große Löcher hineingenagt. Ich war so außer mir, daß ich die heillose Bestie beim Genick nahm und wider die Wand schleudern wollte, als mich der plötzlich immer heftiger werdende Bluterguß der Wunde, von welcher der Verband sich ablöste, daran verhinderte. Nur mit großer Mühe gelang es, das Blut wieder zu stillen. Ich fühlte mich aber zuletzt so schwach, daß mir alles gleichgültig erschien, und ich angezogen aufs Bett sank und bald entschlief.
In wildverworrenen Träumen erschien mir fortwährend die hohe Gestalt meiner Tante in ihrem königlichen Semiramis- gewande, streng ihre Blicke, wie Feuerstrahlen, auf mich gerichtet und drohend den geschlossenen Fächer gegen mich erhebend. Dann verwebte sich auch in diese Traumgebilde die Gestalt des Kißfalludi, der als König Ninus das Racheduett jener Oper mit der Tante sang: „Rache, Rache, o ihr Götter, dem Frevler aus sein Haupt!"
Aus diesen drangsalschweren Träumen weckte mich früh um acht Uhr ein unzweideutiges Klopfen an der Thürc. Es war der Pedell, der eine ganz eigenthümliche, allen Studenten wohlbekannte, nicht sehr angenehme Weise hatte, sich also vernehmbar zu machen. Ich wurde vor Seine Magnifizenz den Prorektor geladen und mußte präzis 10 Uhr erscheinen.
Das fehlte noch! Nach den vielen Fatalitäten noch eine Untersuchung zu gewärtigen, denn daß der gestrige Vorgang mit dem Pferdesturz Veranlassung zur Vorladung war, war mir ganz unzweifelhaft. Es galt aber zu gehorchen, und so fand ich mich mit verbundenem Kopfe zur bestimmten Zeit sammt Freund Kurländer ein, der als eigentlicher Malefikant gleichfalls vorgeladen war. Seine Magnifizenz empfing uns von vornherein sehr finster und ergrimmt.
„Sie haben sich gestern höchst ungeziemend gegen mich benommen, und nur einem besonderen Zufall verdanke ich es, nicht in schweren Schaden gekommen zu sein; das verdient Strafe. Ich will Sie aber nicht ungestört verurtheilen. Was haben Sie zu Ihrer Vertheidigung vorzubringen?"
„Eure Magnifizenz," Hub Freund Kurländer mit etwas spöttischer Miene an, „wenn hier von Schuld die Rede sein kann, so bin ich allein der Uebelthätcr; mein Freund aber ist ganz und gar nicht Mitbeteiligter; er ist so unschuldig an dem Vorgänge wie das Kind, welches er gestern die Ehre hatte, dem Publikum zur gefälligen Taufe zu präsentiren. Den Peitschenhieb aber versetzte ich Eurer Magnifizenz Rosse; das geschah indes nicht absichtlich, sondern war nur ein Fehltressen, denn es galt einem stets zurückbleibenden Pferde unseres eigenen Schlittens. Wir bedauern auf das tiefste den Vorfall und bitten, uns nicht als Absicht zu deuten, was in der Eile durch Versehen geschehen ist."
„Leere Ausflüchte!" rief die Magnifizenz erzürnt, „wenn Sie irgend Bedauern über den Vorgang gehabt hätten, warum hielten Sie denn nicht den Schlitten an, um sich zu entschuldigen? Aber Sie sind nur um so rascher gefahren und haben noch laut aufgelacht. Das verdient Strafe, und Sie werden vier Wochen, — und zu mir gewendet — Sie vierzehn Tage den Carcer besuchen und sofort die Strafe antreten."
Da half nun kein Bitten mehr, denn Magnifizenz waren sehr reizbarer Natur, besonders wo amtliche Persönlichkeit ins Spiel kam. Verstimmt gingen wir nach Hause, rasch das Nothwendigste zu ordnen, bevor wir unsere Strafzeit antraten. Es blieben mir nur wenige Minuten übrig, um einige Kleidungsstücke und Wäsche zum Mitnehmer: herzurichten und den heillosen Köter meinem Hauswirthe zur Verpflegung zu übergeben.
Es waren böse vierzehn Tage, diese Tage, die ich verbüßte, weil ich Seine Magnifizenz hatte vom Pferde fallen sehen. Bei der großen Kälte des Winters, 22 aus 23, wo noch Ende Mai in der Gegend von Marburg Eis in Feldern und Wäldern lag, bei spärlichster Heizung, in den alten ehemaligen Klosterzellen, wo ellendicke Mauern und enge stark vergitterte, ganz erblindete Fenster kaum einen Lichtstrahl noch durchließen, bei Wasser und Brot, nur ein um den andern Tag etwas warme Spitalsuppe ohne Salz und Schmälz, stark nach Spülwasser duftend und schmeckend, ohne Betten, blos mit einer hundertfach durchlöcherten alten Pferdedecke auf harter
hölzerner Pritsche, zur einzigen Gesellschaft ein Heer halbverhungerter Ratten und Mäuse, nebst einer Legion etwas kleinerer blutgieriger Quälgeister, an denen man sich wegen ihrer ungemeinen Fertigkeit im Hüpfen nur schwer rächen kann. Dieses alles, ohne Beschäftigung vierzehn Tage lang anszuhaltcn, ist eine Buße, die billiger Weise verdient von allen denkenden Menschen als eine reichliche angesehen zu werden.
