Heft 
(1878) 31
Seite
489
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Xl V. Jahrgang. Au-W-ben am 4 . Mai 1878 . Drr

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1877 bis dahin 1878 . 1878 . ^7 31 .

Im Wahn.

Novelle aus dem Seelebett von Bernhard Wagener.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.

(Fortsetzung/

Ich kam zur Musterung an Bord, und es verging, da der Kommandant dieser einzigen Wvchenmnsterung eine peinliche Sorgfalt widmete, eine Stunde, bevor ich ein Boot zur Rück­fahrt bekam. Aber ich fand Zeit, einige dringende Geschäfte zu erledigen und noch zeitig genug zurückzukehren, um das Mittagessen nicht verzögert zu haben. Wir aßen zu vieren: der Müller, Else, Franzis und ich; ich vermittln, daß nur aus Rücksicht auf mich von der Gewohnheit, das Gesinde am Fa­milientische essen zu lassen, für heute abgesehen war. Unbefangen war die Stimmung der Leute nicht zu nennen; am besten hielt sich noch der Müller, der es mit seiner Aufgabe, den Gast zu unterhalten, ernst nahm. Das Mädchen sah nachdenklich und einsilbig drein, auch von dem jungen Burschen war nicht mehr zu erlangen, als man ihm abfragte. Aber der lebhafte dunkle Blick ließ keinen Zweifel darüber, daß der Mann einer bessern Unterhaltung Wohl fähig gewesen wäre, und wenn er in einer Pause den stattlichen schwarzen Vollbart gedankenvoll nieder- ftrich, merkte ich, daß etwas in ihm arbeitete. Ich hütete mich natürlich, von meiner Bootsgesellschaft zu reden, da mir das Thema nicht geeignet schien, die Stimmung zu verbessern; aber ich machte mir kein Gewissen daraus, mit Seeabentenern zweifel­hafter Art meinen Tischgenossen eine zerstreuende Unterhaltung zu schaffen. Ein Mißklang wurde so mit Glück vermieden, wir kamen vhne Fährlichkeit über den Kaffee hinaus, und ich ver­ließ mit einem lebhafteren Interesse für den Roman, der vor meinen Augen spielte, das Haus, um mit müßigem Umher­schlendern der Verdauung zu pflegen.

Nach rechts den Strand entlang, aber vorsichtigerweise ans die Hohcnzüge der Dünen beschränkt, zogen sich Frnchtgärten, durch wiesenartige schmalere Landstreifen getrennt; jede Be­sitzung grenzte sich durch eine Hecke ab, die auf erhöhtem Walle stand und von Haselstränchern gebildet wurde, welche nur hier und da eine alte Eiche überragte. In einer letzten Hecke, welche im gleichmäßigen Abstande vom Ufer verlief, endeten diese

XIV. Jahrgang. Sl. I.

Gartengrundstücke nach der Wasserscite; es blieb auf der Höhe nur für einen Fußsteig Raum, der uns am Abende vorher nach dem Dorfe geführt hatte.

Ich ging des Weges etwas nachdenklich über die Menschen, mit denen ich seit wenigen Stunden in Berührung kam; das Werben der beiden Männer um die Tochter des Müllers er­füllte mich mit einem Gefühle des Bedauerns, da mir keiner von beiden wie ein Unwürdiger vorgekommen war; es mußte zwischen dem Müller und Kapitän Behrensen eine bestimmte That liegen, deren Erinnerung den Alten zu so erregten Aeuße- rungen Hinreißen konnte wie am gestrigen Abende.

Als ich in der Nachmittagshitze eine Weile gegangen war, übcrkam mich die Müdigkeit, und eine Rasenbank, welche in den Heckcnwall eingeschnitten war, hätte willkommenen Platz ge­boten, wenn nicht die alte Eiche, an deren Stamm der Sitz sich lehnte, von den Stürmen mehr als eines Jahrhunderts so weit rückwärts gebeugt gewesen wäre, daß ihr Schatten statt auf die Bank, auf das Wicsenstück hinter der Hecke gefallen wäre. Ohne Besinnen zwängte ich mich durch die Haselstanden und fand einen Ruheplatz, so entzückend, daß ich mich behag­lich auf den Rücken legte, fast verborgen unter den Wogen hohen Sommergrases, welche über mir zusammenschlugen. Ich lag in dem zitternden Schatten der Eiche, durch die Lücken im Laub­dache funkelten einzelne blendende Sonnenstrahlen nieder; der Himmel war wolkenlos, aber nicht klar, sondern wie ein Ge­misch von Milch und Indigo gefärbt. In den Halmen um mich her wimmelte eine Welt von Insekten, um so geschäftiger viel­leicht, weil ein Leviathan in meiner Person ihr Reich rück­sichtslos gestört hatte.

Es ging mir, wie es mir in ähnlicher Lage schon oft er­gangen ist: erst überlegte ich, ob ich nicht bald die rachsüchtigen Bisse einer empörten Ameisenschar fühlen würde, dann dachte ich an die Sonne, an den wandernden Schatten und an den dunstigen Himmel, dann vergegenwärtigte ich mir noch einmal

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