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traf. Fledermäuse beschrieben gespensterhaft lautlos ihre Kreise, und wo sie dem erhellten Fenster zu nahe kamen, wurde es ein Schwirren, das die Luft dnrchzitterte. Als mir ein Nachtfalter ins Gesicht flog, löschte ich die Lampe, aber von dem lauwarmen, salzigen Hauche, der vom Meere herüberstrich, vermochte ich mich noch nicht zu trennen. Eine geschäftige Jnsekten- welt wimmelte vor meinem Fenster; ein paar Topfe mit Goldlack und Rosen sandten durchdringende Gerüche in die Luft und lockten herbei, was sich vom Nachthonig nährt; es warein Leben, das ich nur an seinen leisen Lauten wahrnahm.
Und diese Laute wurden jetzt deutlich von Stimmen übertönt, welche von der Bank zur andern Seite der Hansthür zu kommen schienen, und so gedämpft sie waren, doch allmählich verständlich zu meinem Ohre drangen.
„Nicht immer," sagte die eine dieser Stimmen; „aber heute noch nicht und auch nicht morgen! Lerne warten, bis wir uns an einander gewöhnt haben."
„Wär's nicht besser, wir fingen mit der Liebe an, anstatt abzuwarten, daß wir damit aufhören?" fragte eine tiefe männliche Stimme dagegen, durch die eine verhaltene leidenschaftliche Erregung zitterte.
„Laß Dir's genug daran sein, Franzis, daß wir versprochen sind!" hörte ich die erste Stimme wieder. „Daß Du es gut mit mir meinst, danke ich Dir, und wir werden lernen, mit einander anszukommen. Ich habe Zutrauen zu Dir."
„Ich wollte, es wäre mehr als Zutrauen, Mädchen!" „Geduld, Franzis! Mir liegt es schwer genug auf der Seele, was diese Tage wieder über mich gebracht haben; Du trägst nicht die Hälfte davon. Geduld, Franzis, und gute Nacht!" „Gute Nacht, Else! Sei gut!"
Die Stimmen schwiegen; ich hörte die Hausthür leise öffnen und wieder schließen, dann verschwand vor meinen: Fenster ein schwarzer Schatten langsam im Nachtdunkel. Ich hörte wieder das Summen der Insekten und das leise Klagen des Windes; von der See her konnte ich die Wellen zählen, wie sie eine nach der andern über den Strand rollten.
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Das Frühläuten der Glocken weckte mich, vielleicht that es auch die Morgensonne, welche sich mit schrägen Strahlen durch das Blnmengewirr am Fenster stahl. Ans mein Erwachen schien gewartet zu sein, denn der Bursche brachte mir den Kaffee, bevor ich mit Ankleiden fertig war, und ich hatte das angenehme Gefühl, in meinem Quartiere vortrefflich aufgehoben zu sein.
Eine Weile später machte mir der Müller einen Besuch, und da ich nicht umhin konnte, ihm dankbar die Hand zu drücken, so zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite und ließ sich von mir den Zweck unseres Hierseins weitläufig erklären. Es überraschte mich zu hören, daß der Mann über diese fernab liegenden Dinge verständig mitznreden vermochte, und er gab mir selbst den Schlüssel dazu, indem er aus seinen eigenen Wanderjahren einiges zum Besten gab. Danach hatte der Müller in seiner Jugend manches von der Welt gesehen, die kontinentalen Staaten durchwandert, einen übermüthigen Abstecher nach dem Norden Amerikas gemacht, und ich begriff, daß es auf diesen Streifzügen nicht immer bei dein Müllergewerbe geblieben sei. Ziemlich spät war das väterliche Erbe frei geworden, und was ich von dem Manne bis jetzt gesehen hatte, bewies mir, daß der Prozeß einer langsamen Verbauerung noch keinen großen Theil dessen aus seinem Gesichtskreise wieder verschwinden gemacht, was er ans seinen Wanderjahren an weltgewandter Anschauung erübrigt hatte. Als er beim Abschiede fragte, wann ich zu Mittag zu speisen wünschte, erbat ich mir die Vergünstigung, am Familientische theilnehmen zu dürfen, was unser gutes Einvernehmen keineswegs beeinträchtigte.
Wie die Glocken zum Kirchgang läuteten, schleuderte ich die gewundene Gasse hinab bis zum Kirchplatze; meine Leute standen vor ihren Quartieren und waren die einzigen Müßiggänger im Dorfe, ich natürlich eingeschlossen; die Bewohner folgten in kleinen Gruppen derselben Richtung, welche ich eingeschlagen hatte, aber in der verdienstvolleren Absicht, die Sonntagspredigt zu hören.
