Heft 
(1878) 29
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Priester drängen, mn Brot und Ei von ihm segnen zu lassen, das nur nüchtern genossen werden darf.

Mit zufriedenem Gesichte kehrt nun jeder heim, um sich an den reich gedeckten Ostertisch zu setzen, wo natürlich die lang entbehrten Speisen vortrefflich schmecken.

Hell und glänzend steigt die Ostersonne empor; scheint es doch, als ob heute die goldenen Kreuze und Kuppeln des Kremls prächtiger leuchten als sonst, und als sähe die alte Stadt heute ehrwürdiger und festlicher aus als an allen anderen Tagen. Und doch fehlt es ihr an jedem besonderen Schmuck. Wieder klingt das Geläute der Glocken durch die belebten Straßen, glänzende Equipagen und einfache Miethwagen rollen unauf­hörlich über das holperige Pflaster, denn jeder eilt, um seinem Vorgesetzten oder seinen Bekannten zum Feste Glück zu wünschen. Wo man hinblickt, sieht man Menschen, die sich mit dem üblichen Osterkusse begrüßen, und Eier tauschend sich die üblichen Worte Christ ist erstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!" znrnfen. Schon taumeln auch die Betrunkenen durch die Straßen, die bei keinem Feste in Rußland fehlen, und ehe es Abend wird, liegt hin und wieder einer am Boden.

Auf einem großen freien, innerhalb Moskau liegenden Platze sind die Vorbereitungen zu Volksbelustigungen getroffen. Schaukeln sind errichtet, Buden erbaut, in denen bezahlte Tän­zerinnen mit jedem, der sie auffordert, tanzen müssen. Ueber die Barriere beugt sich Petrnschka der Narr mit großem weißen Bart und unförmlicher Nase, kräht wie ein Hahn und ruft der sich um ihn versammelnden Menge seine platten Witze und

Grobheiten zu, die mit unendlichem Jubel und schallendem Ge­lächter begrüßt werden. In wohlgeordneter Reihe aber fährt in glänzenden Equipagen die Moskausche Geldaristokratie und zeigt bei dem jetzigen Feste ihre schönen Pferde, ihre Brillanten und ihre prachtvollen Toiletten. Da wird denn der ganze Glanz und alle Herrlichkeit entfaltet, die den Millionären zu Gebote stehen, und es ist ein Wetteifern, wer wohl das Prächtigste der staunenden Menge bieten kann. Man sieht mitunter auch im glänzenden Wagen einen einfach gekleideten Mann, der den langen russischen Bürgerrock noch nicht mit der modernen euro­päischen Kleidung vertauscht hat, neben ihm sitzt die Frau in einem schönen Sammetkleide, aber ohne Hut und Handschuhe; vor ihnen aber befinden sich die wohlerzogenen, in Seide und echten Spitzen gekleideten Töchter, deren Brillanten hell in der Sonne blitzen und den ersehnten Bräutigam anlocken sollen.

Kreischende Ausrufer laden zum Theater ein. Verkäufer tragen Brot und Kirchen herum. Andere bieten unaufhörlich ihren Kwas an (ein säuerliches Getränk aus Roggen und Weizenmehl bereitet); Süßigkeiten, Wurst und die beliebten Piroguen stehen auf den Tischen ausgestellt. Dazu ertönt ohren­zerreißende Musik, die vom Pfeifen, Lärmen und Trommeln der Lustigmacher übertönt wird. Alles jubelt, jauchzt und lacht. Und dieses bunte Treiben dauert eine ganze Woche; dann end­lich erwacht man wieder vom Vergnügnngstaumel, und der nachfolgende Katzenjammer mit Erkältung und Verdanungs- beschwerden erhält oft noch lange Zeit in nicht sehr erbaulicher Weise die Erinnerung an das Osterfest wach.

Km Jamilientifche.

Bücherschau. llVI.

Luise Hensel und ihre Lieder. Dargestellt von Dr. Joseph Hubert Reinkeils, kath. Bischof. Bonn. Druck und Verlag von P. Neußer. 1877. 12. 255 S.

