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wird, sind es vorerst rothe Strahlen, die uns wahrnehmbar werden, und wenn die Glut und mit ihr die Vibration des Körpers immer höher steigt, so entsendet er gelbe und bis zum Sonneuglanz sich steigernde Weiße Strahlen. Die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Licht- oder Wärmestrahlen fortpflanzen, ist bei allen die gleiche, aber die Vibration der Aethertheilchen ist langsamer oder schneller, und demgemäß sind die Acther- wellen länger und eben deshalb wirksamer und weniger brechbar, oder kürzer und eben deshalb schwächer und brechbarer, und das ist's, was die verschiedenen Farbenempfindungen bedingt. Die rothen Strahlen sind die langwelligsten und mächtigsten, die violetten die kurzwelligsten und schwächsten. Die Naturgesetze der Fortpflanzung des Lichts und der Farbenerscheinungen, welche aus seinen verschiedenen Strahlungen, Brechungen und Mischungen hervorgehen, sind mathematisch genau und sicher ermittelt, aber nichtsdestoweniger ist das Licht ein großes Wunder und seinen letzten Gründen nach ein un- gelichtetes Geheimniß.
Wie der menschlichen Erforschung des Lichts unüberschreit- bare Schranken gezogen sind, über die sie nur auf dem Wege der Hypothese hinaus gelangen kann, so ist auch die menschliche Fähigkeit der Farbenempfindung eine beschränkte. Die sieben Farben, welche wir innerhalb des Spektrums unterscheiden, sind nicht einzelne scharf gesonderte Strahlen, sondern ganze Strahlengruppen, die wir ihrem Gesammteindrnck nach bezeichnen; die Abstufung von Roth bis zu Violet hinaus erfolgt in einer Unzahl von Uebergängen, die wir nicht zu fixiren vermögen. Und über das Violet hinaus liegen auch noch Farben, welche für uns wegen zu kurzer Schwingungsdauer ihrer Strahlen nicht mehr deutlich oder gar nicht wahrnehmbar sind. Sie haben theilweise noch eine solche Wellenlänge, daß sie als schwacher Schimmer sich erkennen lassen, das sogenannte Lavendelgrau der älteren Physiker; die Kunst des Experiments kann sie auch noch darüber hinaus, aber bei weitem nicht in ihrer ganzen Ausdehnung versichtbaren. Auch die Wärmestrahlen, welche alle physikalischen Eigenschaften mit den Lichtstrahlen gemein haben, bleiben uns großentheils unsichtbar. Wir sehen die Strahlen des rothglühenden und des weißglühenden Körpers. Aber auch der kältere Körper entsendet Strahlen, die mittelst eines empfindlichen Thermometers bemerkbar werden, für welche aber unser Auge keine Empfänglichkeit besitzt. Wenn der Licht- und Farbensinn unseres Auges nicht beschränkt wäre, so würden wir wahrscheinlich alle Körper mehr oder weniger als selbstleuchtende sehen. Der Helligkeitsgrad der Lichterscheinung kann ein so niedriger sein, daß sie sich für uns ins Unsichtbare verliert, oder er kann auch ein so hoher sein, daß unser Auge solcher Lichtempfindung nicht Stand halten kann. Das Licht vom Himmel, welches Saulus vor Damaskus umleuchtete, stürzte ihn zu Boden.
Daß zu der seligen Wonne jenseitigen Schaums auch die Farbenpracht des zu Schauenden das ihrige beitragen wird, versinnbildet die Beschreibung des himmlischen Jerusalems in der Apokalypse; die Stadt besteht aus reinem Golde, und zwar reinem Glase gleich durchsichtigem Golde; der Mauerriug, über den sie hinausragt, ist aus zwölf Edelsteine verschiedenen Farbenglanzes, vom Jaspis anhebcnd und mit dem Amethyst schließend, gegründet, und zwölf Perlenthore führen durch die zwölffarbige Mauer in die Stadt mit ihren güldenen Gassen. Ist der menschliche Farbensinn innerhalb des Zeitlaufes der Geschichte in fortschreitender Verfeinerung und Vermannigsältignng begriffen, so dürfen wir erwarten, daß er jenseits im Stande der verklärten Leiblichkeit eine Vollkommenheit erlangen wird, die ihm hienieden versagt ist. Denn die Mannigfaltigkeit der Farben ist unendlich, unser Farbensinn aber ist hienieden in feste Grenzen eingeschlossen. Und wie kläglich hinkt die Sprache hinter der Entwickelung des Farbensinns her, gänzlich unvermögend, die Farbenbilder in entsprechenden Worten zu reflek- tiren und auch nur eine einzige Farbe ihrem spezifischen Charakter nach zu bezeichnen: sie vermag höchstens nur Helligkeit oder Dunkel der Lichterscheinung und also Plus oder Minus der Lichtquantität, nicht aber die Lichtqualität, d. h. die Farbe zum Ausdruck zu bringen.
