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ebenen. Manche von ihnen, die in Städten liegen, sind zugleich offene und geschloffene Schulen, d. h. das Alumnat umfaßt nicht die ganze Schülerzahl; in den geschichtlich berühmtesten decken sich zumeist Schule und Alumnat. Es sind in ihrem Ursprung allerdings auch Wohlthätigkeitsanstalten, im Interesse des Staats- und Kirchenbedürfnisses gestiftet, aber ein anderes rein pädagogisches Motiv sprach mit: die Ueberzeugung, daß die klösterliche Abgeschiedenheit mit ihrer Sammlung und ihrer Zucht die gesundeste Lust für die Lebensentwickelung der Jugend sei. So stehen in Norddeutschland als ehrwürdige Zeugen ihrer großen Ursprungszeit die drei Fürstenschulen: Schulpforta, Meißen und Grimma, so die Klosterschulen zu Ilfeld und Roßleben da; so in Süddeutschland die vier niederen Seminarien des gesegneten Schwabenlandes, die Schöpfungen des Reformators > Brenz, „zu dem Dienst und Aemtern der gemeinen christ- lichen Kirche" errichtet: Maulbronn, Schönthal, Blaubeuren,
! Urach, durch deren Klosterräume fast alles, was in Theologie und Philosophie dort groß wurde, seinen Weg genommen hat.
Zuerst aber ein Blick auf die Privatinstitute. Ihre Entstehung und ihre Konkurrenz mit den Staatsanstalten war an sich der guten Sache der Jugenderziehung eher förderlich als nachtheilig. Sie hätten nie aufkommen können ohne die tiefen Schäden der letzteren. Ja sie traten mit einer Anklage gegen diese Gebrechen, den alten Schlendrian und die Ver- i nachlässigung der Zeitbedürfnisse auf, mochte man nun in ihnen ! die Pflege des Individuellen oder leibliche Ausbildung oder ! Rücksicht auf die Realien oder eine verbesserte Lehrmethode ^ oder endlich eine eifrigere Sorge für die religiöse und patriotische Entwickelung fordern. Und in Privatunternehmungen waren eine freiere Bewegung, kühnere Versuche möglicher als in ^ Staatsanstalten, auf denen die schwere Hand von Gesetz und ! Tradition schützend, mitunter aber auch hemmend liegt. Welchen z Reiz hat es doch für schöpferische und energische Geister, eine z Schule in Lehrplan und Lehrzielen, in Erziehungsgrundsätzen und Erziehungspraxis, frei aus der eigenen höchsten Idee zu gestalten! Aber die Zeiten der ersten Liebe dauerten auch hier ^ nicht lange. Die Privatanstalten in Deutschland sind entschieden im Abnehmen an Zahl, Wirkung, Kredit.
Eine ganz natürliche Erscheinung. Denn sie waren, so weit sie überhaupt zur Bedeutung gelangten und sich über das Niveau von Erziehnngsfabriken emporhoben, meist an Namen und Person ihres Urhebers geknüpft. Ans zwei Augen stand in der Regel ihre innere Blüte. Sie erhielten das Gepräge dieses Geistes und verkümmerten, wenn er sie verlassen hatte. Manche erlebten eine klassische Periode, wo die Macht einer ! großen Persönlichkeit sich unwiderstehlich dem Ganzen aufprägte und geistweckend, charakterbildend wirkte, wie es eine gewöhnliche Anstalt kaum vermag. Aber es ist ein ephemerer Glanz. Es fehlen die Bürgschaften der Dauer, der Stabilität. Wo sind die Schöpfungen der Basedow, Campe, Salzmann, Fellen- berg u. a. überhaupt geblieben oder was ist aus ihnen geworden? Eines der namhaftesten Institute der Art in Norddeutschland hat sich aus einem Privatunternehmen in eine Staatsanstalt verwandelt. Gewiß haben die besten dieser Erziehungshäuser mehrfach anregend auf das stockende Leben der Staatsinstitute gewirkt, aber selbst auf der ursprünglichen Höhe haben sie sich nicht behaupten können. Ja sogar zur Zeit, wo die Schöpfer und Meister noch im frischesten Wirken standen, tvie tiefe innere Mängel verriethen oft, daß einer nicht alles kann. Auch in besseren Zeiten kämpften jene Anstalten mitunter den „Kampf ums Dasein". Abhängigkeit von Gunst und Erfolg war die bedenkliche Begleiterin der Nöthigung, auch die Bedingungen der äußeren Existenz stets im Auge zu halten. Selten trugen sie ohne Irren und Schwanken ihr eigenes Gesetz frei in sich selbst, unbeirrt von dem verwirrenden Dreinreden eines vielköpfigen Publikums. Die möglichst glänzenden Schaustellungen öffentlicher Prüfungen steigerten nur das Scheinwesen. Es war glücklicher Zufall, wenn sich die Lehrkräfte zusammenfanden, mit denen gedeihlich zu arbeiten war. Und die besten waren meist auch die selbstbewußtesten, die schwierigsten, die nach außen gesuchtesten und darum unsichersten. Zeigt sich dieser Grundschaden schon am grünen Holze, wie ganz anders
noch am dürren. Man blicke nur hinein in die meisten noch bestehenden Privatinstitute. Meist sind die Lehrer selbst noch Lehrlinge, Anfänger ohne sichere Hand, und die jungen Elemente werden nicht ergänzt durch gewiegte, erfahrene. Gegenwärtig ist (vielleicht mit Ausnahme der Hansastädte) die Konkurrenz der Staatsanstalten, an denen die tüchtige junge Kraft rasch und gut Verwendung findet, von den privaten gar nicht mehr zu ertragen. Scheinwesen und Schwindel nagen am Mark so mancher dieser Unternehmungen. Wissenschaftliche Gründlichkeit, disziplinarischer Ernst, diese beiden Grundsäulen werden oft vermißt, und können durch Gesundheitspflege und gute Nahrung, wo solche wirklich geboten wird, durch Spiel und Dressur zu äußerem Anstand, durch Papparbeiten und die Drechslerbank unmöglich ersetzt werden.
