Heft 
(1878) 31
Seite
490
Einzelbild herunterladen

die Behaglichkeit meines Platzes und allmählich dachte ich gar nichts mehr: ich war eingeschlasen.

Ein Schlag auf die Nase weckte mich; ich öffnete die Augen und sah durch eine dunkele Luft zum finsteren Himmel auf. Mir war, als ob ein Getöse so eben in meine Ohren ge­klungen, und während ich regungslos lag, bemüht, die Gedanken zu sammeln, schlugen Stimmen an mein Ohr.

Du willst nicht?" sagte die eine Stimme.

Nein, wie immer; ich will nicht!" scholl die Antwort.

Wahre Dich, Mädchen! Ich nehme mit Gewalt, was zu meinem Leben gehört! Ich hole Dich!" drohte der erste wieder.

Wahre Dich selbst, Claus. Jeder ist seines Glückes Schmied!" hörte ich eine Antwort wie aus der Ferne. Dann war alles still; aber ein Blitz spaltete die Wolken über mir, und der Donner rollte mit so erschreckender Schnelligkeit hinter­her, daß ich aussprang in dem Bewußtsein, dem drohenden Regen vielleicht noch durch schnelle Flucht entgehen zu können, durch die Hecke brach und eiligst den Fußweg nach dem Dorfe einschlug. Wenige Schritte vor mir ging ein Mann; ich lief an ihm vorüber und erkannte Claus Behrensen. Er schien durch­aus keine Eile zu haben, obgleich der Regen bereits in ver­einzelten schweren Tropfen niedersiel; meinen flüchtigen Gruß beachtete er nicht, ich selbst hatte keine Zeit, mich anfzuhalten oder über anderes nachzudenken, als über ein baldiges Obdach. Wie es in der Regel geht, war ich noch fünfzig Schritte von dem Müller-Hanse entfernt, als sich die Wolken entluden, und obgleich ich den Rest des Weges in weniger als zwanzig Se­kunden zurücklegte, war ich doch bis auf die Haut durchnäßt, als ich in der Thürc dem alten Müller lachend in die Arme flog.

Während ich mich umkleidete, übertönte das Geräusch des niederstürzenden Wassers jedes andere; daß das Halbdunkel meines Zimmers nicht in den Gewitterwolken allein seine Ur­sache fand, darüber belehrte mich ein Blick aus die Uhr: ich Hatte einen langen Schlaf gethan bis in den sinkenden Abend. Allmählich ließ der Regen nach, bis eine Pause entstand, dann folgte wieder ein langer Blitz, dem der Donner auf den Fersen nachrollte, und schon in der Höhe der Luft hörte man das Brausen, mit dem die Regenflut von neuem nachströmte.

Die Magd, welche mir das Abendessen brachte, hatte es heute eilig und war zum Schwatzen nicht aufgelegt; aus den: Lande ist ein Gewitter ein ernstes und beängstigendes Ereigniß. Ich gleichwohl mit der Seelenruhe eines Besitzlosen, der nichts zu verlieren hat, und dachte mit stiller Wehmuth daran, wie viele Sommertage hindurch ich alle diese guten Sachen noch würde entbehren müssen, bis das Leben daheim zu den alten Gewohnheiten zurückzukehren gestattete. Dabei fielen mir die Ausgaben ein, welche für die nächsten Tage bevorstanden, und ich kramte meine Karten und Hilfsbücher hervor. Während dann bei dem unaufhörlich fallenden Regen eine angenehme Kühle durch die geöffneten Fenster herein drang und das Gewitter sich allmählich verzog, vertiefte ich mich in topographische Studien mit solcher Energie, daß ich, nach einer ungemessenen Zeit aus­schauend, in eine rabenschwarze Nacht hinanssah und an der lautlosen Stille um mich her merkte, daß es spät geworden war.

Als ich mich endlich in das Bett legte, fiel mir der freund­liche Wunsch des Kapitäns Behrensen von heute Vormittag wieder ein, und da ich allen Grund hatte, mein vorzügliches Lager wie eine Oase in der Wüste anzusehen, schlief ich mit dem an­genehmen Bewußtsein ein, noch eine Nacht behaglich zu ruhen. Ich nahm infolge dessen den Wunsch des Kapitäns so wörtlich, daß ich ohne Unterbrechung bis zur frühen Morgenstunde schlief und, soweit meine Erinnerung reicht, traumlos und fest. Nur eine Weile vor dem Erwachen war es mir, als ob ein Getöse von Schritten an mein Ohr drang, Laute, welche ich bald über mir, bald im Innern des Hauses zu hören glaubte, rücksichts­lose Laute, wie sie nur die eisenbeschlagenen Stiefel der Dorf­bewohner verursachen konnten. Und ich wäre wohl noch nicht erwacht, wenn nicht ein Ruf durch das Haus geschallt hätte, dann noch einer, und als ich die Augen öffnete, ein dritter, aber mehr ein Schrei, gellend, daß es an den Wänden wider­hallte.Else!" hörte ich rufen,Else! Else!"

