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dem Anmuthigsten des Theaterlebens gehöre, die Akteurs und Aktricen sich wieder unter einander überraschen zu sehen. Und solch heiteres Spiel dürfe nicht muthwillig gestört werden.
Während dieses Gespräch in der großen Fensternische geführt wurde, die den Blick in den Park und die untergehende Sonne hatte — nur ein Streifen Abendroth lag noch am Himmel — hatten sich Tubal und Lewin zur Seite der Tante niedergelassen, um über die jüngsten Hohen-Vietzer Ereignisse zu berichten. Der Kreis wurde bald größer. Erst Krach und Medewitz, dann der Lebuser Landrath sammt dem Selowschen Oberprediger, zuletzt auch Baron Pehlemann, der, einen Rest von Padogra mißachtend, in oft erprobter Gesellschaftstreue sich eingefunden hatte, alle rückten näher, um sich von dem Einbruch der Diebe, von dem Auffinden der beiden Landstreicher auf dem Rohrwerder und endlich von der Haussuchung bei Hoppenmarieken erzählen zu lassen. Niemand folgte gespannter als Tante Amölie selbst, die, neben einer natürlichen Vorliebe für Einbruchsgeschichten, eine herzliche Genugthuung empfand, die von ihrem Bruder vermutheten französischen Marodeurs sich einfach in Muschwitz und Rosentreter verwandeln zu sehen. Der überlegene Charakter Berndts war ihr zu oft unbequem, als daß ihr der Anflug von Komischem, der dadurch auf seine Pläne fiel, nicht hätte willkommen sein sollen.
Und doch waren es gerade wieder diese Pläne, die, während die Schwester im Stillen triumphirte, den Bruder aus das lebhafteste beschäftigten. In demselben: Augenblicke, wo die Vorstellung Kathinkas das bis dahin zwischen Demoiselle Alceste und Bamme geführte Gespräch unterbrochen hatte, hatte sich Berndt des alten Generals zu bemächtigen gewußt, und ihn bei Seite nehmend, war er nicht säumig gewesen, ihm seine bis dahin nur flüchtig angedeuteten Gedanken über Insurrektion des Landes zwischen Oder und Elbe zu entwickeln. Der Hauptpunkt blieb immer die Volksbewaffnung L.toat xrix, also mit dem Könige wenn möglich, ohne den König wenn nöthig. In Betreff dieses Punktes aber war Berndt gerade dem alten General gegenüber nicht ohne Sorge. Bamme gehörte nämlich jener unter dem Absolutismus großgezogeuen militärischen Adels
gruppe zu, die aus eine Kabinetsordre hin alles und jedes ge- than und unter einem Tattrs-äs-Ouollst-König so recht eigentlich erst an ihrem Platze gewesen sein würde. So kannte Berndt den General. Er übersah aber doch zweierlei: einmal seine stark ausgeprägte Heimatsliebe,-die, wenn verletzt, sich jeden Augenblick bis zu dem unserem Adel ohnehin geläufigen Satze: „wir waren vor den Hohenzollern da" hiuaufschrauben konnte, dann seinen Hang zu Wagniß und Abenteuer überhaupt, der so groß war, daß ihm jede Konspiration angenehm und einschmeichelnd, und ein nach oben hin gerichteter Absetzungsversuch, weil seltener und aparter, vielleicht noch anlockender als ein von oben her angeordneter Unterdrückungsversuch erschien. Ohne Grundsätze und Ideale, war sein hervorstechendster Zug das Spielerbedürfniß; er lebte von Aufregungen.
Berndt, als er ihm alles entwickelt hatte, setzte ruhig hinzu: „Da haben Sie meinen Plan, Bamme. Seine Loyalität kann bestritten werden. Wir stehen ein für das Land; Gott ist mein Zeuge, auch für den König. Aber wenn wir die Waffen wider seinen Willen nehmen, so kann es uns auf Hochverrats, gedeutet werden. Ich bin mir dessen bewußt, und ich spreche es aus."
Bamme hatte während dieser letzten Worte lächelnd an seinem weißen Schnurbart gedreht: „Es ist, wie Sie sagen, Vitzewitz. Aber was thut's! Wir müssen eben unsere Haut zu Markte tragen; das ist hier Landes so der Brauch. Ich weiß genau, wie sie es da oben machen, oder sagen wir lieber, wie sie es machen müssen; denn ich glaube, sie haben keine Wahl. Es wird damit beginnen, daß man uns verleugnet, immer wieder und wieder, immer ernsthafter, immer bedrohlicher. Aber mittlerweile wird man abwarten und unser Spiel mit Aufmerksamkeit und frommen Wünschen verfolgen. Glückt es, so wird man den Gewinn: ein Land und eine Krone, ohne weiteres acceptiren und uns dadurch danken, daß man uns — verzeiht; mißglückt es, so wird man uns über die Klinge springen lassen, um sich selber zu retten. Es kann uns den Kopf kosten; aber ich für mein Theil finde den Einsatz nicht zu hoch. Ich bin der Ihre, Bitzewitz." (Fortsetzung folgt.)
