gebiete der Magie und Optik," die Geister-, Todten- und Gespenstererschei­nungen, die durch Spiegelreflexe erzeugt werden, und halte mich nur an solche Erscheinungen, die aus dem Leben gegriffen sind, eine Reihe falscher Vorstellungen im Volksglauben erzeugten und zum krassesten Aber- und Gespensterglauben des Volkes führten.

Es gibt wohl noch viele alte Häuser, einzeln stehende Gartenhäuschen, Todtengrüfte, Kapellen und Kirchen, die ver­rufen sind, weil einzelne Fenster derselben, obschon jene un­bewohnt oder von Menschen nicht besucht sind, in der Abend- und Nachtzeit scheinbar erleuchtet sind; in denen, wie das Volk sich ausdrückt, nachts ein Licht brennt.

Außer verschiedenen anderen Fällen, deren ich mich erinnere, ist ein Fall, der lange Zeit großes Aufsehen und Kopfzerbrechen erregte, wegen der einfachen Lösung einer rätselhaften Licht­erscheinung besonders interessant.

Am südöstlichen Fuße der bewaldeten Thüringer Bergkette liegt das Dörfchen G. Dort sollte nach der einstimmigen An­gabe der Bewohner von G. in der Sakristei der von der Haupt­straße des Dorfes etwa hundert Schritte seitwärts auf einer geringen Anhöhe liegenden Dorfkirche allabendlich ein Licht brennen, am hellsten aber in der Adventszeit, selbst wenn kein Licht im Dorfe leuchte und den Himmel rabenschwarze Nacht bedecke. Als junger Arzt im Anfang der fünfziger Jahre in R. ansässig, war mir dieses Gerücht zu wiederholten Malen zu Ohren gekommen, ohne daß ich besonderen Werth auf diese Basen-

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klatscherei gelegt hätte. Als mir jedoch die rätselhafte Licht­erscheinung von äußerst glaubwürdigen Personen als Thatsache bezeichnet wurde, nahm ich mir vor, mich von demselben an Ort und Stelle persönlich zu überzeugen und womöglich der Sache ans den Grund zu kommen.

Ich ging deshalb an einem dunklen regnerischen November­abend mit einem Freunde in das nur eine halbe Stunde von meinem Wohnort entfernte Dörfchen, ohne daß irgend jemand von meiner Absicht eine Ahnung hatte, und da ich in Erfah­rung gebracht hatte, daß man das Licht in der Sakristei am besten von der Wohnung eines gewissen K. beobachten könnte, so suchten wir den mir bekannten K. auf.

Es war etwa acht Uhr abends, als wir dessen Wohnstube betraten, und weil die Familie K. schon öfters Besuche von Leuten erhalten hatte, die in gleicher Absicht wie wir gekommen waren, so errieth sie bald den Zweck unseres Besuches. Es wäre auch überflüssig gewesen, denselben zu verheimlichen, da wir uns doch erkundigen mußten, ob wir wohl an dem be­treffenden Abende das Licht in der Sakristei der Kirche sehen würden. Dazu wurde uns nun auch Hoffnung gemacht, denn es sei erst den Abend vorher zu sehen gewesen, aber es sei noch zu früh.

Dieser Nachsatz kam mir schon damals etwas verdächtig vor, und ich gab mir alle Mühe, etwas zu entdecken, was meinen Argwohn bestätigen konnte. Ich beobachtete das Verhalten der Hausbewohner. Nichts Verdächtiges. Sie gingen harmlos aus und in die Stube und besorgten kleine häusliche Verrichtungen. Auf der Ofenbank in der sogenannten Hölle saß der Großvater der Familie, dasHerrle", in süßes Nichtsthun versunken.

Ich beobachtete das Haus von außen. Es war ein ein­stöckiges Bauernhaus mit hoher Steintreppe, über welcher auf Holzfäulen ein breites Vordach ruhte. Ueber demselben war ein Mansardenzimmer, welches jedoch wegen des vorspringenden Treppendachs in der Nähe nicht gut zu sehen war. Seitlich vor dem Treppenaufgang lag die Wohnstube mit Kammern, hinter der Treppe war die Stallung. Dicht am Hanse vorbei lief ein Fahrweg, und an der gegenüber liegenden Seite der­selben erhob sich eine einige Fuß hohe Erdböschung, auf welcher die niedrige Steinmauer des Kirchhofs stand. Etwa fünf Schritte von dieser war ein kleiner nischenartiger Vorsprung der Kirche, die Sakristei, an deren Außenseite das große, etwa 12 Fenster­tafeln zählende Sakristeifenster war. Die Entfernung vom Hause des K. bis zu dem Sakristeifenster mochte etwa 10 Schritte betragen.

Nachdem wir eine halbe Stunde verweilt und das gegen­über liegende Sakristeifenster theils durch die Stubenfenster,