Heft 
(1878) 27
Seite
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Urtheil über Menschen und Dinge gewesen; ja sie hatte, wie man sich etwas trivial auszudrücken pflegt:ein Maul wie ein Schwert" und bediente sich dieser zweischneidigen Waffe insbesondere mit Vorliebe, wenn es galt einen wirklichen oder vermeintlichen Angriff auf die Ehre und das Ansehen ihres Handwerks oder ihrer Familie abzuwehren.

Nie hatte sie sich inniger an eine Seele anschließen können; zu stolz, um zu denen herabzusteigen, die sich unter ihr fühlten, und zu stolz, um die Freundschaft derjenigen zu werben, die über ihr standen, war sie stets ihre eigenen Wege gegangen. Selten ließ sie sich zu einem ersten Gruße herbei, und auch ihr Dank hatte einen Beigeschmack von Herablassung, der ihn gar vielen unausstehlich machte. Jedermann fand sie hochmüthig und sie war allgemein unbeliebt. Mit Nachdruck behauptete sie zwar stets, daß ihr nichts am Urtheil der Leute liege, aber wie sehr sie sich durch ihre Schroffheit selbst im Lichte staud, dies sollte iu einem Punkte zu Tage treten, der ihr so ganz gleichgiltig doch vielleicht nicht war.

Welchen Anspruch auf Achtung auch ein stark entwickeltes Rechtsgesühl, eine stets fertige Redegewandtheit, ein unbeug­samer Stolz und ein empfindliches Ehrgefühl unter Umständen erheben können, sie hatten keinen Reiz in den Augen der jungen Gesellen ihrer Vaterstadt, die offenbar viel frivolere aber an­ziehendere Eigenschaften an den Mädchen aufsnchteu. Ursel blieb nicht nur auf den Tanzböden, sondern auch im übrigen sitzen und verbarg den geheimen Groll, den sie, ohne es sich selbst einzugestehen, im Grunde des Herzens darüber empfand, hinter schon damals nicht mehr neuen Theorien über die Unzuver­lässigkeiten und den Unverstand der Männerwelt.

So war sie allmählich an der Grenze des jugendlichen Alters angelangt, als plötzlich eines Tages der todtgeglaubte Vetter in die Vaterstadt zurückkehrte. Er hatte nach verschie­denen vorausgegangenen Schicksalen Kriegsdienste genommen und trug die Spuren ausgestandener Gefahren allgemein sicht­lich in den Schrammen, die über sein hübsches Gesicht hin­liefen. Als ob es sich um etwas Selbstverständliches handle, ließ er sich bei Ursel häuslich nieder, und ehe man sich noch darüber ausgesprochen, wie sie wohl zusammen auskommen würden, versetzte eines Tages die Stadt die Kunde in Staunen, daß die Schwertursel ihren Vetter heirathen werde.

Es ging sehr lustig und üppig auf dieser Hochzeit her; Ursel hatte offenbar ihre Truhen mit den kostbaren Gewand­stücken geöffnet, und auch ihr kriegsinvalider Bräutigam sah stattlich genug ans. Nichtsdestoweniger stellte sich alsbald her­aus, daß diese Ehe nicht unter einem glücklichen Stern ab­geschlossen worden war. Die beiden Gatten lebten nur kurze Zeit iu Friedeu uud Eintracht; daun brach der Streit aus und wuchs an, bis er zuletzt stadtkundig wurde. Oft genug, wenn man an dem einst so friedsamen Hause vorüberging, konnte man Ursels keifende Stimme durch die Fenster schmettern hören, und es klang dazwischen wie Donner zum Blitz, wenn Sixt Dornbusch seine Fäuste auf den Tisch schlug und dazu einen jener derben Flüche ausstieß, wie er sie im Lager ge­lernt hatte. Im übrigen blieb er so wenig zu Hause als möglich.

Jedermann fühlte, daß diese Zustände allmählich unhalt­bar werden würden, und man war auf das Schlimmste ge­faßt, als eines Tages Streit und Zank wie mit einem Schlage plötzlich verstummten. Man hörte weder von Ursels schriller Stimme, noch von Sixts accompagnirenden Flüchen mehr etwas; sie erschien nicht mehr in der Kirche, er nicht mehr in den Wirthshäusern; beide waren wie vom Erdboden verschwunden!

Unter Besprechungen, welche diese Mißverhältnisse und ihr auffallend jähes Ende zum Gegenstand hatten, war ein Theil der Kirchgänger nunmehr vor Ursels Hause angelangt. Heute waren selbst die Läden geschlossen geblieben, und das Haus kauerte so unheimlich ausgestorben zwischen den festlich gescheuerten Nachbaren, daß jemand unwillkürlich auf den Gedanken kam, es müsse hier ein Unglück geschehen sein, und es sei Christen­pflicht dem Nächsten beizuspringeu, indem man sich in erster Linie über den Thatbestand vergewissere. Diese Anschauung, welche zu gleicher Zeit einen willkommenen Vorwand lieferte,

eine begreifliche Neugier zu befriedigen, fand sofort allgemeinen Beifall. Ein Theil der beherzteren Anwesenden begab sich ins Vordertreffen und fing an, die Fensterläden mit Klopfen zu bearbeiten, zuerst ganz sachte, dann immer lauter und unge­stümer, gleich als gälte es, einen Todten aufzuwecken.

