- 396
nommen, das Glockenspiel klang, und die rothen Büsche nickten.
Ihr Weg ging erst tausend Schritt auf der Küstriner Straße zwischen den Pappeln hin, ehe sie nach links in die weite Schneefläche des Bruchs einbogen. Als sie die Stelle passirten, wo der Ueberfall stattgesunden hatte, zeigte Tubal scherzend nach der Waldecke hinüber und beschrieb der Schwester seinen Wettlauf über den Sturzacker hin.
„Und das alles im Ritterdienste Hoppenmariekens. Wer hielt je treuer zu seiner Devise: inou ooour aux cttnmstt
„Es müssen eben Zwerginnen kommen, um Euch zu ritterlichen Thaten anzuspornen. Sonst laßt ihr andere eintreten in Thaten und Gesang, und wenn es Doktor Fanlstich wäre.
Im übrigen ist es Zeit, Lewin, daß wir unsere Lektion beginnen. Ich weiß vorläufig nur, daß die erste Strophe mit einem Reim auf Guse abschließt; Muse, Guse. Ich glaube, die ganze Melpomeneidee wäre nie geboren worden, wenn dieser Reim nicht existirt hätte."
Nun begann unter Lachen das Recitiren, und immer, wenn eine neue Strophe bezwungen war, salntirte Lewin, und der Knall seiner Schlittenpeitsche, dann und wann das Echo weckend, hallte über die weite Schneefläche hin. So hatten sie Golzow, bald auch Langsow passirt und der Guser Kirchthurm wurde schon zwischen den Parkkäumen sichtbar, als plötzlich die Ponies, deren schwarze Mähnen von Nenneeifer wie Kämme standen, ihnen zur Seite waren und der alte Vitzewitz in seinem Kalesch- wagen sich anfrichtend, zu Kathinka hinrüber rief: „Gewonnen!"
„Nein, nein!" Und nun begann ein Wettfahren, in dem als nächstes Objekt die Verse des Doktors und gleich darauf alle Gedanken an Prolog und Melpomene über Bord gingen. Auch über die Braunen, die vor den Schlitten gespannt waren, kam es wie eine ehrgeizige Regung alter Tage, aber der Vortheil ihrer größeren Schritte ging bald unter in dem Nachtheil ihrer längeren Dienstjahre, über die nur einen Augenblick lang die jugendlich machenden Schneedecken hatten täuschen können, und um ein paar Pferdelängen voraus donnerte der Kalesch- wagen über die Sphinxenbrücke und hielt als erster vor dem Schloß. Berndt hatte das Spritzleder schon zurückgeschlagen, sprang herab und stand rechtzeitig genug zur Seite, um Kathinka die Hand reichen und ihr beim Aussteigen ans dem Schlitten behilflich sein zu können.
„Da hast Du die gewonnene Wette," sagte sie, dem Alten einen herzhaften Kuß gebend, während sie zugleich zu Lewin gewandt hinzusetzte: „Voilä notro auoion reZünitz."
Dann traten sie in die geheizte Flurhalle, wo Diener ihnen die Mäntel und Pelze abnahmen.
In dem blauen Salon der Gräfin war heute der „weitere Zirkel", dem außer einigen unmittelbaren Nachbarn von Tempelberg, Quilitz und Friedland her, auch der Landrath und der neue Selowsche Oberpfarrer angehörten, schon seit einer halben Stunde versammelt und theilte seine Aufmerksamkeiten zwischen der Wirthin und ihrem bevorzugten Gaste, Demoiselle Atteste. Diese, wie sie zugesagt, war bereits einen Tag früher eingetroffen, und in Plaudereien, die sich bis über Mitternacht hinaus ausgedehnt hatten, war der alten Rheinsberger Tage, der Wreechs, Knesebecks und Tauentziens, vor allem auch der prinzlichen Schauspieler, des genialen Blainville und der schönen Aurora Bnrsay mit herzlicher Vorliebe gedacht worden. Ueber Erwarten hinaus hatte das Wiedersehen, das nach länger als zweinndzwanzig Jahren immerhin ein Wagniß war, beide Damen befriedigt, von denen jede das Verdienst, sofort den rechten Ton getroffen zu haben, für sich in Anspruch nehmen durfte. Am meisten freilich Demoiselle Atteste; sie vereinigte in sich die Liebenswürdigkeiten ihres Standes und ihrer Nation. Sehr groß, sehr stark und sehr asthmatisch, von fast kupferfarbenem Teint und in eine schwarze Seidenrobe gekleidet, die bis in die Rheinsberger Tage zurückzureichen schien, machte sie doch dies alles vergessen durch den die größte Herzensgüte verratenden Ausdruck ihrer kleinen schwarzen Augen und vor allem durch ihre Geneigtheit, auf alles Heitere und Schelmische und, wenn mit Esprit vorgetragen, auf alles Zweideutige einzugehen. Was ihr anziehendes Wesen noch erhöhte, waren die Anfälle von Künstlerwürde, denen sie ausgesetzt war, Anfälle,
die — wenn sie nicht an und für sich schon einen Anflug von Komik hatten — jedenfalls in dem als Rückschlag eintretenden Moment der Selbstpersiflirung zu herzlichster Erheiterung führten. Ihre geistige Regsamkeit, auch ihr Embonpoint, das keine Falten gestattete, ließen sie jünger erscheinen als sie war, so daß sie sich, obgleich sie beim Regierungsantritt Ludwigs XVI die Phädra gespielt halte, in weniger als einer halben Stunde der Eroberung erst Drosselsteins und dann Bammes rühmen durfte.
