Heft 
(1878) 20
Seite
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theils von dem verandaartigen Treppenvorbau beobachtet hatten und dasselbe immer dunkel blieb, gaben wir die Hoffnung auf, unseren Zweck zu erreichen und waren schon im Begriffe ans- znbrechen. Da, auf einmal ein schwacher Lichtschimmer auf einer Glastafel des Sakristeifeusters, bald waren zwei Tafeln er­leuchtet, bald stammte ein Drittel des ganzen Fensters in zitterndem Lichtscheine. Das flackernde Licht übergoß die Hälfte des Fensters, flammte empor, verbreitete sich über das ganze Fenster, verschwand theilweise, vergrößerte und verkleinerte sich, so daß bald alle Tafeln, bald nur einige, bald gar keine er­leuchtet waren, und so dauerte das neckische Spiel mit kurzen Unterbrechungen minutenlang.

Die Lichterscheinung ließ sich nicht wegleugnen. Sie konnte indessen aus Täuschung beruhen. Ich veränderte die Stellung des einzigen in der Wohnstube brennenden Lichts, ich löschte es aus, ich überzeugte mich, soweit es möglich, daß weiter kein Licht im Hanse brenne, auch in der Nachbarschaft ließ ich die Lampen und die brennenden Kienspäne, die zur Beleuchtung dienten, auslöschen, um so üppiger loderte das Sakristeifenster in geisterhafter Flammenglut.

Ich ließ meinen Freund unter dem Vordache des Hauses zurück, überschritt den Fahrweg, kletterte über die Friedhofs­mauer und stellte mich dicht an das Sakristeifenster. Die Scheiben dunkel, hinter dem Fenster undurchdringliche Finster- niß, während mir mein Freund zurief, daß das Fenster hell brenne. Ich sah nach dem gegenüber liegenden Hause des K. und suchte von der Bodenluke bis zum Keller einen Lichtstrahl zu entdecken, der auf das Sakristeifenster fallen konnte. Ver­geblich. Ich suchte den Lehrer, der am Kirchhof wohnte, auf und bat ihn, mir die Sakristei aufzuschließen. Willig nahm er die Laterne, zündete das Licht in derselben an und schloß die Kirchen- und Sakristeithür auf. Die Laterne ließen wir im äußersten Winkel der Kirche stehen nud traten in den dunklen Raum der engen Sakristei. Wir schlossen die Thüre hinter uns, so daß kein Lichtstrahl in dieselbe dringen konnte, und sahen keine Lichterscheinung weder in der Sakristei, noch am Fenster der­selben. Nach längerem Verweilen daselbst wurde die Laterne ge­holt, und ich beleuchtete den Jnnenraum, den Boden, die Wände rc.

Es war ein kleiner, weißgetünchter, schmuckloser Raum mit einem hölzernen Stuhl und einem kleinen Wandschrank von Holz.

Der Fußboden war geplattet, die Seitenmauern bis einige Fuß über dem Boden morsch, zerfressen und mit grünem Moder überzogen, so daß man aus diesen Erscheinungen auf Grab­grüfte unter dem Fußboden der Sakristei schließen mußte. In­dessen war mir das Ausströmen von selbstentzündlichen Leichen­gasen zu ammenmärchenartig und hatte deshalb für mich keine Beweiskraft zur Erklärung der Lichterscheinung.

Mißmuthig über die Erfolglosigkeit meiner Untersuchung verließ ich mit dem Lehrer die Sakristei und Kirche und ging zurück in das K.'sche Haus, wo mich mein Freund erwartete. DasHerrle" war, als ich ihn nicht mehr auf der Ofenbank sitzend fand und nach dem Grunde seiner Abwesenheit fragte, nach Aussage des Sohnes K.schlafen gegangen", wie auch die Familie des K., und von diesem, der nur noch allein im Hause wach war, war auf die eindringlichsten Fragen über die Ursache der Lichterscheinung nichts weiter heransznbringen, als daß man dieselbe nicht wisse, daß aber schon die ältesten Leute im Dorfe das Licht von Kindesbeinen an gesehen hätten.

Das Geheimniß war also nicht gelöst, obschon eine Sinnes­täuschung oder ein Betrug dahinter stecken mußte, aber die Lösung derselben erfolgte doch, aber erst sechszehn Jahre später.

Ein junger Kandidat des höhern Schulfaches, ein sehr strebsamer Mann, der sich viel mit Naturwissenschaften beschäf­tigt hatte, wurde in O. als Lehrer angestellt. Ich hatte dem­selben von der Lichterscheinung in der Sakristei der Kirche zu G., wie von der Erfolglosigkeit meiner Untersuchung Mitthei- lung gemacht, und derselbe nahm sich vor, das Problem zu lösen.

