Heft 
(1878) 30
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gegangen und heutigen Tages ein steinreicher Mann. Im kleinen, ich meine im äußeren Leben, ist er Bauer geblieben; was Handel und Gewerbe betrifft, gilt er weit und breit als ein tüchtiger Kaufmann."

Sie scheinen den Mann zu schätzen?" unterbrach ich etwas erstaunt die Rede.

Warum nicht jeden schätzen, soviel er Werth ist?" er­widerte Behrensen.Der Müller hat auch Seiten, über die ich kein Loblied zu singen wüßte. Nehmen Sie es wie die Nach­reden, die man einem Todten spricht, und erinnern Sie sich meiner guten Meinung von dem Müller, wenn Sie es erleben sollten, daß er mir seinen Fluch nachschickt. Zwischen uns beiden liegt viel Dunkles, und noch sind wir nicht am Ende mit einander."

Ich wußte nichts zu erwidern auf diese Andeutungen; aber es schien mir, als ob der Kapitän seinen Gegner leidenschafts­los zu beurtheilen verstand, was sich von dem Müller nicht

sagen ließ. Freilich wußte ich nichts darüber, wer den andern am schwersten gekränkt hatte, aber ich war in die sonderbare Lage gekommen, für beide Parteien Sympathien zu fühlen, und nicht am wenigsten für den Gegenstand des Streites: für Else.

Zn einer weitern Unterhaltung kam es nicht; ein schwarzer Schatten legte sich vor die Sonne, und als ich mich umwandte, streifte das Boot bereits die Wand unseres Kriegsschiffes. Ich reichte dem Kapitän die Hand hinüber und bedankte mich für die Fahrt; er lehnte mit einer Handbewegung ab, und als ich das Boot verließ, sagte er:Ich wünsche Ihnen ungestörte Nachtruhe."

Schon jetzt?" fragte ich lachend, denn die Sonne war noch im aufsteigenden Tagesbogen, es war vielleicht elf Uhr vormittags. Eine Antwort bekam ich nicht mehr; während ich an Deck stieg, fielen die Riemen wieder in das Wasser, und das Boot legte ab. (Fortsetzung folgt.)

Warum der Maikäferzählt".

Von Dr. Paul Friederich.

Nachdruck vorbotm. Ges. v. in-VI. 70 .

Wer kennt ihn nicht, den Frühlingsboten, den vielgeliebten, vielgeplagten und mit Recht auch vielgehaßten und verfolgten Maikäfer? Sein Erscheinen ist eines der sichersten Zeichen, daß der Frühling ins Land gerückt ist, daß das Regiment des Winters aufgehört hat. Und wie ist die liebe Jugend so emsig bei der Hand, den munteren Gesellen im braunen Habit in möglichster Anzahl zu fangen!

Ich glaube, wir alle haben uns in diesem Punkte etwas ans unseren Jugendtagen vorzuwerfen, ich will hier aber nicht weiter an alte Sünden erinnern. Daß indessen auch Garten­besitzer und Landwirth nach Kräften bemüht sind, um möglichst viele der braunen Uebelthäter vom Leben zum Tode zu be­fördern, ist auch hinlänglich bekannt und berechtigt. Nun, und von diesem allbekannten sollte etwas unbekannt sein? Ja, und ich glaube getrost behaupten zu dürfen, daß die Mehrzahl der Leser des Daheim nicht weiß, weshalb die Maikäferzählen". Jedem ist bekannt, daß, wenn man einen Maikäfer auf die Fingerspitze setzt und ihm das Recht ertheilt, wegznfliegen, er eine Reihe von Manövern beginnt, ehe er feine Abreise in der That ins Werk fetzt. Zuerst fängt der Käfer an, den Kopf einzuziehen und wieder vorzustrecken, wobei er zugleich auch die Fühlhörner vorrichtet und, falls wir ein Männchen vor uns haben, die feinen Blättchen des Fnhlerkolbens ausbreitet. Dann macht das Thier mit dem ganzen Leibe hebende und senkende Bewegungen, breitet allmählich, gleichfalls in einem gewissen Rythmus, die Flügeldecken mehr und mehr aus und brr saust er davon. Diese ganze, eben geschilderte Prozedur ist dasZählen". An vielen Orten Deutschlands unterstützen die Kinder dieses Geschäft, indem sie ein Berschen dazu fingen, welches durch seinen wenig tröstlichen Inhalt dazu beitragen soll, den Käfer zu schnellerem Wegfliegen zu ermuntern, ich meine das:

Maikäser flieg!

