Heft 
(1878) 29
Seite
472
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Das Jahr 187 7. (Leipzig, Duncker und Humblot 1878.)

Wir glauben unseren Lesern einen Gefallen zu erweisen, wenn wir sie auf das vorliegende Buch aufmerksam machen. Dasselbe beschränkt sich nämlich nicht darauf, die Geschichte des vorigen Jahres zu geben, sondern bringt neben der Todtenliste auch eingehende anziehende Bio­graphien der hervorragendsten Verstorbenen und eine sehr interessante Schilderung des Jahres 1777. Sollte aber das Unternehmen fort­gesetzt werden, so würde es sich vielleicht empfehlen, das Schwergewicht noch mehr als bisher auf die Biographien zu legen und eine gewisse Subjektivität in der Auswahl derselben fern zu halten. Mir wenig­stens wären Biographien Wielopolskis, Tholucks, Wunderlichs, Mosen­thals lieber gewesen als die des weiteren Kreisen doch ganz unbekann­ten Hermann Baumeister oder des jungen Herzogs von Leuchtenberg, und ich muß bekennen, daß ich mich für Ottilie Wildermuth und Karoline Bauer mehr interessire, als für Frau PomarelV hochseligen Angedenkens.

Als sehr glückliche Idee mnß die Schilderung des Jahres 1777 erscheinen. Man wird sich da des radikalen Umschwunges der Ver­hältnisse, den das letzte Säcnlum hervorgerusen hat, so recht bewußt und man ist mit ihm wohl zufrieden. Zumal allen galligen und zum Pessimus neigenden Gemüthern sei der AbschnittVor 100 Jahren", dessen Schilderung nebenbei bemerkt auch sehr amüsant ist, warm em­pfohlen. Th. H P.

Zur Hausmusik.

Von den christlichen Festzeiten ist es vor allem Weihnachten, das seinen Widerhall im Leben des Hauses findet. Das Bindeglied zwischen der häuslichen Feier, soweit sie überhaupt eine ausgesprochen christliche sein will, und der kirchlichen ist offenbar das Lied. Und zwar sind es besonders die Perlen unserer kirchlichen Weihnachtslieder, mit denen wir am liebsten auch ini häuslichen Kreise die Feststimmung zum Aus­druck bringen. Die Passionszeit, der Oster- und Pfingstkreis wirken seltsamer Weise in der evangelischen Kirche weniger als in der katho­lischen, und in dieser wieder weniger als in der griechischen Kirche ans Sitte und Stimmung des Hauses ein. Wir müssen darin einen Ver­lust erkennen, wenn wir ihn auch weder durch das griechische Fasten, noch durch die russische Osterfeier ersetzt zu sehen wünschen. Aber gerade die evangelische Kirche besitzt in reichster Fülle die Schätze, die man nur aufzuthnn braucht, um das ganze Hans mit dem Dufte der kostbaren Narde) welche Maria von Bethanien über des Herrn Haupt ausgoß, zu erfüllen. Wiederum sind es ihre herrlichen Kirchenlieder. Zn ihnen und insonderheit zu den älteren kehrt immer wieder zurück, wer einmal ihre gewaltige Kraft geschmeckt hat. Volkslied im eminenten Sinne ist das deutsche Kirchenlied. Nicht minder ist es dem Bauernhause zu­gänglich und vertraut, wie sich an ihm die edelste Bildung erquickt; nur die Halbbildung, die von gestern ist und von heute lebt, kenn­zeichnet sich durch Mißachtung desselben. Ebenbürtig den Liedern sind ihre kirchlichen Weisen. Es ist ihnen eigen, daß sie nicht veralten, und am jngendfrischesten klingen sie in ihren ursprünglichen Tönen und Rhyth­men. Um diesen Kern des echten Volksgesanges hat der Knnstgesang durch drei Jahrhunderte seine edelsten Blüten und erhebendsten Ge­bilde geschlungen. Freilich sind diese Schätze znm großen Theil erst wieder aus dem Staube der Vergessenheit hervorgeholt worden. Vor 100 oder 50 Jahren Hütte niemand sich träumen lassen, daß ihnen noch einmal sogar das große Publikum ehrerbietig lauschen werde. Damit ist dem christlichen Kunstgesang auch wieder der Weg in die Familie gebahnt. Allerdings macht diese Musik, auch soweit sie sich zur Haus­musik eignet, an das musikalische Können nicht eben geringe Ansprüche.