Es dauerte eine Zeit lang, bis darauf ein Lebenszeichen von innen erfolgte; ja es geschah dies eigentlich erst, als die Bemühungen der Anstürmenden sich bis zu dem Versuche steigerten, das Schloß gewaltsam zu sprengen. Da flog die Thüre mit einem Male auf und Ursula Dornbusch erschien auf der Schwelle. Nun prallten selbst die Unternehmenderen zurück und keiner schien Lust zu verspüren, dem ersten Feuer Stand zu halten.

Die Schwertursel war von einer bei einem Weibe unge­wöhnlichen Körpergröße, und eine gewisse trockene Magerkeit ihrer Formen erhöhte noch den männlich resoluten Charakter, der ohnehin in ihrer Erscheinung lag. Ihr Gesicht trug regel­mäßige, fast schöne Züge; nur war es nicht ganz frei von jener hölzernen Starrheit, die man zuweilen bei Madonnen­bildern der altdeutschen Schule beobachtet.

Was will man von mir?" rief sie mit rauher Stimme, während sie, wie um sich den Rückzug zu sichern, mit der Rechten den schweren Klopfer ihrer Thüre festhiclt.

Ist Sixt Dornbursch, Euer Mann, nicht zu Hause?" srug es nach einer Pause kleinlaut ans der Menge.

Was geht Euch Sixt Dornbusch, mein Mann an, Veit Rehlen?" erwiderte Ursel dräuend,und was, ob er zu Hause oder nicht zu Hanse ist? Findet Ihr sonst keinen mehr außer ihm, mit dem Ihr Eure Morgenandachteu in der Trinkstube abhalten könnt, und der sich dazu hergibt, mit Euch bis iu die sinkende Nacht hinein hinter dem Kruge zu sitzen, als gälte es, sich die Seligkeit durch Saufen zu gewinnen?"

Veit Rehlen verstummte, denn er schien genug an dieser Antwort zu haben. Aber ein anderer frng weiter:Ist er unpäßlich?"

Seid Ihr ein Doktor," warf ihm Ursel entgegen,daß Ihr Euch so viel um die Krankheiten der anderen kümmert? Ihr thätet besser, für Eure eigene Gesundheit zu sorgen, denn Euer Gevatter ist knöchern uud sitzt Euch im Nacken, uud die einzige Nachtigall, die Ihr noch schlagen hört, ist das Käuz­lein auf dem Dach."

Der Angeredete erblich und ein Schauer lief durch die Versammlung.

Was das für gottlose Reden sind!" legte sich dann eine Nachbarin ins Mittel.Wir sind in der besten Absicht her­gekommen, um Euch unsere Hilfe anzubieten für den Fall, daß Euch ein Unglück betroffen haben sollte."

Naseweise Weiber haben nie ein Unglück wieder gut ge­macht, das jemand betroffen. Ich will niemand und brauche niemand! Geht und kümmert Euch um Eure eigenen An­gelegenheiten!"

Damit wandte sie sich ab und wollte den draußen Stehen­den die Thüre vor der Nase zuschlagen. Aber während sie noch erhitzt sprach und keifte, hatte sich eine Gestalt durch die Menge bewegt, vor der alle mit sichtlichem Abscheu zurückgewichen waren, um Platz zu machen.

Es war ein Mann in einen kurzen Mantel gehüllt, durch dessen Risse etwas wie ein Amtsabzeichen hindurchschimmerte. Mit langen schnellen Schritten erstieg er die Stufen, die zu dem Hause mit den drei Schwertern emporführten, legte die Hand auf Ursels Schulter und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr, ob deren ein aschfarbener Schatten über ihr Gesicht hin­glitt. Dann verschwanden beide hinter der Hausthüre, um nach wenigen Minuten wieder zum Vorschein zu kommen. Ursel hatte ein Tuch umgeworsen, das fast die ganze obere Hälfte ihres Gesichtes bedeckte und folgte nun schwankenden Schrittes dem Büttel aufs Rathhaus.

Sie wurde als des Mordes dringend verdächtig ge­fänglich eingezogen. Ihr, die so stolz auf ihre Ehre, ihre Familie, ihr Besitzthum war, sollte diese unerhörte Schmach zu Theil werden! Aber die Kriminalgerichte kennen keine Rück­sicht der Person, und der Schein war in einer merkwürdigen