Issue 
(1878) 23
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nrtheil, weil sie die Virtuosität als Selbstzweck betrachten und in ihren Produktionen weniger innerlich Empfundenes, als Be­absichtigtes und Angelerntes zur Erscheinung bringen, wodurch höchstens Bewunderung, nie aber wahrhafte Sympathie er­weckt werden kann. Sarasate ist zwar ein Virtuos wie kein Zweiter, aber man wird trotzdem nie eine tiefere Empfindung in feinen Leistungen vermissen. Wohl beschränkt er sich nur auf einen gewissen Theil der Literatur seines Instrumentes, Namen wie Bach und Beethoven waren bisher auf seinen Pro­grammen nicht zu finden. Was er aber spielt, am häufigsten Mendelssohn, Max Bruch, Chopin und die Kompositionen seines Landsmannes Lalo das hat er auch in geistiger Beziehung mit einer Wärme erfaßt, daß ihm ein Vorwurf in obigem Sinne kaum gemacht werden kann. Und selbst wenn er seine eigenen Weisen spielt, die allerdings in erster Linie aus eine schöne Tonentfaltung abzielen, so klingt das alles so natürlich und wahr, daß auch der ernsteste Kunstfreund gefesselt werden muß. Er gleicht dann der Lerche, die fröhlich in die Lüfte steigt, um dort nach ihrer Art dem Schöpfer ein Danklied zu singen.

So ist Sarasate ein Künstlertypus mit dem Gepräge der Virtuosität insofern, als er weniger durch einen allgemein gültigen musikalischen Inhalt zu wirken sucht, als durch die­jenigen Reize, die ihm die vollkommenste Kenntniß der Natur seines Instrumentes in reichem Maße gewährt. Andererseits aber zeigt sich seine sensible musikalische Natur wieder so weit entfernt von der nur auf äußerlichen Effekt berechneten bloßen Tonspielerei der Durchschnittsvirtnosen, daß ihm ein Ehren­platz unter den bedeutendsten Meistern seines Instrumentes nicht versagt werden kann.

Ueber die Lebensschicksale des noch jungen Künstlers sind wir im Stande aus authentischer Quelle Folgendes mitzu- theilen. Don Pablo Sarasate ist geboren am 10. März 1846 zu Saragossa. Sein Vater, wie fast alle seine Verwandten sind Militärs. Seine Studien hat er vorzüglich in Paris ge­macht. Im Jahre 1857 schon errang er am Konservatorium daselbst den ersten Preis als Geiger. Seine spätere Künstler- lanfbahn führte ihn im Jahre 1868 nach Süd- und Nord­amerika, wo er unter Strakosch mit Carlotta Patti konzertirte und längere Zeit verblieb. Später hat er Frankreich, Belgien, Italien und auch den Orieut bereist, überall großartige Triumphe feiernd. Seit 1876 ist er nun auch in Deutschland heimisch. Daß sein Auftreten in fast allen größeren Plätzen von sensatio­nellem Erfolge begleitet war, wurde bereits angedeutet. Be­sonderer Gunst erfreut sich der Künstler in Berlin, wo er auch die Ehre hatte, von Ihrer Majestät der deutschen Kaiserin zu deren Hoffestlichkeiten eingeladen zu werden.

Persönlich gilt Sarasate für einen höchst liebenswürdigen und bescheidenen Menschen, der weit entfernt von der bei Künstlern oft so stark ausgeprägten Eigenliebe auch die Fähig­keiten anderer so wohl zu schätzen weiß. Er ist daher unter seines Gleichen nicht minder beliebt als im Publikum. Zu seinen aufrichtigsten Bewunderern zählt Joseph Joachim in Berlin, in dem Sarasate wiederum den größten Meister der Geige verehrt. Und das läßt hoffen, daß er, der es jetzt schon so herrlich weit gebracht, seinen Einfluß immer weiter ausdehnen wird auf das ganze Gebiet seiner Kunst. Dazu wünschen wir ihm von Herzen Glück!

_ Moritz Vogel.

I

Kine unheilvolle AastnachL.

Von Franz W. Freiherr von Ditfurth.

(Schluß.)

Nachdruck verboli'n. Ges. v. di./IV. 7U.

Früh schon weckte mich ein lauter Biktoriaruf. Mein Stubennachbar und Freund, ein Kurländer, war bei mir ein­getreten, hatte das auf eine Stuhllehne niedergelegte Kleid er­blickt, und war darüber in lauten Jubel ausgebrochen. Schnell ward es von ihm übergeworfen, die Goldkrone gleichfalls auf­gesetzt, der Schleier augelegt, uud so tanzte er singend und jauchzend vor dem Spiegel umher.