Wo man überhaupt geistliche Musik im Hause pflegt, ist entschieden das Bedürfnis) vorhanden, neben dem objektiven Charakter der Kirchen­melodien auch die mehr subjektive Stimmung zum Ausdruck kommen zu lassen. An allerlei Sammelwerken für geistliche Hausmusik fehlt es wohl nicht, und neben künstlerisch Werthlosem findet sich in demselben auch entschieden Gutes. Gute geistliche Hausmusik, im häuslichen Kreise eingelebt, ist aber immer noch eine Seltenheit, das ist nicht zu leugnen.

Die Ursache dieses Mangels scheint mir einerseits darin zu liegen, daß gewisse sehr ehrenwerthe und ernste christliche Kreise, während sie sonst mit Recht auf Bildung Anspruch machen, in ihren Ansprüchen ans geistliche Musik mehr als bescheiden sind und ans alle Kritik verzichten, wenn nur das Liederbaulich" ist.

Andererseits hat sich bis jetzt unter den neueren Meistern noch keiner die Domäne des musikalisch gebildeten christlichen Hauses erobert. Wer dazu Berns hat, muß sich an den Alten gebildet haben, aber eine Repristination des Alten wird's nicht thun; der in Seb. Bach und Händel erschlossene Reichthum der Harmonie muß ihm zu Gebote stehen; Wärme des Gefühls und schöpferische Kraft müssen das Gegengewicht sein, womit er der Schule der Alten gegenüber seine Selbständigkeit behauptet; der Quell edler nnd wahrhaft sangbarer Melodien mnß ihm in reicher Fülle strömen. Endlich mnß seine Musik in ihren: tiefsten Geiste dem gleichen Boden entsprossen sein wie unsere Kirchen­lieder, nämlich der gläubigen Herzenserfahrung der christlichen Wahrheit.

Wer einen solchen Meister kennt, mag ihn nennen. Ein kunst­verständiges Urtheil überPaul Gerhardts geistliche Lieder in neuen Weisen von Fr. Mergner, Erlangen, Deichert, 1876" ist mir dieser Tage zu Gesicht gekommen, welches in diesenneuen Weisen" die oben ausgesprochenen Forderungen erfüllt findet. G. Sperl.

Osterwasser.

(Za dem Bilde auf Seite 461.)

