Heft 
(1990) 49
Seite
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einsichtige Einzelinterpretationen zu Ellernklipp und Effi Briest, Irrungen, Wirrungen, Unwiederbringlich, Frau Jenny Treibei, Die Poggenpuhls und Der Stechlin. Dabei erweist sich Bance' Arbeit als lohnend für einen breit gefächerten Leserkreis, sowohl als Einführung für den angelsächsischen Neu­ling (alle Zitate z. B. sind meist sehr treffend ins Englische übertragen) als auch für den mit dem Werk Fontanes vertrauteren Leser.

Kapitel 1 und 2 erläutern die Grundlage für Bance' Überlegungen, d. h. die Annahme von "tension and Opposition between objective faithfulness to 'facts' and a higher or poetic truth" (S. ix) oder, wie an anderer Stelle ausgedrückt "the theory of a dialectic of conflict between Prosa and Poesie" (S. 2) in den Romanen Fontanes. Dabei folgert der Verfasser letztlich, daß Fontanes poetische Entwicklung sich ungebrochen vollzieht, denn "poetry is refined not rejected" (S. 9). Außer dieser These enthalten die beiden Anfangskapitel zudem einen wertvollen Überblick über die einschlägige Fontane-Literatur, vor allem jün­geren Datums, und ihre Stellung zum gewählten Thema. Insbesondere stützt sich Bance dabei auf die Ergebnisse Müller-Seidels, Freis und Austs sowie, im sozialhistorischen Bereich, auf die Aussagen Sagarras und Attwoods.

Der Verfasser ist besonders erfolgreich bei seiner kontrastierenden Skizzierung der gesellschaftlichen Lage und kulturellen Strömungen im 19. Jahrhundert in England und Deutschland. Er trägt damit zu einer Vertiefung des Verständ­nisses bei für dieangelsächsischen Züge" im Werke Fontanes, die einen so wesentlichen Anteil an seiner künstlerischen Besonderheit im deutschen Sprachraum tragen. So erkennt Bance z. B. die Verbindung zu George Henry Lewes' Realismustheorie und folgert sehr richtig, daß Fontane einerseits "reaches back to the best classical-humanist tradition of Germany," während er ^zugleich "an Anglo-Saxon, pragmatic version of realism" ergreift, "not opposed to German idealism, but simply immune to its Iure of the transcen- dental" (S. 6).

Weiterhin argumentiert Bance für eine Kontinuität desPoetischen" im Prosa­werk Fontanes, eines Begriffs, den er zum Teil mit dem desRomantischen" gleichzusetzen scheint (vergl. z. B. S. xv, 1, 12, 20) und als Antonym gebraucht zum Begriff des Realistischen und derProsa". Mag die Anwendung dieser Termini auch im Hinblick auf den Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts (und Fontanes) historisch plausibel erscheinen, so hätte sich eine weniger prag­matisch orientierte und kritischere Begriffsbildung vielleicht für den Literatur­historiker als erhellender erwiesen. Allerdings ist sich der Verfasser selbst der Möglichkeit solch eines Einwandes bewußt (S. 2). Mir persönlich erschiene eine Terminologie angebrachter, die weniger leicht dazu führte,Poesie" und das Poetische" mit äußerlichen Stilmerkmalen oder romantisierenden Elementen gleichzusetzen und somit auchProsa" mitprosaisch" oderrealistisch" mit unvermittelter Faktenwiedergabe zu verwechseln. Denn einmal argumentiert Bance selbst im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur deutschen Roman­theorie des 19. Jahrhunderts (S. 6-9) überzeugend gegen solch eine Gleich­stellung, zum anderen scheint dies mir im Widerspruch zu stehen zu den Aus­sagen Fontanes, der kontinuierlich (z. B. durch den bekannten Ausdruck der Verklärung") darauf hinwies, daß dasPoetische" per definitionem Teil rea­listischer Kunst sein muß. Fontane erfaßt es somit schon als Ausdruck der Fiktionalität realistischer Prosa und entkräftet implizit das Welleksche Argu-

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