Ich war mit einem Sprunge aus dem Bette und kleidete

490 -

mich eilig an. Als ich dann den Kopf durch die Thür steckte, sah ich Menschen umherhuscheu, die einen die Treppe in die Höhe, die andern in den Thüren des Hinterhauses verschwindend.

Was ist geschehen?" fragte ich hinaus, aber es schien nie­mand antworten zu wollen; die Mägde liefen auseinander, und die schweren Schritte von Männern dröhnten auf der oberen Diele.

Ich zog mich wieder zurück und vollendete in Hast meine Toilette. Schritte kamen die Treppe herab, ein Stimmen­gewirr ließ sich aus dem Flur hören, durch das eine erregte Männerstimme hindurchdrang. Ich trat aus der Thür, um zu sehen, wie sich eine Menge von Menschen um den alten Müller und Franzis zusammendrängte, und wie der letztere vor dem Meister stand, die Hand wie zum Schwur gehoben, und wie er mit einer Stimme, in welcher die leidenschaftliche Glut einer heißeren Sonne zitterte, sagte:

Ich schwöre Ihnen, Meister, und ich werde den Schwur halten! Was ich bis heute gelebt habe, ist ausgclöscht wie ein Hauch, mit heute beginnt ein Leben der Rache! Ich will dem Schurken folgen bis an das Ende der Welt, ich will mich an seine Fersen heften wie das Unglück; ich will ihm seinen Raub abjageu und Euer Fluch soll ihn ereilen wie der Blitz im Schlafe! Ich schwöre, Meister, daß ich ihn strafen werde; ich will verdammt sein, wenn ich Euch nicht Euer Kind wieder­bringen und Euch eines Tages sagen kann: wir sind gerächt! Auf Wiedersehen, Meister!"

Wie der Racheengel schüttelte der Mann die erhobene Faust gegen den Himmel und verließ das Haus.

Der alte Müller stierte auf die Thür mit einem abwesen­den Blicke, in dem nichts stand als der Jammer des Vaters; er hatte mich nicht gesehen, als ich hinzutrat, er sah vermuth- lich nichts von den Menschen, welche sich um ihn drängten. Ge­machte keinen Versuch, den Davoneilenden znrückzurnfen oder ihm zu folgen, sondern lautlos, mit dem unsicheren Schritte eines Greises, den Kopf tief auf die Brust niedergebeugt, ging er in das Zimmer zur andern Seite des Flures und zog die Thür hinter sich in das Schloß.

Jetzt entfesselten sich die Zungen; die Hausthür öffnete sich und ich sah die halbe Dorfbevölkerung draußen sich drängen. Der Gedankenaustausch in den Gruppen war so stürmisch, daß zunächst an näheren Umständen über den Vorfall nichts Zu­sammenhängendes zu erfahren war. Im übrigen gab es auch wenig zu erzählen. Else, welche sonst die Früharbeiten der Mägde zu überwachen pflegte, war heute nicht erschienen; als der Müller an sein Tagesgeschäst gehen wollte, hatte er ver­geblich nach der Tochter gerufen; ein Klopfen an ihre Kammer- thür war ebenso erfolglos, und als die unverschlossene Thür ge­öffnet wurde, fand man das Zimmer leer. Es fehlte eine Lade, die meisten Kleidungsstücke des Mädchens, sonst nichts. Keine Spur gab Auskunft über das räthselhaftc Verschwinden; keine Zeile verrietst, daß es ein freiwilliges gewesen sei. Nichts ließ auf eine gewaltsame Entführung schließen; cs war in der Nacht von den Leuten, welche in demselben Stockwerke schliefen, kein Geräusch gehört worden, als gegen Morgen Männertritte, die aber keinen Argwohn erregt hatten, da die Knechte frühzeitig an die Arbeit gingen. Gleichwohl hatten alle nur einen Ge­danken, der in die Augen fallend bestätigt wurde, als der erste Blick auf den Hasen den Platz, welchen gestern noch dieElse" neben unserem Kanonenboote inne gehabt hatte, leer fand. Ob ein Segel, das in der Morgenfrühe vom äußersten Horizonte weiß herüberleuchtete, das entfliehende Fahrzeug war, blieb eine unbeantwortete Frage.

II.

Ein Jahr später gehörte ich der Kriegsmarine nicht mehr an; Umstände, welche mit der Erzählung nichts zu thun haben, hatten mich nach Java geführt; im Aufträge der niederländi­schen Regierung war ich mit Vermessungsarbeiten beschäftigt, welche mich Monate lang in das wildromantische Innere der Insel geführt hatten. Jetzt wohnte ich in Weltevredeu und genoß die Gastfreundschaft eines jungen Kaufmanns aus Batavia, der als Junggeselle seinerseits Genuß daran fand, mit einem Landsmanne alte Heimatserinnerungen anszutauschen