Tein Vater ist im Kriege,

Deine Mutter ist im Pvmmcrland,

Pommcrland ist abgebrannt!

Maikäfer flieg!

Aber weshalb zählt er? Um diese Frage genügend be­antworten zu können, muß ich etwas weiter ansholen.

Wie man weiß, hat die ganze Jnsektenwelt, zu der ja die Familie der Maikäfer gehört, keine Lungen. Die Insekten athmen vielmehr vermöge einer ganz anderen Organisation. Betrachten wir einmal eine große Raupe, am besten etwa die des Liguster- schwärmers, deren Körperhaut ja frei ist von den Einblick störenden Haaren. Zu jeder Seite des Körpers sehen wir da eine Reihe schwarzer Punkte in bestimmten Abständen von einander entfernt. Diese scheinbaren Punkte sind Löcher in der Haut des Thieres. An jedes dieser Löcher grenzt nach innen, also in den Körper des Thieres hinein, eine Röhre. Die Röhre verästelt sich nun schnell immer mehr und mehr, und

die Neste theilen sich in Zweige, die schließlich so fein werden, daß sie für das bloße Auge nicht mehr erkennbar sind. Dieses ganze System von Aesten und Zweigen find die sogenannten Tracheen". Durch sie tritt die äußere Luft in den Körper des Thieres ein, und die in unglaublicher Menge vorhandenen feinsten Verästelungen der Tracheen bringen die Luft zu allen Organen des Thieres heran. Es gewährt unter dem Mikroskop einen ebenso staunenswerthen wie auch überaus zierlichen Anblick, wenn man zum Beispiel ein kleines Stückchen vom Darm unserer gewöhnlichen Hausstiege betrachtet. Von allen Seiten wird das Darmstück von diesen Luftkanälen umsponnen, und wenn wir näher zuschanen, so kommen wir auch darüber ins Reine, wie diese Kanäle denn eigentlich gebaut sind. Ich will annehmen, wir hätten ein Stück Trachee isolirt vor uns liegen. Da sehen wir denn, daß dieselbe der Hauptsache nach eine dunkelgefärbte Röhre darstellt, über die zahlreiche feine Quer­striche dahin ziehen und die von einem zarten, fast durchsichtigen Häutchen wie von einem Mantel umgeben wird. Da, wo das Tracheenstück von seiner ursprünglichen Verbindung abgerissen ist, bemerken wir, daß die Wand der Röhre in einen langen, wie ein Korkzieher gewundenen Faden auslänft. In der That ist die Wand der Trachee eine ganz fest gewickelte Spirale. Der gewundene Faden kommt nur dadurch zur Erscheinung, daß eben an der Trachee bei ihrer Jsolirung gezerrt worden ist, wodurch die ursprüngliche enge und genaue Aneinanderlagc aufgehoben und zerstört wurde.

Ich will noch hinzufügen, daß die Wandung der Trachee ans demselben Material aufgebaut ist, welches auch bei den Käfern die harte hornige Decke des Leibes bildet und Chitin" genannt wird. Durch die Tracheen also athmen die Insekten, und wenn sie recht lebhaft sind, also an einem warmen Sommertage, machen sie mit ihrem Leibe eigenthümliche Be­wegungen, durch die sie gewissermaßen die Luft in größerer Menge in sich einpumpen und die zum Leben nicht mehr dienliche ausstoßen. Man kann das sehr hübsch bei Bienen und Wespen beobachten.

Sehen wir nun anderen Käfern zu, wie sie anffliegen, so geht das gewöhnlich recht rasch und hurtig vor sich, das be­dächtige lange Zählen finden wir nur beim Maikäfer so deut­lich ausgesprochen. Wir wollen uns einen fangen, ihn tödten und ihn zu Hause einmal genauer und mit Muße vornehmen. Das Handwerkszeug, welches uns bei dieser Untersuchung helfen soll, ist einfach und sehr leicht zu beschaffen. Zuvörderst brauchen wir eine flache Schlüssel, etwa so einen runden Teller, wie man sie unter die Blumentöpfe zu stellen pflegt. Auf dem Boden dieses Schüsfelchens wird eine Lage geschmolzenes Wachs oder dergleichen geschüttet, welches mit Ruß innig gemischt worden ist und eine gleichmäßig schwarze Farbe besitzt. Dann bedürfen wir noch eines recht scharfen kleinen Federmessers, zweier langer und mehrerer kurzer Nadeln, also gewöhnlicher