Von diesen Eroberungen mußte ihr, ihrem ganzen Naturell nach, die zweite die wichtigere sein. Drosselsteins hatte sie viele gesehen, Bammes keinen, und den Tagen der Liebesabenteuer auf immer entrückt, hatte sie sich längst daran gewöhnt, den Werth ihrer Eroberungen nur noch nach dem Unterhaltungsreiz, den ihr dieselben gewährten, zu bemessen.
Sie war darin der Gräfin verwandt, nur mit dem Unterschiede, daß diese das Aparte überhaupt liebte, während alles, was ihr gefallen sollte, durchaus den Stempel des Heitern >
tragen mußte. Dabei war ihr überraschender Weise auf der Bühne "
das Komische nie geglückt, und nur in Rollen, die sich auf Gattenmord oder dergleichen aufbauten, hatte sie wirkliche Triumphe gefeiert. !
Es wurde schon der Kaffee gereicht, als die Hohen-Vietzer (
eintraten und auf Tante Anttlie zuschritten. Diese, nach Herz- i
licher Begrüßung, erhob sich von ihrem Sophaplatz, um ihren Liebling Kathinka — die kaum Zeit gesunden hatte, von Renatens Unwohlsein und der momentan in Gefahr gerathenen !
Melpomenerolle zu sprechen — mit ihrem französischen Gaste
bekannt zu machen.
Demoiselle Atteste brach ihr Gespräch mit Bamme ab und trat den beiden Damen entgegen.
,,-lo 8U18 ollarmös ctt V0U8 voir," begann sie mit Lebhaftig- ! keit, „Naclamo la Oomt6880, votro ollöro taute, itta bean- (
eoup parle cko voas. Vorm öto 8 polouaiLe. Vb, s'aiiue bearr-
eoup le 8 Uoloimm. 118 sollt torrt-a-tait los Uraru,mi 8 ckrr Xorck. Vorm 8avs2 8 arm clorrte grre le Urinoo Uoirri otait sur ls poiitt ck'aooaptor 1 a ovuroaus clo LoloZuo." (Ich bin entzückt, Sie zu sehen. Die Frau Gräfin, Ihre liebe Tante, hat mir viel von Ihnen erzählt. Sie sind eine Polin. Ach, ich liebe die Polen sehr. Sie sind ganz und gar die Franzosen des Nordens.
Sie wissen ohne Zweifel, daß Prinz Heinrich nahe daran war, die polnische Krone anzunehmen.)
Kathinka hatte nie davon gehört, hielt aber mit diesem Geständniß klüglich zurück, während Demoiselle Atteste das immer politischer werdende Gespräch in Ausdrücken fortsetzte, die, was Bewunderung für den Prinzen und Abneigung gegen den königlichen Bruder anging, selbst Tante Amölie kaum gewagt haben würde. Das Thema von der polnischen Krone bot die beste Gelegenheit dazu.
„Dem „Al'llllä Urocttrio", fuhr sie mit spöttischer Betonung seines Namens fort, „sei der Gedanke, seinen Bruder als König eines mächtigen Reiches zur Seite zu haben, einfach unerträglich gewesen. Es habe freilich, wie das immer geschähe, nicht an Versuchen gefehlt, die eigentlichen Motive mit Gründen „hoher Politik" zu verdecken; sie aber wisse das besser, und der Neid allein habe den Ansschlag gegeben."
Kathinka, die von dem Prinzen nichts wußte als seinen Weiberhaß, nahm aus diesem krankhaften Zuge, der ihn ihr unmöglich empfehlen konnte, eine momentane Veranlassung zu Loyalität und Vertheidigung des großen Königs her, bis sie sich endlich lächelnd mit den Worten unterbrach: „Llais cpmlls bötmo; so Lmis polormmo clo tout uwn oosur et um voilü prüts ä, travaillsr pomi- lo roi cko Lrusso." (Aber Welche Dummheit; ich bin eine Polin von ganzem Herzen, und da bin ich drauf und dran, für den König von Preußen zu arbeiten!)
Damit brach der politische Theil ihrer Unterhaltung ab und glitt zu dem friedlichen Thema der nahe bevorstehenden Theatervorstellung über. Aber auch hier kam es zu keinen vollen Einigungen. Immer wieder vergeblich wurde von Seiten Kathinkas geltend gemacht, daß sie als Prolog sprechende Melpomene ein natürliches Anrecht habe, in die Geheimnisse Dr. Faulstichs und seiner künstlerischen Hauptkraft: Demoiselle Alcestes eingeweiht zu werden. Diese blieb dabei, daß es zu