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denen die Abgeschiedenen des unbekannten Volkes schlummerten, erinnerten den Lebenden schon aus der Ferne daran, daß dem Gestorbenen das Andenken bewahrt würde, wie es im Gawamal der Edda, in dem Lied Odin des Hohen heißt:
Doch eines weiß ich, das immer bleibt:
Das Nrtheil über den Todten.
Von diesen Grabstätten ist zuerst in den Urkunden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts als von den Gräbern der Alten die Rede, das wirkliche Alter derselben entzieht sich jedoch unserer Berechnung, ebenso wie die Zeiträume, welche zur Umwandlung des Waldes in Haide erfordert wurden, nur einer allgemeinen Schätzung unterworfen werden können. Wir reden von einer grauen Vergangenheit, von ferner Vorzeit und müssen uns mit einem allgemeinen Begriff begnügen, da es nie möglich sein wird, sichere Zahlenwerthe für die Dauer jener Perioden aufzufinden.
Das aber lehrt uns der Vergleich zwischen der jungen und der alten Haide, daß die Wanderung und physikalische Umlagerung des einen Aschenbestandtheiles der Pflanze, die Dislozirung der Kieselsäure es war, welche fast unmerklich für eine kurze Spanne Zeit eine blühende Gegend in sandige Oede verwandelte. Wie im Kamin das Holz durch den chemischen Prozeß der Verbrennung in flüchtige Gase und Asche zerlegt wurde, so blieb von der einst üppigen Vegetation im Laufe der Zeit nur der eine mineralische Stoff — die Kieselsäure der Haide zurück, während die Atmosphäre sich der organischen Substanzen bemächtigte. Ein Aschenfeld ist daher die Haide in gewissem Sinne, ein todter Rest einstigen Lebens.
Warum aber nehmen die Bäume die Kieselsäure aus dem Boden auf, die nach den Experimenten der Pflanzenphysiologen ihnen entbehrlich sein kann, warum paßten sie sich den Verhältnissen nicht an, unter welchen die Verkieselung des Bodens ihnen den sichern Untergang bereitete und entsagten der Mineralsubstanz, die ihnen schädlich ward, da doch nach dem Ausspruche der Darwinisten, jedem Individuum das Vermögen der Anpassung an veränderte Verhältnisse innewohnen soll, zumal es an der Zeit nicht fehlte? Wir erhalten auf diese Frage keine Antwort von der modernen Allwissenheit, sie schweigt wie die Haide selbst, über der die Ruhe des Todes ausgebreitet liegt.
Wie ein auf steinigten Boden gefallenes Samenkorn verkümmert und vergeht, so mußte auch die herrliche Vegetation untergehen, als sich die undurchdringliche Schicht des Ortsteines im Untergründe allmählich bildete, und umgekehrt muß die Haide wieder in Kulturland verwandelt werden können, wenn das unterste zu oberst gekehrt und die Ortsteinrinde vernichtet wird. In der That gedeiht der Baum in alter Schönheit, sobald durch Tiefkultur die Bodenverhältnisse wieder auf den Stand zurückgeführt werden, den sie vor der Verkieselung einnahmen; und nachdem der Forstbeamte Emeis in Holstein für die Entstehung der Haiden den natürlichen Nachweis lieferte, gelingt es, das scheinbar verlorene Terrain der Forstwirth- schaft und dem Ackerbau in ausgedehntem Maße zugänglich zu machen.
Und aber nach Hunderten von Jahren wird die braune Haide verschwunden sein, dichter Wald die Hünengräber einhegen und der Acker dem Menschen reiche Frucht tragen, dessen Hand, von rechter Erkenntniß geleitet, die Wüste aufs neue urbar machte, indem er in den natürlichen Lauf der Dinge eingriff.
Von der Asche im Kamin ausgehend, gelangten wir zu einem fröhlich anzuschauenden Zukunftsbilde, das sich aus Daten der Naturforschung vor unserem geistigen Auge aufbaut und uns die trostlose Oede im frischen Schmucke neuen Lebens zeigt. Könnten wir mit gleicher Freude allüberall in die Zukunft blicken wie in diesem Falle. Die Geschichte aber lehrt uns, daß Blüte und Kultur zu Grunde gingen, daß Völker groß wurden und verschwunden sind wie jener Wald, dem die Haide folgte, weil das Herz des Volkes nicht mit lebendigem Wasser getränkt wurde. Wenn aber im Volke das Gemüthsleben erlischt, dann beginnt auch auf geistigem Gebiete der Versandungsprozeß, und langsam, unmerklich naht sich die Zeit der Oede und Trostlosigkeit, aus der nur die Sehnsucht nach Erlösung zu retten vermag. Verschließt sich auch die Zukunft dem Auge, so flüstert uns doch die Hoffnung zu, daß, wie in der Natur, die Haide wieder ergrünt, auch das Herz des Volkes nicht auf immer vergraben werden kann unter der Asche des Materialismus, sondern auch aus dieser Noth seine Auferstehung feiern wird.