Dem Verfasser des Aufsatzes über die Dichterin Luise Hensel (XIII. Jahrgang Nr. 20) will es als eine Pflicht erscheinen, das aus­geführte Lebensbild derselben, das bald danach im Druck erschienen, hier kurz anzuzeigen. Dem Referenten kam es damals vor allem darauf an, ein dichterisches Charakterbild der Hingeschiedenen zu ent­werfen und von den Lebensgeschicken nur das Allbekannte heranzuziehen, so weit es zur Erklärung des Entwickelungsganges der Dichterin diente. In dem Buche findet der Leser ungleich mehr, und es ist mir eine Freude, das hier Gebotene mit Warme empfehlen zu können. Schon der Verfasser des Büchleins selbst, der altkatholische Bischof Reinkens, fordert unser Interesse heraus. Er hat seine Aufgabe in sehr anzie­hender Weise gelöst und zugleich dargethan, daß unter den Stürmen der kirchengeschichtlichen Bewegung sich die Innigkeit und Sinnigkeit eines reich und tief angelegten Gemüthes nicht verloren hat. Der Beruf zu dieser Schrift stammt von der Freundschaft des Verfassers mit der Dichterin, der er vor Jahren das Versprechen gegeben, nach ihrem Tode ihr Lebensbild, insbesondere mit Bezug auf ihren Uebertritt zur katho­lischen Kirche zu zeichnen. Zn diesem Zwecke übergab sie ihm eine Art Selbstbiographie, die bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahre reichte, und die sie durch mündliche, von dem Verfasser sogleich ausgezeichnete Mit- theilnngen ergänzte. Ja, sie ließ ihn Einblicke in ihre vom Jahre 18181843 reichenden Tagebücher thun, in denen sie wie vor Gottes Augen rückhaltslos ihr Inneres anfschließt. Es ist nun meine Absicht, nicht sowohl auf den ganzen Lebens- und Bildungsgang unserer frommen Sängerin noch einmal hier zurückzukommen, vielmehr ver­weise ich den Leser auf das so lesenswerthe Buch selbst, als nur einzelne charakteristische Züge hier nachzutragen.

Hierzu rechne ich vor allem die frühe und fast räthselhafte Sym­pathie der evangelischen Pfarrerstochter für einzelne Lehren, bald für den ganzen Geist der römischen Kirche. Sie wurde katholisch ohne gewaltsame Uebergänge, fast wie nach einem Gesetz ihrer Natur. Eine sittlich äußerst fein und rein organisirte Natur, durch und durch poetisch angelegt, eigenartig und von der Welt früh verschieden, ja geschieden, im steten innern Verkehr mit ihrem Gott und Heiland, aus der ver­wirrenden Vielstimmigkeit des damaligen Protestantismus heraus ver­langend nach Autorität und festen kirchlichen Normen so tritt uns das junge Mädchen aus ihren eigenen Bekenntnissen und aus der Er­zählung des Verfassers entgegen. Ihre Lieder sind Gebete, der un­mittelbarste Erguß einer gottverwandten, ja heimwehkranken Seele. Von besonderem Interesse ist Clemens Brentanos Einstich ans Luise Hensel. Aber größer noch war die Einwirkung der Dichterin ans den damals so unsteten, fast religionslosen, mit Gott und der Welt zer­fallenen Romantiker. Brentano, von seiner zweiten Gattin geschieden, konnte als Katholik das schöne und geistvolle Mädchen nicht, wie er­st gern gewollt, die seine nennen, aber um so tiefer wurde sein inneres Leben von der Frömmigkeit und dem inneren Adel der Geliebten ergriffen.

