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Möglichkeit. Er faßte sich endlich und fragte: „Weiß Marie davon?"
„Nein, ich habe vorgestern mit dem Schulzen gesprochen. Er hat mir geantwortet, Marie sei ein Stadtkind und gehöre in die Stadt; wenn er sie sich an der Seite eines braven Mannes, der sie liebe, denke, so lache ihm das Herz. Und eines Studirten, bald vielleicht eines Pastors Frau, das sei so ! recht das, was er sich immer gewünscht habe. Das Kind sei fein Augapfel, und mein Antrag sei ihm eine Ehre; aber sie müsse selber entscheiden. Ich konnte ihm nur zustimmen; und da bin ich nun, um mir diese Entscheidung zu holen."
„Ich wünsche Ihnen Glück, Othegraven. Aber alles erwogen, paßt Marie zu Ihnen?"
Othegraven wollte antworten; Seidentopf indessen, als er aus den ersten entgegnenden Worten heraushörte, daß sich die Antwort nur auf das „Gazekleid mit den Goldsternchen" und alles das, was damit in Zusammenhang war, beziehen werde, unterbrach den Conrector und sagte ruhig: „Ich meine nicht das, ich meine, haben Sie bedacht, ob zwei Naturen zu einander Passen, von denen die eine ganz Phantasie, die andere ganz Charakter ist?"
„Ich habe es bedacht; aber daß ich es Ihnen bekenne, mehr in Hoffnung, als in Zweifel und Befürchtung. Eine Frau von Phantasie, ein Mann von Charakter, wenn ich diese auszeichnende Eigenschaft, die Sie mir zuerkennen, ohne weiteres annehmen darf, ist gerade das, was mir als ein Ideal erscheint. Was ist die Ehe anders als Ergänzung?"
„So heißt es in Büchern und Abhandlungen, und ich kann mir Fälle denken, oder sage ich lieber, ich kenne Fälle, wo dies zütrifft. Aber wenn ich in dem Buche meiner Erfahrungen nachschlage, so ist es im großen und ganzen doch umgekehrt. Die Ehe, zum mindesten das Glück derselben, beruht nicht auf der Ergänzung, sondern auf dem gegenseitigen Verständniß. Mann und Frau müssen nicht Gegensätze, sondern Abstufungen, ihre Temperamente müssen verwandt, ihre Ideale dieselben sein. Vor allem aber, lieber Othegraven, wir sind noch nicht bei der Ehe. Es handelt sich zunächst um den Zug des Herzens, der fast immer nach dem Gleichgearteten geht; wenigstens bei Naturen wie Mariens."
Othegraven lächelte. „So würde denn, theuerster Pastor, die Frage, die Sie vorhin an mich richteten, nicht haben lauten müssen, ob Marie zu mir, sondern ob ich zu ihr passe? Das erstere bin ich sicher; um mir auch über den zweiten Punkt Gewißheit zu verschaffen, dazu bin ich hier. Ich bitte, mein Fuhrwerk auf, Ihrem Hofe halten lassen zu dürfen; in einer halben Stunde sehe ich Sie wieder. Sie sollen der erste sein, der erfährt, wie die Würfel über mich gefallen sind. Ein unchristlich Wort das; aber ich halte es aufrecht, weil es genau ausdrückt, was ich in diesem Augenblicke empfinde, aller Ueber- zeugung zum Trotz, daß es schließlich kein Würfelspiel ist, was über uns entscheidet. Wir sollten vielleicht vor solchen Widersprüchen, in die auch ein gläubig Herz gerathen kann, weniger erschrecken, als wir gewöhnlich thun; wir gewönnen dadurch für uns selbst und für andere mehr als wir verlieren. Was starr ist, ist todt." Sie trennten sich und Othegraven schritt auf den Schulzen- hos zu. Er fand in dem Zimmer links nur die Frau des Schulzen vor. Sie schritt ihm unter herzlichem Gruß, aber doch in einer gewissen Befangenheit entgegen, und sprach ihr Bedauern aus, daß ihr Mann abwesend sei, einer Dienstsache halber, mit der sie den Herrn Conrector nicht behelligen wolle. Am wenigsten heute, da sie wisse, weshalb er komme. Sie werde Marie rufen. Dann rückte sie ihm einen Stuhl und stieg hinauf in die Giebelstube, wo die Tochter mit allerhand kleiner Handarbeit, mit Stopfen und Nähen beschäftigt war, um nichts Unfertiges oder Unordentliches mit in das neue Jahr hinüber zu nehmen. In der resoluten Weise einer Frau, die von Borbereiten und Ueberraschungen ersparen nicht viel hält, sagte sie hier kurz und ohne Umschweife: „Komm, Marie, Conrector Othegraven ist unten; er hat bei dem Vater um Dich angehalten. Sage nun „ja" oder „nein", uns Alten ist beides recht. Wir haben keinen anderen Wunsch als Dein Glück, und Du mußt selber wissen, was Dich glücklich macht."