, Doch auch die rauheste Stunde rennt durch den Tag, sagt Macbeth. Auch diese vierzehntägigen Leiden nahmen ein Ende. An einem schönen sonnigen Frühlingstage öffnete sich mir die schwere rostige Kerkerthür, und ich durfte wieder hinaus in die ersehnte goldene Freiheit. Halb erfroren, ganz ausgehungert, niedergebeugt an Leib und Seele kam ich in meine Wohnung.
Das erste, was mir in die Augen fiel, war ein Brief mit meinem Familiensiegel. Er war von meiner Tante. Fast athemlos öffnete ich das eigenthümlich altmodisch zusammengelegte Papier. Mit großen starken Zügen stand da kurz geschrieben: „Mosjö Schlingel, unterstehe Er sich nicht und komme mir je wieder unter die Augen!"
„Alles entdeckt!" stammelte ich, wie vom Schlage getroffen, während der Brief meiner Hand entfiel.
Ihre Gunst war verscherzt, au Versöhnung, wie ich sie kannte, nie mehr zu denken, dazu hätte sie ihr Kißfalludi selbst, wäre er von den Todten erstanden, nicht zu bewegen vermocht.
Mit schwerem Herzen nahm ich Abschied von allen meinen j schönen Hoffnungen und Aussichten, tief trauernd um die verlorene Liebe einer so mütterlichen Freundin, wie sie mir in ! Wahrheit gewesen war.
Die vielen Gemüthsbewegungen, die ausgestandenen Ent- ! behrungen, sowie die Verschlimmerung der immer noch un- ! geheilten Kopfwunde, zogen mir ein hitziges Fieber zu, an dem o ich wochenlang gefährlich krank lag, und am Rande des Todes !!
schwebend, nur durch die treueste Pflege meines Freundes, des f
Kurländers, gerettet wurde. j
Als ich endlich wieder genesen, galt mein erster Ausgang l einer traurigen Pflicht. Es war das Leichenbegängniß meines Freundes. Der herrliche, blühende, bildschöne, auch geistig reichbegabte Mensch war in einem Duell erstochen, zu welchem Witzeleien über das Begegniß mit der schönen Helena Veranlassung gegeben hatten.
Trauriger, erschütterter habe ich kaum je an einem Grabe gestanden, als an dem seinigen. ;
Auch dem streitbaren Kleiderkünstler wie der schönen He- ^ lena, war jene Fastnacht zum Verderben geworden. Elfterer hatte sich zorn- und kampferhitzt wie er war, in dem unfreiwilligen ! Bade so erkältet, daß er iu eine tödtliche Krankheit verfiel und bald darauf starb.
Die schöne Helena dagegen war von solcher Leidenschaft zu dem schönen ritterlichen Kurländer ergriffen worden, daß fein schreckliches Ende ihren Geist völlig verwirrte, sie verfiel in Wahnsinn. !
Unvergeßlich bleibt mir, wie sie bei der Beerdigung des Geliebten, todtenbleich, mit aufgelösten Haaren, die Hände ringend, plötzlich durch unsere Reihen stürzte, auf den eben ins Grab niedergelassenen Sarg sprang, und mit den Worten: „Laßt ihn, laßt ihn; er ist mein!" wie leblos zusammenbrach.
Es war eine schauerliche Scene. Mit Gewalt mußte die Wiedererwachte hinweggebracht werden. Später hat sie sich in den Flicken der Lahn ertränkt.
Etliche Tage nach Beerdigung des Freundes verließ ich Marburg für immer. Meine Tante aber schied noch vor Ablauf des Jahres aus diesem Zeitlichen, der treuen Friederike und dem Waisenhause ihr ganzes Vermögen hinterlassend.
Seit jenen Tagen hat sich ein schwarzer Faden von Widerwärtigkeiten aller Art durch mein langes Leben gezogen, das Glück mir selten mehr gekachelt.
Inhalt: Vor dem Sturm. (Fortsetzung.) Roman von Theodor- Fontane. — Rührende Zwiebeln. Nach dem Gemälde von Th. von der Beek. — Ein jesuitischer Exjesuit. Bon sLeopold Witte. — Aus der Asche. Naturwissenschaftliche Plauderei von Julius Stinde. — Pablo de Sarasate. Von M. Vogel. Mit Abbildung. - Eine unheilvolle Fastnacht. (Schluß.) Von Franz W. Freiherr von Ditfurth.
Herausgeber: vr. AoSert Aoenig und Uheodsr Kermann I>antcnius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Ktta Ktastng in Leipzig. _Verlag der Daheim - Expedition (HkelHagen ^ Alastug) in Leipzig. Druck von ZZ. H. Ueuöner in Leipzig