Heft 
(1878) 25
Seite
393
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Ein deutsches Failtttieilbtlüt mit Ittustrntisnen.

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XIV. Ausgkgllllii am 23. März 1878. Drr Jahrgang läuft vom Waler 1877 bis dahin 1878. 1878. 25.

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Wor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontone.

Nachdruck Verbvten. Ges. v, il./VI. 7o.

«Fortsetzung.>

XXVIIl. Othegraven.

Der alte Rysselmann, in Jeetzes kleiner Bedientenstnbe durch einen Imbiß gestärkt und wieder aufgewärmt, passirte eben das an der großen Straße nach Frankfurt gelegene Dorf Podelzig, als ihm ein leichter Kaleschwagen begegnete, auf dessen Lederbank er den Freund seines Justizraths, den Conreetor Othegraven erkannte. Othegraven ließ halten.

Guten Tag, Rysselmann, gut bei Weg? Was in aller Welt bringt Sie nach Podelzig?"

Ich komme schon von Hohen-Vietz. Dienstsachen; ein Brief vom Herrn Justizrath an den Herrn von Vitzewitz. Ein guter Herr; und so ist das ganze Dorf."

Ich will auch hin," sagte Othegraven.Treffe ich den Schulzen Kniehase?"

Im Dorfe ist er; aber ob der Herr Conreetor ihn treffen werden, ist doch unsicher. Denn ich hörte, wie der gnädige Herr nach ihm schickten, weil sie bei der alten Boten­frau, die, glaube ich, Hoppenmarieken heißt, eine Haussuchung abhalten wollen. Es soll eine Hehlerin sein."

Danke schön, Rysselmann; meinen Gruß an den Justiz­rath. Gott befohlen!"

Damit fuhr der Conreetor in raschem Trabe weiter auf Hohen-Vietz zu. Was ihm Rysselmann gesagt hatte, kam ihm ungelegen, und wenn er zu den Leuten gehört hätte, die auf Zeichen achten, so hätte er nmkehren müssen. Er war aber ohne jede Spur von Aberglauben und sah in allem, was ge­schah, ein unwandelbar Beschlossenes. Seinem Bekenntniß, noch mehr seiner Parteistellung nach streng lutherisch, ruhte doch ihm angeboren und deshalb unveräußerlich auf dem Grunde seines Herzens ein gut Stück prädestinationsgläubiger Calvinismus.

Von Podelzig war nur noch eine Stunde. Es läutete Mittag, als Othegraven vor dem Pfarrhause hielt. Seiden­topf, den er bei seiner vorgestrigen Anwesenheit in Hohen-Vietz nicht ausgesucht hatte, begrüßte ihn herzlich an der Schwelle

XIV. Jahrgang. 25. I.

seiner Studirstube, die jetzt, wo die Wintersouue schien, ein besonders freundliches Ansehen hatte. Alles war verändert und die Haushälterin, die sich am zweiten Feiertage durch ihr aufgeregtes Hinundherfahren mit Schippe und Räucheressenz so bemerklich gemacht hatte, zeigte heute die vollkommenste Ruhe, als sie nach dem Brauch der Hauses, ohne daß eine Aufforderung dazu ergangen wäre, ein Frühstück vor Othe­graven auf den Tisch stellte.

Beide Männer hatten auf einem kleinen Sopha, in der Nähe des Ofens, unter dem verstaubten Real der Libliotlleea tlleo- 1o§iaa Platz genommen und sahen in den verschneiten Garten hinaus. Eine Esche stand vor dem Fenster, in Sommerzeit ein wunderschöner Baum; jetzt, wo seine Zweige wie geknotete Hanfstrippen niederhingen, ein trauriger Anblick. Aber keiner von Leiden hatte ein Auge dafür, und während der Conreetor, dessen Vorhaben einem guten Appetit nicht günstig war, sich mehr an ein Glas Wein als an das Frühstück hielt, erzählte der Pastor von dem, was sich seit vorgestern in Hohen-Vietz ereignet hatte, von dem Einbruch und voll dem Auffindeu der Strolche auf dem Rohrwerder.

Abenteuer und Kriegszüge, als hätten wir schon den Feind im Lande," so schloß er.

Othegraven, augenscheinlich in sehr unkriegerischer Stim­mung, brachte der Erzählung dieser Dinge nur ein geringes Interesse entgegen, das erst wuchs, als der Gesprächsgegen- stand wechselte und Seidentopf von dem zweiten Feiertage, ihrem heiteren Beisammensein an jenem Abende, und vor allem von Marie zu plaudern begann.

Sie könnten mir nichts sagen," unterbrach ihn Othe­graven,das mich mehr erfreute. Denn wissen Sie, lieber Pastor, ich habe eine herzliche Neigung zu diesem schönen Kinde."

Seidentopf erschrak; um so mehr, je höher er Othegraven schätzte. Nie war an einen solchen Fall von ihm gedacht worden; jetzt, wo er eintrat, empfand er ihn als eine Un-