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Verkettung der Umstände gegen sie. Der Rath hatte Dank anonymer Denunziationen in Erfahrung gebracht, daß Sixt Dornbusch verschwunden. Seit drei Tagen war er mit keinem Auge mehr gesehen worden. Wo war er hingekommen? Dieser dunkle Punkt erforderte eine eklatante Aufhellung. Da eine solche aber trotz der Peinlichsten akkuratesten Umfragen des Rathes in Stadt und Umgebung nirgends zu finden gewesen, kam das Gericht naturgemäß auf die Idee, der Vermißte sei bei Seite geschafft worden. Viele zweideutige mißgünstige Zeugenaussagen schienen dies zu bestätigen. Nun fiel manches im Zorn gesprochene Wort schwer gravirend in die Wagschale. Die Berichte schadenfroher Nachbarinnen Ursels stimmten merkwürdig mit den Andeutungen der von ihr beleidigten Zechbrüder ihres Mannes überein. Alle drückten aus sie.
Gerichtskundig war außerdem, daß sie an ihrem ererbten Besitz mit Zähigkeit hing und daß Sixt Dornbusch ihr denselben streitig gemacht hatte. Man kannte ferner ihre frühere Abneigung gegen das Geschlecht der Männer und ihre scheinbare Unempfindlichkeit gegen zärtliche Regungen; war im Gegensatz damit die Hast, mit der sie die Ehe mit dem kaum wiedergekehrten todtgeglaubten Vetter eingegangen, nicht höchst auffallend? Daß aber diese Ehe keine glückliche gewesen, war nicht minder stadtbekannt; man wußte, daß beide Gatten sich zur Last fielen und die düsteren Aeußeruugen, die Sixt über diesen ominösen Punkt gemacht hatte, warfen darauf ein grelles Licht. Dabei war die Schwertursel ein Weib, von der man sich, wie ihre Ankläger fanden, dergleichen Handlungen Wohl versehen könne. Kräftigen Körpers und resoluten Gemüthes, wie sie sich stets erwiesen, war niemals erhört worden, daß sie vor einem Hinderniß zurückgeschreckt sei, oder daß sie sich habe allzulange von lästigen Fesseln beeinträchtigen lassen.
Dies alles wurde ihr nun vorgehalten; sie sollte Rede stehen über Widersprüche, die ihr selbst unlösbar schienen, und Punkte aufklären, die ihr selbst dunkel waren. Zum ersten Male wußte sie nicht, wo sie anfangen sollte zu reden; schaudernd griff sie sich an die Stirne und sann nach über die verschlungenen Jrrgänge des Geschehenen . . .
Wie es gekommen war, daß sic Sixt so schnell zum Manne genommen? — Sie wußte es selbst nicht, und es lag vor ihr wie ein unfaßbarer Traum, aus dem sie halb erwacht war. Die logen nach ihrer Aussage, die da behaupteten, sie sei über die Rückkehr Sixt Dornbuschs erschrocken, weil er die Hand ausstreckte, mit ihr den Besitz zu theilen, den ihr Vater hinterlassen. An ganz andere Dinge, als an schnödes Geld hatte sie denken müssen, da sie ihn zum ersten Mal wieder nach langen Jahren gesehen, und wenn es ein Schreck gewesen, der sie bei seinem Anblick befallen, so war es ein freudiger. Un- gekannte Gefühle schwellten ihre Brust, und ihr Herz schlug vielleicht zum ersten Male lauter. Sie hatte nie dergleichen an sich erfahren und vermochte sich keine Rechenschaft über den mächtigen Eindruck zu geben, den der Vetter auf sie hervorbrachte. Aber es war für sie Musik in seinem Lachen, Heiterkeit in seinem Tone, Ehrlichkeit in seinem Gesichte. Er war ein harmonischer Mensch und hatte eine Art, die Dinge leicht zu nehmen, die sie bezauberte. Selten brauste er auf; aber weit entfernt, sich über die Ausbrüche seines Zornes zu entsetzen, fand ihn Ursel alsdann am bewundernswürdigsten. Er lehrte sie, was sie bisher nie verstanden: das Aufhorchen. Stundenlang konnte sie dasitzen, beide Arme auf die Knie gestützt und das Kinn in die Hände und ihm zuhören. Es waren schnurrige Geschichten aus dem Kriegs- und Lagerleben, die er vortrng, und man empfing davon sehr häufig den Eindruck, daß er sie mit eigenen Arabesken ausziere. In der That war es ihm schwer, „bei der Stange zu bleiben", und die Phantasie ging im Laufe längerer Erzählungen fast regelmäßig mit ihm durch. Am meisten aber pflegte dies der Fall zu sein, wenn er sich die Zunge vorher etwas in der Weinstube angefeuchtet und den Geist durch die Gesellschaft lustiger Kumpane erheitert hatte. Dann waren seine Wangen höher geröthet, und seine gutmüthigen braunen Augen strahlten. Ursula wich seinem Blicke nicht jungfräulich schüchtern aus; sie starrte ihm gerade ins Gesicht und versenkte sich in das Studium seiner Züge.
