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Vor einer langen Reihe von Jahren hatte ein junger Forstbeamter ein Vogelschießen besucht und trat nach beendigtem Ball an einem neblichen Augustmorgen den Heimweg an. Er war ungefähr eine gute halbe Stunde gegangen, als er in kurzer Entfernung einen riesigen Räuber mit hochgeschwungener Keule am Wege lauern sieht. Die Sache war bedenklich, allein es führte kein anderer Weg nach seinem Wohnort. Er mußte an dem Unhold vorbei. Der Gedanke, den Hirschfänger an der Seite zu haben, gab ihm Muth. Er riß ihn aus der Scheide und schrie das verdächtige Subjekt an. Keine Antwort. Drohend und schweigend stand es da, ohne einen Zoll zu weichen. Mit hochgezückter Waffe ging er nun auf den Räuber los, aber freudig enttäuscht ließ er sie bald sinken. Denn er hatte einen alten Weidenstumpf attackirt. Mir selbst ist es passirt, daß mir auf der Straße, als ich an einem neblichen Herbstmorgen auf das Land fuhr, ein gehörntes Ungeheuer, anscheinend eine Kuh, entgegenkam. Ich staunte, allein da mein Pferd kein Zeichen von Unruhe zu erkennen gab, so fuhr ich auf das räthselhaste Thier los, in der Voraussetzung, daß es schon zur richtigen Zeit meinem Wagen ausweichen würde. Und das traf bald ein. Denn die vermeintliche Kuh schrumpfte zu einem Hasen mit gespitzten Löffeln ein, der querfeldein entrann.
Der Grund dieser scheinbaren Vergrößerung liegt in den nebelhaft verschwommenen Körperumrissen eines Gegenstandes, und darin, daß das beobachtende Auge keinen Maßstab zur richtigen Beurtheilung der Größe eines Einzelkörpers hat, da die übrigen Gegenstände, mit denen wir jedes Objekt unwill- kührlich vergleichen und kontroliren, nicht sichtbar, sondern vom Nebel verschleiert sind.
Zum Schluß noch die Schilderung einer Begebenheit, die sich bei Hellem Tageslicht ereignete, und doch falsch beobachtet und zum übernatürlichen Ereigniß aufgeblasen wurde.
Im vorigen Jahr war ich bei M. mit dem Aufdecken eines Hügelgrabes beschäftigt. Bei einer Arbeitspause srug mich ein Arbeiter, ob ich schon wisse, daß es dort umgehe. Sehr wohl möglich, erwiderte ich, denn es geht ein Weg durch den Wald. Nein, so meine er es nicht, es sei nicht richtig in der betreffenden Gegend. Weniger nur abergläubischen Blödsinn, als um vielleicht den Kern einer interessanten Sage, die auf dem Boden eines vorgeschicht
lichen Friedhofs keimte, zu entdecken, gab ich zu, daß die Gegend dafür ganz geeignet, indem sie ein alter Begräbnißplatz sei. Nun erzählte der Mann, daß zwei Jahre vorher eine Frau in der angegebenen Gegend am Hellen Tage gegrast habe. Da sei plötzlich ein kniehohes Männchen mit feurigen Augen vor ihr gestanden, habe sie starr, ohne ein Wort zu sagen, angesehen und sei Plötzlich verschwunden. Seit dieser Zeit gingen die Mädchen aus dem Nachbardorse nicht mehr einzeln zum Grasholen, sondern nur in größerer Gesellschaft, und sie beeilten sich, lange vor Sonnenuntergang wieder aus dem Walde zu kommen, weil ihnen sonst vor Grauen die Haare zu Berge ständen.
Schon während der Erzählung des Arbeiters konnte ich das Lachen kaum zurückhalten, und als ich mir die demselben bekannte Frau, welche ihm die Spuk- und Gespenstergeschichte selbst mitgetheilt hatte, näher beschreiben ließ, wurde es mir klar, daß ich selbst die Ursache zu dem Verruf der Gegend gegeben hatte. Ich war nämlich auf meinen Kreuz- und Querwegen durch den Wald, die ich auf das Geradewohl unternahm, unversehens auf eine Gräserin gestoßen, die in schleunigster Hast, wahrscheinlich auf verbotenem Waldwiesgrund, ihren Korb zu füllen suchte, und mich erst bemerkte, als ich in geringer Entfernung von ihr stillschweigend vorüberging. Es ist mir unvergeßlich, wie mich die Frau mit den Zeichen des höchsten Entsetzens, mit weit aufgerissenenen Augen, offenem Mund und schlaff herabhängenden Armen sprachlos anstarrte. Das dauerte jedoch nur einige Sekunden, denn ich war bald hinter einem hohen Hügelgrab verschwunden, den maßlosen Schrecken der Frau auf die grundlose Furcht der Auspfändung wegen verbotenen Grasholens schiebend. Ich beschrieb nun dem Arbeiter die Stelle, wo die Begegung stattgefunden hatte, das Aussehen, die Statur der betreffenden Frau rc. und hatte die Genugtuung, denselben von seiner falschen Meinung abzubringen. Er nahm sich auch auf mein Zureden vor, die Sache auf- zuklären und dieselbe in ihrer Lächerlichkeit bloszustellen. Allein ob es viel gefruchtet hat, bezweifele ich. Ich werde nun wohl schoir bei Lebzeiten umgehen müssen, und die Moral dieser Geschichte ist: alle Leute, die umgegangen sind, sind nur bei ihren Lebzeiten umgegangen, denn nach dem Tode geht keiner mehr herum.