Er machte sich eines Abends aus den Weg nach G. und suchte den Bauern K. daselbst aus, war auch so glücklich, das Licht in der Sakristei zu sehen. Da er jedoch die ganze Sache als Spiegelfechterei ansah, verhielt er sich sehr ungläubig, und brachte den K. durch viele Kreuz- und Querfragen, durch

eindringliches Zureden und ich weiß nicht, durch welche inqui­sitorische Kunstgriffe, endlich zum Beichten.

K. der Sohn führte den Lehrer in das bereits er­wähnte Mansardenzimmer des einstöckigen Hauses und zeigte ihm die einfache Manipulation des Hervorrufens der Licht­erscheinung am gegenüber befindlichen Sakristeifenster.

Er hielt ein brennendes Licht an den unteren Theil des Mansardenfensters, und alsbald erleuchteten sich einige Fenster­scheiben des Sakristeifensters. Je höher er das Licht hinauf­rückte, je höher stieg der Lichtschein am gegenüber liegenden Fenster. Er konnte beliebig den oberen oder unteren Theil desselben, das ganze Fenster erleuchten oder verfinstern, je nach der Stellung oder Entfernung des Lichts am Mansardenfenster. Das flackernde Licht der Kerzenflamme gab dem Lichtschein am Sakristeifenster jene zitternde, wellenförmige Bewegung.

Aus diese Weise war eine seit langer Zeit mit Granen und Schaudern angestaunte Wundererscheinung auf eine sehr- einfache natürliche Erklärung zurückgeführt und ein Geheimniß gelüftet, das in der Familie des K. von Generation zu Gene­ration fortgeerbt und als Familiengeheimniß sorgfältig gehütet worden war. Aber die Bewohner eines ganzen Dorfes waren eine lange Reihe von Jahren mystifizirt worden und eine Menge gebildeter und ungebildeter Leute, die zu dem Lichte in der Sakristei zu G. gewallsahrtet waren, waren von einem simplen Bauern gründlich hinter das Licht geführt worden.

Daß es aber möglich war, so viele Leute Jahrzehnte lang zu täuschen, hatte zwei Ursachen: die eine, daß das Mansardenfenster hinter dem vorspringenden Treppendach so günstig versteckt lag, daß man es vor dem Hause und von dem Fahrwege aus gar nicht sehen konnte, die andere, daß die meisten vielleicht nur die Erscheinung von der Stube oder von der Haustreppe aus beobachteten und keiner das Herz hatte, an das Sakristeifenster oder in die Sakristei zu gehen. Daß ich aber getäuscht wurde, hatte seinen Grund darin, daß so lange ich an dem Sakristeifenster stand und dem K.'schen Haus den Rücken zukehrte, die Lichterscheinung vom Hanse aus sichtbar war, wenn ich mich aber dem Hause zu­wendete, das Licht am Mansardcnfenster sofort entfernt oder ausgelöscht wurde.

Es hat sich auch heraus gestellt, daß einer der Vorfahren des K. zufällig die Entdeckung der Lichtspiegelung im Sakristei­fenster der Kirche von G. gemacht hat, was auf der bekannten physikalischen Thatsache beruht, daß Glasplatten, deren Rückseite mit schwarzem Lack überzogen, oder über einer Rußflamme ge­schwärzt sind, die Lichtstrahlen nicht durchlassen, sondern die­selben zurückwerfen, reflektiren. Im erwähnten Falle wirkte der dunkle Jnnenraum der Sakristei wie der schwarze Ueberzug auf der Rückseite einer Glasplatte, und das reslektirte Licht war um so stärker, je dunkler die Nacht und je dunkler also auch der Hintergrund des Sakristeifensters war.

Was hat nun die Volksphantasie aus dieser Lichterschei­nung zu G., die doch blos auf absichtlicher und plumper Täu­schung beruhte, gemacht? Etwa eine halbe Stunde von G. liegen auf einer einsamen Waldhöhe die bemoosten Trümmer einer alten verfallenen Ritter- und Ranbburg. Dort hauste einst ein ruchloser Ritter, und dessen arme Seele, die wegen der unsäg­lichen Greuelthaten des Ritters nach dessen Tode im Grabe keine Ruhe fand, rang in der Sakristei der Kirche zu B. im Widerschein der Hölle ruhelos um Erlösung. Wie viele mögen da das Gruseln gelernt haben!

Sehr häufig sind die Lichtspiegelungen rein zufälliger Natur, können aber trotzdem unser Urtheil verwirren oder aber­gläubische Gemüther irre führen. Ein einzelnes, noch in später Nacht brennendes Licht, eine Lampe, der Mond oder die in Abendröthe versinkende Sonne können den späten Wanderer, wenn er in den Strahlenwinkel des zurückgeworfenen Lichts kommt, in den größten Schrecken und die peinlichste Unruhe versetzen. So erinnere ich mich noch lebhaft, daß als ich ein­mal in einer dunklen Sommernacht, es war gegen zwei Uhr nach Mitternacht von einer Landtour zurückkehrend, durch das Stadtthor des Städtchens H. fuhr, die Fenster der dortigen Rathsstube in grellem Lichtschein glänzten. Ich und mein