unbeschadet aller Brüche und Differenzierungen die Kontinuität ist. Erkenntnisse über das Verhältnis von (Roman-) Kunst und Lebenspraxis beispielsweise, von den „Klassikern" in Dichtung und Philosophie gewonnen, können am Ende des Jahrhunderts ihre Gütigkeit schon allein deshalb behaupten, weil sie Grundgesetze ästhetischen Produzierens (und Rezipierens) adäquat abbilden. (Das macht Aussagen über mangelnde Originalität poetologischer Ansichten von Autoren dieses Zeitraumes so unproduktiv.)
Als Hubert Ohl sich 1968 versucht zeigte, einzelne Fontanesche Äußerungen „durch Zitate aus der Hegelschen Ästhetik zu belegen", 1 hatte dieses Vorhaben seine Legitimation vor allem aus der Tatsache erhalten, daß die „Brauchbarkeit" der Grundtheoreme klassischer Kunstphilosophie in der ästhetischen Praxis Fontanes (u. a.) nachdrücklich bestätigt worden war. Es muß an dieser Stelle bemerkt werden, daß Fontanes bekannte Abneigung gegen spekulative Kunstphilosophie nicht mit der Unfähigkeit gleichgesetzt werden darf, sich wesentliche Inhalte einer zeitbeherrschenden Denkrichtung anzueignen, zumal, wenn sie sich mit den Inhalten der eigenen Erfahrung deckten. Gelegenheit, mit Hegelschem und Junghegelianischem Denken vertraut zu werden, hatte Fontane genug: Im oft unterschätzten „Leib- und Magenblatt" des Gewerbeschülers und Apothekerlehrlings, dem „Berliner Figaro", veröffentlichte bereits 1836 der Junghegelianer Eduard Meyen programmatische Artikel 2 , die Diskussionen im Berliner und Leipziger Freundeskreis hatten prägenden Einfluß auf den jungen Literaten 3 , und letztlich ist für ihn sogar die Kenntnis der „Deutsch-Französischen Jahrbücher" nachzuweisen. 4 Vor diesem Hintergrund weist der Titel der Sammlung nicht nur auf die zeitliche Entfernung, sondern auch auf die geistige Nähe der an der großen Debatte Beteiligten hin. Die Übereinstimmung in den Grundanschauungen wird u. a. bei der nahezu einhelligen Betonung des Abbildaspekts von (Roman-) Kunst offenbar. Von Hegels bekannter Auslassung: „Was die Darstellung angeht, so fordert auch der eigentliche Roman wie das Epos die Totalität einer Welt- und Lebensanschauung. .. ” (S. 44) über Carl Julius Webers Definitionsversuch: „Romane sind der Barometer des Zeitgeistes und der Kultur einer Nation, der Spiegel der Zeit, der Sitten ..." (1832; S. 68) bis hin zu Fontanes Satz: „Der moderne Roman soll ein Zeitbild sein, ein Bild seiner Zeit.. . " (1875; S. 187) wird der Abbildcharakter der Kunstwerke eindringlich gefordert. Und noch 1896 stellt Wilhelm Bölsche im Rückblick auf den Naturalismus fest: „Was uns geholfen hat, war nicht Zola’s Prinzip, sondern seine faktische Leistung. Vor uns trat eine lange Folge von Romanen, in deren Gesammthandlung (!) ganz ausgesprochen wieder der Versuch erschien, ein umfassendes, auf tiefer Weltanschauung und starkem Wissen begründetes Bild der eigenen Zeit zu geben, ein .Weltbild'." (S. 261)
Genetisch verknüpft mit dem gnoseologischen Aspekt ist die Frage nach den Modalitäten des Abbildens, nach der Funktionsweise des „Durchgangsprozesses" (Fontane), der aus Bildern des Lebens Bilder der Kunst werden läßt Auch in dieser Frage ist man sich grundsätzlich einig. Ähnlich wie Goethe 1823: „ ... (D)er Roman soll eigentlich das wahre Leben sein, nur folgerecht, was dem Leben abgeht.. . " (S. 54), formuliert noch 63 Jahre später Fontane, was Kunstwirklichkeit und Lebenspraxis unterscheidet: Der Roman, ein „unverzerrtes Wiederspiel des Lebens", ist von diesem nur geschieden durch „Inten-
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