Je mehr sich das früher oft so blinde Vertrauen von den geschlossenen Privatanstalten zurückzuziehen scheint, um so fester scheint es sich zu behaupten jenen alten Schnlgründungen gegenüber, von denen ich oben sprach. Und dies trotzdem, daß diese Anstalten an einem der Grundübel in noch höherem Grade zu leiden scheinen, als jene Privatanstalten. Mußtein diesen schon, wenn sie gewisse Dimensionen überschritten, die Rücksicht auf das Individuelle zurück-, das Schablonenhafte und Kasernenmäßige hervortreten, so scheint diese Gefahr bei so ausgedehnten Anstalten, wie z. B. die alten Fürstenschulen sind, noch ungleich größer. Sie ist da, diese Gefahr, und sie wird immer wieder bekämpft, doch nie ganz überwunden werden. Neben der Ordnung der Freiheit eine Bahn zu machen, etwas von Familienwärme hineinzupflanzen in die rechtlich geordnete Jugendgemeinschaft; den verschiedenen Altersstufen auch in den Formen der Erholung gerecht zu werden, möglichsten Spielraum zu lassen für eine individuelle Geistes- und Charakterentfaltung, alles das sind erzieherische Gesichtspunkte, welche in diesen Anstalten immer wieder gefaßt und verfolgt werden müssen. Aus diesem Streben ist vor allem das System der Tutoren entstanden, nach welchem die Schülermasse an die einzelnen Lehrer zu besonderer Aufsicht erzieherischer und seel- sorgerlicher Pflege vertheilt wird. Die Idee ist: gleichsam Familiengruppen innerhalb des Ganzen zu bilden. Freilich bleibt auch hier die Wirklichkeit hinter der Idee weit zurück. Aber in den bedeutendsten dieser Anstalten erzieht ein Faktor mit, den jene Eintagsschöpfnngen privater Anstalten nicht kennen: der asprit cts 60I-P8, der da weiß, daß der einzelne Schüler — und wenn er der jüngste wäre — mit seinem Eintritt in die Anstalt sich anschließt an eine lange Reihe zum Theil großer Namen, die ihm das „moblsLsa obligs" fort und fort zurusen. Schulpforta mit seinem Klopstock, Meißen mit seinem Lessing und so vielen anderen Namen besten Klanges üben auf den Knaben schon ihren geheimen Zauber. In ihnen spricht der Genius des Orts beredter zu der jugendlichen Seele und prägt ihr etwas von edlem Stolz ein, der, wenn er auch nicht überall ein Palladium gegen das Gemeine ist, so doch irgendwelche schützende Wirkung hat. Aber freilich, das Bedenken bleibt, daß das Leben in einer solchen Anstalt bis ins Einzelnste durch das Kommandowort des Gesetzes geregelt und ein gewisser Mechanismus dadurch unumgänglich wird, daß ein Alleinsein, wie es gerade sinnigeren und tieferen Naturen mitunter Bedürfniß ist, fast zur Unmöglichkeit wird in einer Gemeinschaft, wo Arbeit und Erholung, Schlaf und Essen, Gebet und Gottesdienst von allen getheilt werden, und daß dadurch die Poesie des Jugendlebens zu kurz kommt. Ganz lassen sich diese Bedenken nicht heben. Doch fehlt es nicht an Gegengewichten gegen die straffe Anspannung der ganzen Lebens- nnd Tagesordnung, der Zucht, der Zeiteintheilung, wie sie der jugendliche Geist, gerade je innerlicher und eigenartiger er angelegt ist, um so schwerer erträgt. Ein solches liegt in den alten Fürstenschulen z. B. in den freien Studientagen, die der eigenen Wahl geistiger Thätigkeit einen weiteren Spielraum lassen, in dem frohen Glauben, daß aus der Freiheit die Liebe geboren werde. Bei einzelnen dieser Anstalten tritt der Verkehr mit einer freien schönen Natur hinzu, dieses beste Correctiv für den Druck und Zwang notwendiger Gesetzlichkeit. So werden der schwäbischen Jugend die Berg-