Marie war heftig erschrocken, faßte sich aber und folgte der Mutter treppab. Othegraven hatte den Stuhl, der ihm angeboten war, nicht angenommen; er stand am Fenster, mit den Fingern der rechten Hand aus den Knöcheln der linken spielend, wie jemand, der voll innerer Unruhe ist.
„Hier ist sie," sagte Frau Kniehase und schritt wieder auf die Thür zu.
„Bleibe, Mutter," bat Marie.
Frau Kniehase gab ihre Absicht ans und setzte sich an das Spinnrad. „Marie, Sie wissen, weshalb ich hier bin," begann Othegraven nach einer kurzen Pause.
„Ja, die Mutter hat es mir eben gesagt."
„Hat es Sie überrascht?"
„Wir kennen uns erst kurze Zeit."
„Das Herz, wenn es überhaupt sprechen will, spricht schnell. Es ist jetzt ein halbes Jahr, Marie, daß ich Sie zum ersten Male sah, es war im Park, an der Stelle, wo das Rondel ist. Ich entsinne mich jedes kleinsten Umstandes."
Marie nickte, zum Zeichen, daß auch ihr der Tag in Erinnerung geblieben sei.
„Es war ein Besuch da," fuhr Othegraven fort, „der Steinhöselsche Herr von Massow, der junge Herr von Burgsdorff und Dr. Faulstich ans Kirch-Göritz; Sie spielten Reifen, und ich hörte schon von fern Ihr Lachen, als ich mit dem alten Herrn von Vitzewitz die große Rüsternhecke herauf kam. Fräulein Renate, in einem hellblauen Sommerkleid, stand Ihnen gegenüber. Als ich dann an dem Spiele theilnahm und Ihnen mit ungeübter Hand die Reifen zuwarf, singen Sie jeden auf, ob er zu kurz oder zu weit flog. Ihre Geschicklichkeit glich aus, was der meinigen fehlte. Ich habe nichts davon vergessen, und als ich an jenem Abend nach Frankfurt zurückfuhr, wußte ich, daß ich Sie liebte."
Marie schwieg; das Spinnrad surrte, man hätte eine Nadel fallen hören.
„Haben Sie mir nichts zu sagen, Marie?"
Sie schritt jetzt rasch auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte mit einer Entschlossenheit, in der das voraufgegangene Bangen nur noch leise nachklang: „Es kann nicht sein; Sie selbst haben mir die Antwort auf die Lippen gelegt, als Sie sagten, das Herz spräche schnell, wenn es überhaupt sprechen wollte." Dann, barg sie das Gesicht in ihre Hände und rief: „Ach, bin ich undankbar?"
„Ich habe keinen Anspruch ans Ihren Dank, Marie."
„Und doch bin ich undankbar, vielleicht nicht gegen Sie, aber gegen mein Geschick. Ich war nicht so jung, als ich in dieses Haus kam, daß ich hätte vergessen können, was ich vorher war. Und wenn ich es ja vergessen hätte, so würde mich das Kreuz, das oben auf meines Vaters Grabe steht, jeden Tag daran erinnert haben. Die Art, wie mich Gott geführt, legt mir besondere Dankespflichten auf, und ich weiß nicht, ob ich diese Pflichten erfülle, wenn ich jetzt einfach sage: mein Herz spricht nicht, es sollte vielleicht sprechen; aber es schweigt. Und so muß es denn bleiben, wie es ist. Es trennt uns etwas, ein Unterschied der Naturen, den ich nicht zu nennen weiß, der aber da ist, weil ich ihn empfinde." Marie schwieg.
„So habe ich denn wenigstens Gewißheit empfangen," nahm Othegraven das Wort, „und das Traurigste, was es gibt, hoffnungslos zu hoffen, ist mir erspart geblieben. Sie haben es verschmäht, sich hinter Halbheiten zu flüchten; ich danke Ihnen dafür. Auch dies zeigt mir, wie richtig meine Neigung wählte, richtig aber nicht glücklich. Und es ist ohne Bitterkeit, Marie, daß ich von Ihnen scheide; denn das Herz läßt sich nicht zwingen. Und ob ich es gleich wünschte, daß sich das Ihrige anders entschieden hätte, so weiß ich doch, daß es sich entschieden hat, wie es sich entscheiden mußte."
Er reichte erst Marie, dann der Mutter die Hand und verließ das Haus, in dem ein kurzes Gespräch über sein Glück den Stab gebrochen hatte.
Eine Stunde später fuhr er wieder auf Frankfurt zu.
„Lieber Freund," so waren des Pastors letzte Worte gewesen, „ich beobachte das Leben nun vierzig Jahre, und immer wieder habe ich wahrgenommen, daß sich Männer Ihrer Art