Etwas seltsam fremdes und doch wieder verwandtschaftlich Wohlbekanntes lag in seinem Wesen, das sie widerstandslos fesselte und alle ihre Schärfe im Bann hielt.
Von einer finanziellen Auseinandersetzung zwischen beiden war lange keine Rede gewesen, und als endlich Ursel die Sache aufs Tapet brachte, bethenerte Sixt, damit habe es keine Eile, bis er wieder gehe. Da sie diesen Zeitpunkt nicht beschleunigen wollte, kam es zu einem Wettstreit gegenseitiger Generosität, ein Zug, der wenigstens an Ursel ganz neu war. Indessen lag ihr doch daran, ins Reine zu kommen, und eines Tages setzte sie es durch, daß Sixt sie ans das Gericht begleitete. Allein es war auch dort nicht möglich, viel ernsthafte Worte und positive Zusagen ans ihm herauszubringen, und als der Stadtammann, ein jovialer alter Herr, die eigenthümliche Disposition beider gewahrte, stellte er ihnen scherzweise den Antrag, sie sollten sich heirathen, das wäre der beste Vergleich, den sie noch dazu außergerichtlich abschließen könnten.
Ursel sagte nicht: nein; Sixt lachte. Dann wurde er nachdenklich. Er fühlte seit einiger Zeit eine gewisse Oede durch seine Stimmung ziehen. Der Herbstwind wehte über die Stoppeln seiner verlorenen Jahre hin; sein zweckloses Dasein, die unbefriedigende Art, in der er die Blume des Lebens und der Gefühle hatte verduften lassen, drückte ihn. Für diese Krankheit erwartete er wie so viele die Heilung von außen und nahm für ein Bedürfniß nach Häuslichkeit, was in Wahrheit nur ein Symptom dafür war, daß bei ihm ein Theil derjenigen Fähig-" keiten zu erlahmen und zu ersterben begann, ohne welche eine glückliche Ehe nicht denkbar ist.
Ursel hatte alles in Erfahrung gebracht, was Sixt Schlimmes nachgesagt werden konnte. Man hatte ihn überall gern gehabt, wo er hingekommen, aber er war nirgends sonderlich lange geblieben. Viele tadelten an ihm eine gewisse Zerfahrenheit und Veränderungssncht, und die Mädchen, denen er in seinen jüngeren Jahren eine Zeit lang nachgegangen, hatten hinterher offen erklärt, es sei kein Verlaß aus ihn gewesen.
Aber die Schwertursel gehörte zu denen, die keineswegs davor zurückschrecken, einen Versuch zu erneuern, der schon der ganzen Welt mißglückt war, indem sie sich sagen, die ganze Welt habe nicht verstanden, die Sache von der rechten Seite an- zupacken; sie allein verstünden es und seien in der Lage, die Fehler zu vermeiden, an denen der Erfolg bisher gescheitert.
„Es war ein rechter Unsinn, was der Stadtammann heute sagte," leitete sie die Sache ein, als sie nach Hanse zurückgekehrt waren. „Wir uns heiratheu!"
„Nun, warum nicht?" entgegnete Sixt.
Sie blickten sich prüfend an, und beide errötheten.
„Ich habe Dich ganz gern," erklärte dann Sixt nach kurzem Besinnen mit offenen: Gesichte, „und ich glaube, daß Dn sehr gut zur Frau eines Landsknechts passen würdest."
„Meinst Du?"
Er hätte „um keine Zimpserliche freien können", wie er sich ausdrückte, und das schroffe Wesen Ursels, das andere abstieß, zog den alten Soldaten um so mächtiger an, als er selbst eigentlich zu den Naturen aus weicherem Thon gehörte.
So ging es abwärts, den bekannten sanften Abhang hinunter. Sixt wurde galant, und die Schwertnrsel schien die mißklingende Nebenbedeutung ihres Spitznamens Lügen strafen zu wollen. Die Nesseln brennen nicht, wenn sie blühen; dies gilt auch von gewissen Charakteren, wenn die Macht der Liebe über sie kommt. Endlich wurden sie eines Sonntags von der Kanzel verkündet.
„Ich will schon mit ihm fertig werden," dachte Ursel bei sich. Und er war so harmlos, so kindlich naiv, daß nichts leichter schien. Es war aber gar nicht leicht. Der intime Umgang mit einem Menschen hat das Eigenthümliche, daß er gewisse glänzende Seiten abschleist, wie der Gebrauch die Vergoldung unechter Gegenstände. Der zarte Schmelz äußerlicher oberflächlicher Liebenswürdigkeit, der lockende Reiz der Neuheit und Fremde gehen bald verloren, und was verborgen lag in der Schaale, der Kern, tritt zu Tage.
An einem solchen Kern nun schien es Sixt Dornbusch zu fehlen. Ursel suchte instinktiv darnach, um darauf das Gebäude ihres ehelichen Glückes zu gründen und konnte nichts dergleichen