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der leichten Thalsenkung, welche die beiden Hügelreihen schied, theils auf der vorderen Dünenkette bis zur halben Höhe des Seeabhanges hiuabreichend; die Häuser verloren sich allmählich hinter der Berglehne und ließen die Aussicht seewärts frei. Ich sah in der zunehmenden Dunkelheit jene Lichtreflexe, welche eine bewegte Wasserfläche stets znrückwirft, dem Ufer nahe ein Gewimmel von schwarzen Körpern, vermuthlich die Fischerboote des Dorfes, weiter draußen einen größeren Fleck, der sich von dem grauschwarzen Hintergründe nur durch seine tiefere Schwärze abhob; ein Schiff, ohne Zweifel das Kanonenboot, zu dem mich verschiedene dringende Sonntagsbedürfnisse hinzogen.
Eine Viertelstunde mochte verflossen sein, als der Müller wieder erschien; die Zeit hatte wohl ausgereicht, den Mann seinen Vorzug nach allen Richtungen hin durchdenken zu lassen, denn er nöthigte so liebenswürdig, wie das Selbstbewußtsein des reichsten Mannes im Dorfe dies züließ, ihm zu folgen. Auf dem dunklen Hausflure stoben einige Mägde auseinander, dann traten wir in eine zweite Stube, deren Fenster gleichfalls seewärts schauten. Es war ohne Zweifel das Staatszimmer des Hauses, mit dörflicher Eleganz überladen; eine Familienlampe stand auf dem Tische und beleuchtete eine weibliche Gestalt in Hellen Kleidern, welche abgewendet von mir die letzte Hand an ein Bett legte, das in der einen Ecke des Zimmers so eben hergerichtet zu sein schien.
Als ich den Blick etwas länger als nöthig gewesen wäre, ans die Gestalt richtete, sagte der Alte in einem Tone, der es zweifelhaft ließ, ob es eine Warnung oder väterlicher Stolz sein sollte: „Meine Tochter Elsbeth!"
Die Gestalt wandte sich um, und ich beeilte mich, eine Verbeugung zu macheu uud meinen Namen zu nennen.
„Verzeihen Sie die Störung, mein Fräulein, deren willenlose Ursache ich bin," knüpfte ich an.
„Willenlos?" fragte sie lachend. „Waren Sie es nicht selbst, der unseren: Herrn Pastor diese Störung, wie Sie sagen, erspart hat?"
Mir fiel zur rechten Zeit ein, daß die geschwätzige Fama in einen: einsamen Stranddorfe noch tausendmal behender ist als in einer Kleinstadt.
„Soweit haben Sie Recht!" gab ich zu, „aber die Erfahrung belehrt mich bereits jetzt, daß ich nicht fehlgegriffen habe. Ich hätte ohne Zweifel kein halb so gutes Unterkommen im Orte finden können wie das gegenwärtige."
Das Mädchen sah mich mit etwas spöttischen: Blicke an und verließ mit einer leichten Neigung des Kopfes das Zimmer; sehr zu meinem Erstaunen muß ich bekennen, denn als sie den Lichtkreis der Lampe passirte, erhaschte ich diesen spöttischen Blick ans dunklen nachdenklichen Augen, und in der Neigung des Kopfes, in den: leichten gemessenen Gange lag ein Anstand, der auf den: Dorfe nicht gelehrt wird.
„Ich werde den: Herrn einen Imbiß schicken," sagte der Müller, inden: er hinter der Tochter die Thür in die Hand nahm; „Ihr Bursche ist draußen gut versorgt."
Ich nah::: dankend an und hielt den Mann mit einer Frage zurück: „Seit wann ist das Kanonenboot in: Hafen?"
„Welches Kanonenboot?" fragte er erstaunt.
„Ich glaubte das Schiff vorhin in: Halbdunkel liegen zu sehen, dort hinaus!" und ich wies auf die Wasserfläche zu Füßen des Dorfes, von der jetzt nichts mehr als der schwarze Rann: zu erkennen war.
„Aha!" sagte der Müller mit einem höhnischen Lachen, indem sich seine Fäuste ballten, „das hält der Herr für ein Kriegsschiff! Ein Teufelsschiff ist es, und wenn es der Satan mit Mann und Maus holte, würde es mich meinen Lebtag freuen!" und dröhnend warf er die Thür hinter sich in das Schloß.