Mir verging fast die Sprache, als ich dieses Heiligthum meiner Frau Taute so profauirt und in Gefahr sah, von den Sporen des Tänzers unbarmherzig zerfetzt zu werden.

Ich bat, beschwor, drohte, fluchte, ja weinte fast, um ihu zu bewegen, das Kleid sogleich wieder abzulegen, indem ich ihm den Hergang der Besitzergreifung erzählte.

Ei was!" rief er, ohne sich in seiner Tanzlust stören zu lassen.Deine Tante wird doch nicht so thöricht sein, in ihren alten Tagen noch an einer solchen scharlachrotsten Fahne zu häugen! Und wenn sie auch ein bischen zankt und grollt, was

schadet es? Frühregen und alter Weiber Zank

Währt nicht lang.

Willst Du aber aus übertriebener Pietät das Kleid selbst nicht tragen, so will ich Deinen Part übernehmen, und Du trittst in meine Stelle."

Das durfte ich unter keinen Umständen zngeben, denn Freund Kurländer ließ wenig mit sich reden und hätte gewiß keinerlei Schonung geübt.

In Erwägung ferner, daß weder meine Tante noch ihre Friederike dem Aufzuge zuschaueu würden, gab ich endlich nach und willigte schweren Herzens ein, mit diesem Kleide die Rolle zu übernehmen, falls kein anderes zu erhalten sein würde.

Als wir uns darüber geeinigt hatten, klopfte jemand an die Thüre; es war Friederike mit Seiner Lordschaft, den ich schon draußen bellen und kläffen hörte. Ich hatte kaum Zeit, meinen Freund ins Schlafzimmer zu drängen, als schon Friederike mit den Geschenken eintrat.

Ich entschuldigte mich mit den überhäuften Geschäften für den nachmittägigen Festzug, nahm schnell die edle Sendung in Empfang, ließ meiner gnädigsten Frau Tante herzlich danken, und verabschiedete Friederike sobald als möglich.

Einmal entschieden meine Rolle zu spielen, vergingen mir unter den vielen Zurichtungen mehr und mehr alle Kümmer­nisse; ein toller studentischer Uebermuth stieg in mir auf, und ich fing an alles humoristisch zu betrachten.

Unter gewaltigem Peitschenknall und dem Halloh der Straßenjugend, das sich chaotisch in den Klang der Musik mischte, ging endlich der Zug aus srischgesallenem Schnee ab. Ueberall ward er mit großem Jubel empfangen, alle Fenster waren voll Schaulustiger, welche Tücher schwenkten, herab­grüßten und über all den tollen Unsinn unseres Uebermuthes laut lachten.

Meine Darstellung der Kindsfrau und mein prachtvolles Kostüm einer antiken Königin hatte keinen geringen Antheil an dem Beifall des Publikums. Die Damen zumal waren außer sich über die wundervolle Toilette, den echten herrlichen Stoff, und konnten sich nicht erklären, woher er stamme.

Nach zweistündiger Fahrt durch alle Straßen der lang­ausgedehnten Stadt wollte der Zug eben wieder auf den Sam­melplatz, um auseiuanderzugehen, als uns zum Schluß noch ein eigenes Abenteuer begegnete, das für einige von uns höchst unangenehme Folgen hatte.

Seine Magnifizenz unser Herr Prorektor stieß, zu Pferde aus einer Seitenstraße kommend, auf unseren Zug, um noch etwas spazieren zu reiten, wie er das täglich gewohnt war.

Als mein Schlitten an ihn, der langsam von der Seite vor uns herritt und die Grüße der Studenten kaum mit einem gnädigen Kopfnicken erwiderte, herankam, wurde der Ueber­muth und der Unwille meines rosselenkenden Kameraden, des erwähnten Kurländers, derartig erregt, daß er der breiten Kehrseite des Rosses Seiner Magnifizenz in aller Eile einen derben Peitschenhieb versetzte.

Durch diese plötzliche Ermunterung ward aber das Pferd so wild, daß es hinten und vorn ausschlug, sich bäumte und den sehr korpulenten Reiter, trotz aller seiner Bemühung sich im Sattel zu erhalten, abwarf, so daß er in einen großen frisch zusammengekehrten Schneehaufen fiel, während das scheue Pferd entsprang.

Der Vorfall erregte natürlich große Sensation, mehr aber