Luise Hensel hatte eine andere Liebe, aber sie riß sich auch von dieser los, und ihr Uebertritt zur römischen Kirche war wie ein Sprung über den Graben, um dieser Liebe zu entfliehen. Noch einmal später

wurde um ihre Hand, sogar von einem Prinzen, geworben, aber auch diese glänzende Lebensaussicht verschmähte sie, um als Braut (denn so dachte sie sich ihr Verhältniß) ihren: Heiland zu gehören. Sie führte ein gar Wechsel- und mühevolles Leben an den verschiedensten Orten, aber den rechten inneren Frieden hat sie nicht gefunden. Das ist das Kranke in dem so fesselnden Lebensbilde. In des Beichtvaters Wort erkennt sie Gottes Stimme mit blinder Abhängigkeit; nur wenn die verschiedenen Beichtväter sich in ihren Rathschlägen widersprechen, wird sie zeitweise irre. Aber die rechte evangelische Freiheit fehlt durchaus, und es betrübt, ein so reines und edles Leben sich abarbeiten und zer- quälen zu sehen, ohne die Palme zu erreichen. Der Verfasser gibt mehr wie einmal zu verstehen, daß dies der Wunde Punkt sei, der mit dieser armen und treuen Seele die ganze römische Kirche drückt. Auf die Wiedergabe weiterer Einzelheiten verzichten wir, laden aber mit gutem Vertrauen die Daheimleser ein, das Lebensbild selbst kennen zu lernen. v. H.

Gedanken und Erfahrungen über Einiges und Alltäg­liches. Für das deutsche Haus. Herausgegeben von Otto Nase- mann. Halle a. S. Max Niemeyer. 1877.

Es ist kein System der Ethik, welches in diesen Blättern aus­gestellt wird und kein Fortschritt der Wissenschaft, welchen sie anstreben. Es ist vielmehr eine Umschau im Bereich der gesellschaftlichen, mora­lischen und religiösen Fragen, die der Verfasser auf Grund einer eigenen äußeren wie inneren Erfahrung gehalten, eine Rechenschaft, die er sich selbst abgelegt hat."

Mit diesen bescheidenen Worten führt der wohlbekannte Heraus­geber obenbenanntes Werk eines Unbekannten in die Oeffentlichkeit ein. Uns aber, den nur innerlich Betheiligten, möge eine noch wärmere Empfehlung gestattet sein, als sie der Freund, unter dessen Flagge das reich bestachtete Fahrzeug segelt, für erlaubt hielt.

In lexikalischer, jeglicher Stimmung daher leicht zugänglicher Form, wird hier ein Sammelschatz seelischer Eigenschaften und Ein­drücke mit ihren Ausläufern in das soziale und zumal in das Fami­lienleben dargeboten; das Sittengesetz der Evangelien ist der rothe Faden, der die einzelnen Abschnitte durchzieht, das Bindeglied, das sie zu einem Kanon reinster Lebensweisheit znsammenfaßt, der Aus­druck dem edlen Inhalt kongenial. In silbernen Schalen goldene Früchte gewähren ein Labsal in unserer hastenden Zeit.

Die deutsche Literatur ist nicht reich an derlei Erfahrungssamm- lnngen wie die französische seit drei Jahrhunderten. Die Prüfung bohrt sich bei uns allzu gern bis hinab in das philosophische, wohl auch sophistische Grundwasser. Wir haben keinen Montaigne, keinen Pascal oder Saint Martin. Das vorliegende Werk füllt daher eine Lücke. Es ist, wennschon ebenfalls der innerlichsten Persönlichkeit ent­sprungen, gegenständlicher gehalten und geordnet als die Betrachtungen jener drei Fremden; allgemein menschlicher, von dem ausgleichenden aneignenden Geiste des neunzehnten Jahrhunderts überhaucht, ein Merkmal der mannigfaltigen Ausgestaltungen und Anpassungen, deren das christliche Ethos, der Menschheit unsterblicher Hort, fähig ist.

Ich wünsche dieser Schrift ernste gebildete Leser, und empfehle dieselbe Lehrern und Erziehern, insbesondere aber Vätern und Müt­tern." So schließt des Herausgebers Vorwort. Eine Frau aber fügt hinzu:Allen voran unseren Müttern!" L. v. F.