ment, daß die Theorie des Realismus „schlechte Kunst" bedeutete, weil sie eben diese wesensbedingte Fiktionalität aller Kunst in Betracht zöge.*
* Vergl. Rene Wellek, Concepts of Criticism, New Haven und London, Yale University Press 1963, S. 255.
Doch möchte ich nicht zu weit von Alan Bance’ Text abschweifen. Im folgenden argumentiert Bance wie Frei für eine Sicht der Frau im Werk Fontanes als "natural standard-bearers of the poetic," da sie ausgeschlossen ist "from the masculine world of indepedent action" (S. 30). Der Verfasser wählt dann auch entsprechende Romane Fontanes zur eingehenderen Betrachtung aus, wobei im allgemeinen der Frau als Trägerin des Poetischen der Mann als Verkörperung des Prosaischen entspricht: ”[W)omen incorporate the poetry of Romantik as against the prose of the banal male figures; ..." (S. 34). (Jenny, Corinna und Marcell in Frau Jenny Treibei bilden in mancher Hinsicht eine Ausnahme zu dieser Regel — s. z. B. S. 159.) Es führte in unserem Zusammenhang zu weit, Bance' sorgfältige, detaillierte und immer wieder zu neuen Einsichten anregende Interpretationen im einzelnen wiederzugeben. Ich beschränke mich daher auf einige Beispiele.
Das erste Kapitel zur Werkanalyse behandelt die Weiterentwicklung des poetischen Elements in Fontanes Romanen, indem es Ellernklipp und Effi Briest einander gegenüberstellt. Bance baut dabei auf höchst produktive Weise auf Erkenntnissen Leckeys zum Balladesken in Fontanes Romanen auf und stellt überzeugend den künstlerischen Stellenwert Effi Briests heraus; denn er sieht darin ein Werk, das seiner Konzeption nach fast „modern" erscheint, da es der Flaubertschen Auffassung vom "livre sur rien" nahesteht, die den Roman des 20. Jahrhunderts charakterisiert (S. 54). (Ähnlich gut beobachtet Bance, dal) "language events" bei Fontane "real events in the action" gleichkommen [S. 50], was meines Erachtens ebenfalls wesentlich zur Modernität des Autors beiträgt, die bekannter mähen schon von Heinrich Mann postuliert wurde, und wobei es auch Verbindungen zu Brechts Theorie der gestischen Rede zu ziehen gäbe.) Zu wünschen bliebe bei diesem Kapitel lediglich einmal eine eindeutigere Klarstellung der qualitativen Unterschiede zwischen Ellernklipp und Effi Briest und zum zweiten eine differenziertere Betrachtung Innstettens, dessen „Prosaität", die ihm als Repräsentanten einer im Untergang begriffenen Klasse unbestreitbar zukommt, etwas zu ausschließlich betont wird. Dies wiederum führt zu einer etwas zu uneingeschränkt „poetischen" und positiven Sicht der Gestalt Effis, was dazu verleiten könnte, sich der sozialkritischen und implizit utopischen Komponente in der Darstellung Effis nicht voll bewußt zu werden. Es ist nicht nur der Fall, daß Effis "quiet acceptance of her fate has Fontane's Support" (S. 26). In der — durchaus sympathischen — Gestalt Effis liegt zugleich Kritik an ihren Grenzen und somit die Herausforderung an den Leser, nicht nur menschlichere Werte zu vertreten als die Wilhelminische Gesellschaft — wie Bance selbst andeutet (S. 73) — sondern dabei auch eine Überlebenskraft zu zeigen, die der späten Repräsentantin des Adels nicht mehr zukommen konnte.
Im Gegensatz zu Effi offenbart Lene Nimptsch in Irrungen, Wirrungen diese Kraft, wie Bance in seinem ebenfalls durchaus lesenswerten Kapitel über diesen Roman bemerkt. Er zeichnet mit charakteristischer Sensibilität das subtile Netz von Vorausdeutungen und Rückbeziehungen nach, die Vielfalt symbolträchtiger
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