Es ist ein wunderliches Völkchen, diese Künstler! glauben in einer Welt für sich zu leben, reden von einem Kunsthimmel, an dem sie selbst als Sterne auf- und abspazieren, träumen ewig von einem Ideal und können doch der Wirklichkeit so wenig entbehren. Oder was wäre ein Künstler ohne sein Publikum? Freilich könnte man auch umgekehrt fragen, und dann wäre das Nachsehen auf unserer Seite. Geben wir also zu, daß sich Ideal und Wirklichkeit durchdringe, gönnen wir jenen ihre Welt und ihren Himmel, und freuen wir uns der vielen glänzenden Sterne, die mit ihrem Zauberscheine das menschliche Dasein so freundlich erhellen.
Das „Daheim" führt heute seine Leser vor den Himmel der Tonkunst, um daselbst ein Gestirn zu betrachten, welches plötzlich aufgestiegen, durch ganz besondern Glanz Aufmerksamkeit und Bewunderung erregt. Es ist ein Stern erster Größe, Don Pablo de Sara säte, der gefeiertste Violinvirtuose der Gegenwart.
Es ist noch nicht lange her, daß dieser ausgezeichnete Künstler Deutschland mit seinem Ruhme erfüllt. In seiner Heimat Spanien, in Frankreich, Belgien, Italien, ja in Amerika und im Orient war er früher bekannt als bei uns. Erst das Jahr 1876 führte ihn nach Deutschland und zwar zunächst nach Leipzig, wo er in einem der berühmten Gewandhauskonzerte seinen ersten deutschen Triumph feierte. Heute gilt Sarasate wie gesagt als einer der ersten Geiger und ist gefeiert in einer Weise, die an das erinnert, was man von Liszt und Paganini gehört hat. Und er steht noch lange nicht im Zenith seines Ruhmes.
Nüchterne Leute Pflegen sich oft zn wundern, wie man
Nachdruck verboten Ges. v. il./VI. 7».
Künstler wie die genannten so vergöttern könne. Freilich um die Bedeutung ihrer künstlerischen Erscheinung ermessen zu können, dazu gehört ein für künstlerische Eindrücke überhaupt empfängliches Gemüth. Auf diesem Grunde aber bricht sich die richtige Erkenntniß solcher, das Durchschnittsmaß künstlerischer Bildung in Wirklichkeit weit überschreitender Individualitäten bald Bahn. Eine nur einigermaßen musikalische Natur wird sich dem Zauber, wie er von der künstlerischen Erscheinung eines Mannes wie Sarasate ausgeht, schwerlich entziehen können. Schwer aber ist es zn sagen, wodurch eigentlich eine so großartige Wirkung erzielt wird, ebenso schwer, als zu beschreiben, worin die Annehmlichkeit besteht, die uns der Gesang des Vogels, das Gemurmel des Baches, das Rauschen des Waldes bereitet.
Wenn man sagt, daß ein Künstler wie Sarasate sein Instrument beherrscht, vollkommener wie jeder andere Geiger, und daß er die größten Schwierigkeiten ausführt mit einer Leichtigkeit, die jeden Gedanken an Anstrengung unbedingt vergessen macht, so ist damit doch nur ungefähr angedeutet, was er vermag. Man muß es eben selbst erlebt haben, wie er, der kleine zierliche Mann, mit dem Angesichte voll künstlerischen Ernstes, ruhig, nur den Oberkörper leicht wiegend seinem kostbaren Instrumente Töne entlockt, so rein, so schön, bald süß und schmachtend, bald vom Feuer der Leidenschaft durchglüht, bald klagend, bald übermüthig und keck, und wie er alle diese verschiedenen Eindrücke, weil innerlichst empfunden, auch ungezwungen und natürlich zu vermitteln weiß, — man muß mit ihm geschwelgt haben im süßesten Wohllaut des Tones, um seine Bedeutung ganz zu verstehen.
Man hat mit Recht gegen gewisse Virtuosen ein Vor-
Hftröl'o de Sarasate.
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