Die westlichen Karolinen und die Insel Map.
Von Dr. Körniger, Arzt an Bord Sr. Maj. Korvette „Hertha".
Nachdruck verboten. Ges. v. I1./VI. 70.
Seit dem Verlassen der Marianen*), am Montag, den 17. Januar 1-676, waren wir gezwungen, um den 150" östl. L., welcher die östliche Grenze des Gebietes bildete, das die „Hertha" zu besuchen hatte, zu erreichen, beständig zu kreuzen, da der sogenannte Nordostpassat zwar fortdauernd steif blieb, aber nicht aus Nordost, sondern aus Ost wehte. Während dieser Tage passirte uns ein auf Seeschiffen nur zu häufiges Ereigniß, das diesmal glücklicherweise gut ablief. Schon im indischen Ozean hatten wir durch Ueberbordsallen einen Unteroffizier verloren, damals waren alle Rettungsversuche umsonst, da, wie ziemlich sicher angenommen werden mußte, der Unglückliche einem das Schiff verfolgenden Hai zum Opfer gefallen war. Aehnliche aufregende Minuten erlebten wir am 20 . Januar. Während des Segelexerzirens fiel ein Matrose aus den Backbordgroßwanten über Bord. Glücklicherweise lief das Schiff wenig Fahrt, nur etwa 5 Knoten, eine Rettungsboje wurde sehr geschickt dem Verunglückten so nahe geworfen, daß er sie als guter Schwimmer bald erreichte, und da alle Mann ohnedies an Deck waren, so erfolgte das Beidrehen des Schiffes und das Klarmachen des Rettungsbootes in wenigen Sekunden. Bald war der Gerettete an Bord und erholte sich bei entsprechender leiblicher Stärkung von dem stattgehabten Schrecken. Außer einigen leichten Quetschungen, die er beim Herabfallen durch Aufschlagen aus die Bordwand davongetragen, hatte er sich nichts gethan, war aber während der kurzen Zeit, die er
*) Vgl. Nr. 14. S. 227.
! bis zur Ankunft des Bootes auf der Rettungsboje sitzend zu- ! gebracht, durch zwei gewaltige Haie, die ihn in engen Kreisen beständig umschwammen und sich über das Entschlüpfen der sicheren Beute nicht wenig geärgert haben mögen, in große Angst versetzt worden.
Endlich am 24. Januar konnten wir vor der Insel Ollap beidrehen. Dieselbe, zu der Gruppe Los Martires gehörig, ist wie die meisten westlichen Karolinen eine reine Koralleninsel und bildet mit den anderen der Gruppe einen Atoll. Die Inseln liegen, wie die Anordnung sich ähnlich fast stets bei den Atollen findet, im Kreise und sind untereinander durch das Korallenriff, welches die Peripherie bildet, verbunden. Sie umschließen die sogenannte Lagune, zu der gewöhnlich durch Lücken im Riff eine Einfahrt möglich ist, wenn auch meist nur für Boote.
Alle diese Inseln ragen nur wenige Fuß über die Meeresfläche empor und sind daher auch nur auf die Entfernung von etwa zwei geographischen Meilen sichtbar. Gewöhnlich sind sie geographische Meile lang und s/z—V 4 breit, oft kleiner, selten größer. Obgleich der nackte Korallenfels überall zu Tage tritt und kaum eine Spur von Humusdecke vorhanden zu sein scheint, sind doch alle diese Inseln mit üppigem Pflanzenwuchs bedeckt. Die Artenzahl der Flora ist zwar gering, doch immer noch reicher wie aus den Marschal- und Gilbertinseln; Kokospalmen, Pandanus, Brotfrucht, Taro sind die hauptsächlichsten Gewächse, welche den Eingeborenen ihren Lebensunterhalt liefern, Bananen, Bambus, Orangen kommen erst auf den westlichsten Gruppen vor.