Anstatt in die Kirche zu treten, musterte ich den Horizont der See, und war befriedigt, als ein schwarzer Strich am Himmel und darunter ein Punkt im Wasser mir das Nahen unseres Schiffes verrieth. Ich füllte also die Stunde des Wartens damit aus, mir die Quartiere der Leute anznsehen, und kam an den Strand hinab, als das Kanonenboot auf eine Seemeile vom Ufer zu Anker ging.
Ich war nicht allein am Wasser; ein Boot lag halb auf den Sand gezogen, zwei Männer standen dabei und rauchten ans kurzen Kalkpfeifen; ein dritter mochte mir auf dem Fuße - gefolgt fein, denn das Boot wurde in das Wasser geschoben, so wie er hinzutrat. Ich sah den Leuten zu und überlegte mir, ! wie ich an Bord kommen konnte, ohne eine Stunde oder länger ans das erste Kriegsboot zu warten. Ich war schon im Begriffe, eine Frage zu thun, als mir die Mühe erspart wurde.
Der Mann, welcher zuletzt gekommen war, kam mir ein paar Schritte entgegen und sagte:
„Sie wollen an Bord Ihres Schiffes?"
„Ich hätte einige Eile, aber wenig Aussicht," erwiderte ich. i
„Darf ich Ihnen einen Platz in meinem Boote anbieten?" !
fragte der Fremde weiter. z
„Sie sind sehr freundlich! Wenn ich voraussetzen darf, Ihnen keinen Umweg zu verursachen."
„Sie können sich selbst überzeugen; ich bin der Kapitän ^ der Else, Behrensen ist mein Name; wir liegen keine Kabellänge von Ihrem Schiffe entfernt."
Ich nannte meinen Namen und nahm dankend an. Die beiden Matrosen legten sich in die Riemen, der Kapitän steuerte, und ich hatte Zeit, mir diesen gefährlichen Mann näher an- i
zusehen. Für einen Seeräuber Hütte ich ihn ebenso wenig ge
halten, wie für einen Landstreicher. Er war wie ein Seemann, aber sorgfältig gekleidet, die Wäsche war tadellos. Im Profil war der Kopf außergewöhnlich schön, die Stirn stieg senkrecht über den Augenbrauen in die Höhe, das Kinn rundete sich in etwas energischer Kurve. Nur ein nachdenklicher, fast finsterer Schatten lag auf dem Gesichte und verschleierte den Blick, der im übrigen nichts von einem schlechten Gewissen verrieth; ich erklärte mir den dunklen Zug leicht mit den Thatsachen, die mir im gastlichen Müllerhanse bekannt geworden waren.
„Ihr Dienst scheint mir nicht an Kurzweiligkeit zu leiden," begann der Kapitän die Unterhaltung. „Wenn ich recht unterrichtet bin, so wandern Sie vom Frühling bis zum Herbst an unserer öden Küste entlang."
„Wir haben zum Glück für die Arbeit nicht das Aussuchen, sonst würde sich schwerlich jemand dazu finden. Das Tröstliche dabei ist, daß sie nützlich ist, und wenn Sie um ein paar Wochen später hier eingelausen wären, hätten Sie von unseren Peilungen bereits profitiren können."
„Schönen Dank, ich wäre zu spät gekommen!" lachte Behrensen etwas ingrimmig. „Und da ich nicht viel Aussicht habe, im Leben wieder hierher zurückzukehren, so kommt mir Ihre Mühe nicht einmal für später zn Gute."
„Wollen Sie die alte Heimat mit einer neuen vertauschen?"
„Ich weiß nicht; fragen Sie im Müllerhanse vor, da weiß man besser über mich Bescheid."
„Ich wohne bei dem Müller," sagte ich.
Behrensen nickte. „Sie waren vordem noch nicht in unserer Gegend?"
„Niemals, und wenn ich ehrlich sein soll, so wird mich schwerlich etwas hierher znrückziehen. Ich habe mich selten so kümmerlich ernähren müssen wie in diesen Sommerwochen; mein heutiges Quartier macht eine rühmenswerthe Ausnahme!"
„Darin thut's dem Müller niemand zuvor!" bestätigte der Kapitän. „Auch in anderen Dingen nicht; er hat sich die Welt mit offenen Augen angesehen und begriffen, wie man als Land- wirth vorwärts kommen kann. Das Volk im Dorfe sieht's seit Jahren, wie es gemacht werden muß, aber ehe unser Menschenschlag vom Alten abgeht und einsieht, daß es heutzutage Besseres gibt, lieber verkommt er und glaubt, daß es ein anderer unehrlich treibt, der es vorwärts bringt. Der Müller hat es sich eben nicht verdrießen lassen, mit aller Welt in Unfrieden zn gerathen, aber er ist nach seinem Kopfe vorwärts