Glaube und Aberglaube grenzen nahe an einander. Der Aber­glaube stammt aus dem Heidenthum und schießt noch immer wie ein nicht völlig ansgerottetes Unkraut ans dem Boden des christlichen Lebens empor. Um das Osterfest insbesondere rankt er sich in mannig­fachster Weise und bringt manchen Feiernden um den vollen Segen der heiligen Zeit. Der Name des Festes schon weist ans die mytho­logische Urzeit zurück; Ostern ist aus Ostara, dem Namen der ger­manischen Lichtgöttin, des Donnerers Schwester, entstanden; bei den Gothen hieß das Fest noch:Paska", wie auch die meisten unserer Nachbarvölker die Benennung:Pascha" beibehalten haben. Auch sonst fehlt es nicht an Rückerinnerungen an unsere heidnischen Ahnen beim An­laß des Osterfestes. So stand einst an den Quellen der Weschnitz im Odenwalde ein Heiligthnm der Göttin Ostara; als nun die Germanen sich zu Christus bekehrten, ward die Göttin in die heilige Walpurgis umgetanft, nnd an die Stelle des Götterhaines erhob sich eine christ­liche Kapelle. Noch heute aber erzählen die Dörfer: Ober- und Unterostern zu den Füßen der Walpnrgiskapelle von jener alten Zeit. Aber viel lebendiger erinnert daran der Volksaberglaube, der sich an das Osterfest haftet. Eine Hauptrolle spielt darin das Oster - Wasser. Das Wasser hielten die Germanen für besonders heilig und heilkräftig, wenn sie es in einer den Göttern geheiligten Zeit schöpften; davon übertrug sich unter den Christen der Glaube auf das in der Nacht vor Ostern geschöpfte Wasser, der bis in unsere Zeit fortdauert. So treibt man in Thüringen vor Sonnenaufgang das Vieh ins Wasser, um es vor Krankheiten zu bewahren, oder um krankes, z. B. lahme Pferde, gesund zu machen. So gehen in vielen Orten Mitteldeutschlands die jungen Mädchen zwischen 11 nnd 12 Uhr nachts an ein fließendes Gewässer und schöpfen dort gegen den Strom das wünschenswerthe Wasser, das Schönheit verleiht, Kranke heilt, gegen Sonnenbrand und Sommersprossen schützt, wenn es in tiefstem Schweigen in die Krüge gefüllt, in tiefstem Schweigen nach Hanse getragen wird. Ob die Mädchen auf unserem Bilde noch an das glauben, was sie thnn, könnte fraglich erscheinen jedenfalls aber werden die sie belauschenden Burschen es ihnen schwer machen, in dem gebotenen Schweigen nach Hause zu kommen! R. K.

Frühling hienieden und droben.

Die Erde erwacht aus dem starrenden Traum,

Sie schmückt ihr Gewand an dem untersten Saum Mit den Veilchen, so blau,

Mit den schneeigen Blüten, den Glöcknern der An.

Es regt sich mit Macht und der Tiefe entringt Sich der grünende Halm, von der Sonne beschwingt;

Und die Knospe am Strauch,

Sie entfaltet sich sacht in dem milderen Hauch.

Der Frühling ist nahe, die liebliche Zeit,

Wo von eisigem Banne sich alles befreit.

Und, von neuem belebt,

Zu der leuchtenden Sonne sich sehnend erhebt.

Vom Herzen auch schwindet der fesselnde Zwang,

Es folget dem mächtigen, inneren Drang,

Es entsendet ein Lied,

Das wie Rauch eines Dankopfers himmelan zieht.

Was verkündet das Wiedcrerwachen der Flur?

Was verheißet des Lenzes holdselige Spur?

Jene herrliche Zeit,

Da der andere Frühling vom Banne befreit!

Sie kommt, wenn der Winter hienieden verging,

Die Ruhe des Grabes die Müden umfing.

Ein gewaltiges Wehn

Und die Schlummernden feiern ein selig Erstehn!

Der ewigen Sonne belebende Macht Besieget die starrende Ruhe der Nacht,

Und ein Leben beginnt,

Das ohn Ende in Freude nnd Wonne verinnt.

Drum jauchzet, ihr Welten! Mit fröhlichem Klang Entsendet gen Himmel den Ostergesang:

Wo dein Stachel, du Tod?

Wo, du Hölle, dein Sieg? O gelobet sei Gott!

O. Molitor.

Inhalt: Ostersegen. Gedicht von Fritz Fliedner. Auferstan­den! Eine Ostergeschichte von L. Rode. Farbenstudien. Von Pros. Franz Delitzsch. 1. Schwarz nnd Weiß. Zn unseren Christnsbildern. Von Max Allihn. Ostern in Moskau. Von L. Woldemar. Am Familientische: Bucherschan. UVI. Zur Hausmusik. Von G. Sperl. Ostcrwasser. Zn dem Bilde von W. Simmler. Frühling hienieden und droben. Gedicht von O. Molitor.

Herausgeber: Or. Jovert Koenig und JHeodor Kermann Aantenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Kilo Kkasing in Leipzig. Verlag der Iaycim - ß»pedilio» (Metyagen L Ktaflng) in Leipzig. Druck von A. H. Icuöner in Leipzig.