Mir war im Augenblicke klar, daß der Zorn des Mannes nicht meiner Frage, sondern einer Erinnerung gegolten hatte, eben so klar aber auch, daß ich mich in: Nachtdnnkel geirrt, und daß unser Fahrzeug zunächst aus sich warten ließ. Das war nur unangenehm, aber in einem guten Quartiere ließ cs sich halbwegs ertragen. Als friedliebender Mensch nahm ich mir vor, den Müller niit dem Schiffe draußen ungeschoren zu
lassen; als Neugieriger überlegte ich mir, woher ich Aufklärung über den plötzlichen Zorn meines Wirthes bekommen könnte. Die Magd, welche mir das Abendessen brachte, enttäuschte mich zunächst, da ich die liebliche Tochter des Hauses erwartet hatte aber sie lächelte mir, ehe ich ein Wort gesagt hatte, so freundlich zu, daß ich nicht unterlassen konnte, während sie den Tisch arrangirte, meine Neugierde zu befriedigen.
„Sagen Sie, mein Kind, was ist das für ein Schiff, das im Hafen liegt?"
„Die Else hat's der Schandbube genannt!" antwortete mir das Mädchen.
„Welcher Schandbube, Kind?"
„Ei Herr, was Sie fragen! Wer sonst, als der Clans Behrensen!"
„Aha!" sagte ich, innerlich beschämt über meine bodenlose Ungewißheit. „Also der Claus Behrensen! Wie kann der Bursche sich auch unterstehen, das Schiff Else zu nennen!"
„Sehen Sie, Herr!" stimmte sie in meine Entrüstung ein und strich zun: letzten Male die Falten aus der Leinewand. „Das haben wir alle gesagt, aber was macht sich so ein Landstreicher daraus! Eigentlich sollte man Seeräuber sagen, denn was Der draußen auf sein Gewissen geladen hat, das kann die Hölle nicht wieder weißbrennen."
„Aber woher wißt Ihr das alles?" wagte ich schüchtern eiuzuwerfen.
„Aber, Herr, die Leute sagen's doch!" versicherte sie.
„Natürlich, die Leute sageüs!" gestand ich im Tone völliger Ueberzeugung. Leider war ich noch nicht klüger geworden, aber das Geschirr war geordnet, und das Mädchen verschwand wieder. Ich stillte also den rechtschaffenen Hunger, den die Arbeit des Tages in mir erweckt hatte, und an meiner behaglichen Stimmung hinterher merkte ich, daß ich gut soupirt hatte.
„Else!" hörte ich da die Stimme des Müllers in den Hausgang hineinrnfcn.
„Ja, Vater!" antwortete aus der Ferne eine Stimme. Und da ich in dem Schweigen der Nacht deutlich gehört hatte, ging mir ein plötzliches Licht darüber auf, wer Else war, und weshalb den Alten die Erwähnung des Schiffes draußen so erregt hatte. Die Magd steckte den Kopf durch die Thür, und weil sie mich in: Zimmer umherwandernd fand, trat sie herein uud begann den Tisch zu räumen. Ich stürzte mich kopflings wieder in die Unterhaltung, denn ich sah, daß ich nicht lange Zeit hatte.
„Else mag also den Claus nicht?"
„In den Tod nicht!" versicherte eifrig das Mädchen. „Der Herr würde ein Unglück anrichten, wenn der wüste Mensch ins Haus käme. Sie ist auch so gut wie versprochen mit dem Franzis."
„Ein sonderbarer Name hier zu Laude, Frauzis. Wo ist er hergekommen?"
„Ei, wo soll er denn her sein? Der Franzis ist hier geboren im Ort, aber sein Vater ist als Matrose weit her- gekommen, sie sagen aus Welschland. Der Franzis ist gerade so zur See gewesen, bis er sich in die Else verthat; da wurde er Müllerknecht bei dem Herrn!"
„Und der soll die Else heirathen?"
„Der soll sie haben, wenn's der Claus leidet!" entschied das Mädchen mit einem sehr energischen Kopfnicken.
Ich wußte von diesem kleinen Dorfromane gerade genug, um meine Neugierde befriedigt zu fühlen. Ich hatte sehr wenig Aussicht, das Ende zu erleben, und da ich von Claus so wenig wußte wie von Franzis, war es mir schließlich gleichgiltig, wer von beiden die Else bekam. Mit dieser tröstlichen Resolution für mich selbst ließ ich das Mädchen gehen, zündete eine Cigarre an, öffnete ein Fenster und sah in die warme schweigende Nacht hinaus.
Doch nicht schweigend; nur jenes unbestimmte, niemals ruhende Geräusch hatte aufgehört, welches den Tag bedeutet; die Stimmen, welche der Nacht gehören, unterbrachen mit eintönigen Lauten die Stille: das Rauschen der leisen Brandung, der melancholische Ruf einer Eule, dazwischen bald ein Seufzer, bald ein Flüstern, das der Wind wachrief, wo er Widerstand