Mdagogische Briefe.
Nachdruck verboten. Ges. v. 11./IV. 7v.
Von I). W. Herbst.
I. Offene oder geschlossene Bildungsanstalten?
Sie wünschen, geehrteste Herren, daß ich mich zunächst über die Frage ausspreche, ob offene oder geschlossene Bildungsanstalten für die deutsche Jugend der höheren Stände den Vorzug verdienen. Ihr Wunsch entstammt dem guten Glauben, diese Frage berühre das Interesse vieler Familien, in welchen Ihr Blatt heimisch ist, und dem freundlichen Vertrauen, ich sei vor manchen andern in der Lage, ein aufklärendes Wort gerade hierüber zu sagen. Darf ich annehmen, daß ich mit dem Versuch, die Frage kurz zu beantworten, irgendwie anregen oder fördern könnte, so folge ich jetzt Ihrer Aufforderung um so lieber, da schwere Leiden mich für längere Zeit meinem eigentlichen Lebensberuf, einer praktischpädagogischen Thätigkeit fern halten. Mitten in der Praxis finden sich zum Formuliren von Grundsätzen und Erfahrungen kaum Zeit und Neigung, in der Muße hilft diese erinnernde Thätigkeit eine oft hart empfundene Leere ausfüllen und ertragen. Aber nicht ohne Vorbehalt trete ich Ihrem Gedanken näher. Vor dem großen Leserkreise, vor dem ich hier diese Frage zu behandeln habe, wäre es übel angebracht, auf technische, geschichtliche, statistische und kritische Einzelheiten, wie sie lediglich vor Fachgenossen gehören, allzu tief eingehen.
Ueberblickt man den gegenwärtigen Zustand im Vaterlande, so tritt die zweifellose Thatsache vor uns, daß Neigung und Vertrauen der gebildeten Stände sich überwiegend den Bildungsanstalten des Staates zugekehrt haben, und die weitere, daß es zwar auch den wenig zahlreichen geschlossenen darunter keineswegs an Frequenz und Vertrauen fehlt, daß aber kein besonderer Trieb zu Neubildungen in dieser Richtung zu bestehen scheint. So war es nicht immer. Es ist eine interessante Beobachtung, daß in den drei Perioden, wo die
deutsche Pädagogik sich zu besonderer Energie und neuen schöpferischen Bahnen aufraffte, gleichzeitig der Trieb sich regt, geschlossene Anstalten zu gründen. So sind z. B. die sächsischen Fürstenschulen und die niederen Scminarien Würtembergs Schöpfungen der Reformationszeit, die Zeit des Pietismus hat die Franckeschen Stiftungen in Halle ins Leben gerufen, denen Anstalten der Brüdergemeinde, die ja eine Tochter jenes Pietismus ist, nachfolgteu; die Periode des Philauthropinismus, von Rousseau geweckt, hat jene Menge von Privatinstitutea geschaffen, die dann von der Schule Pestalozzis und von dem aufstrebenden Geiste der Befreiungskriege mit neuem Leben erfüllt wurden. Es kann nicht befremden, daß die Schule, von je stärkeren Impulsen sie bewegt wird, um so einseitiger darnach strebt, das Haus und seine Naturaufgabe zu verkennen. Sie strebt darnach, die Jugend ganz in ihre Hand zu bekommen und an ihr die Bildungsideale zu verwirklichen, von denen sie selbst erfüllt ist. Ja, es ist oft Bewußtsein und Methode darin, wenn die Schule dem Einfluß des Familienlebens, dem sie mißtraut, ihre Zöglinge möglichst entziehen will.
Heute ist das anders geworden. Zum Theil mag das in der Vermehrung und Hebung unserer offenen Staatsanstalten seinen Grund haben; nicht minder aber spricht die Ueber- zeugung mit, daß das normalere Verhältnis in dem Hand in Hand von Haus und Schule liegt, von welchem nur besondere Nothstände oder ein besonderes Maß von Vertrauen zu bestimmten Einzelanstalten dispensireu kann.
Heute treten uns zwei Arten geschlossener Anstalten entgegen, private und staatliche. Die letzteren sind, wie schon bemerkt, meist kirchliche Stiftungen, zum Theil wesentlich für die Zwecke des Kirchendienstes entstanden, ausgestattet mit den äußeren Mitteln, dem mittellosen Talent die Studienwege zu