Von dieser Mangelhaftigkeit und Beschränktheit menschlicher Sprache ist auch die Sprache der heiligen Schrift nicht ausgenommen, denn die Bibel ist kein vom Himmel gefallenes Buch, in so unaussprechlichen Worten geschrieben, wie sie einmal Paulus hörte, als er in das himmlische Paradies entzückt ward, sondern was Gott zu unserem Heile beschlossen und veranstaltet hat, das liegt uns da vor in menschlich, und also national, zeitlich, individuell vermittelter Bezeugung. Ein Beispiel dafür sind die biblischen und insbesondere alttestamentlichen Farbennamen. Solche Farbennamen, welche als Spiegelungen des eigenthümlichen Charakters dieser oder jener Farbe gelten könnten, finden wir darunter so wenig als in irgend einer andern menschlichen Sprache. Die Wiedergabe des Eindrucks, welchen die Farben machen, bewegt sich, soweit wir die Grundbegriffe der Namen durchschauen, innerhalb der Vorstellungen des Leuchtens und Glühens, wonach das Weiße, des Verbrennens und Verkvhlens, wonach das Schwarze, des Helleren und Dichteren, d. i. Dunkelen, wonach das Hellroth, z. B. des sogenannten Fuchses unter den Pferden und das Dunkel- roth, z. B. des Blutes benannt ist. Mischfarben zu bezeichnen müssen die Namen der einfachen Farben dienen; das Wort für Weiß bezeichnet auch das Gelbliche, z. B. des Mondes, das Wort für Roth auch das Rothbraun, z. B. der Gesichtsfarbe Davids des Hirtenknaben, das Wort für Schwarz auch das Grau, z. B. des Morgendämmers. Ein und dasselbe Wort bedeutet grün oder gelb, der Grundbegriff ist der des Herabgestimmten, nämlich im Vergleich mit den lichtreichsten Farben; deshalb behilft sich die Sprache damit, um nicht nur das Grünen, sondern auch das krankhafte Vergilben der Saaten und der Gesichtsfarbe, ja sogar die Leichenblässe auszudrücken. Ein Eigenschaftswort für blau fehlt der alttestamentlichen Sprache gänzlich. Aber daß es in Luthers Bibelübersetzung nirgends vorkommt, beruht doch auf einer sonderbaren Irrung. Obgleich einer attributiven Bezeichnung des Blau ermangelnd, kennt die alttestamentlichc Schrift doch einen blauen Conchylienfarbstoff, nämlich das Purpurblau oder genauer Pnrpnrviolet, welches tsolwlstb heißt. Die alte griechische Uebersetzung und die alten lateinischen übersetzen dieses Wort mit bzuoiiUlius. Es ist noch immer fraglich, ob damit die Farbe des Edelsteins dieses Namens oder der Blume dieses Namens gemeint sei, aber jedenfalls bezieht sich der Farbname entweder auf einen blauen Edelstein oder eine blaue Blume, vielleicht gar nicht auf unsere Hyacinthe, sondern auf den blauen Gartenrittersporn hDoPbininnr üsaem ü.) oder eine blaue Schwertlilienart. Luther aber, indem er für Hyacinth durchweg A6l, Aölvesreb, Z-slo 86Ülo übersetzt, ist hierzu dadurch verleitet worden, daß ihm der Edelstein, welcher zu seiner Zeit wie auch jetzt noch Hyacinth hieß, als gelber zu Gesicht gekommen war, und daß ihm Gelb als die Hauptfarbe der gleichnamigen Blume erschien, welche unsere Gärten jetzt mit Ausnahme des Grüns in allen Farbenvarietäten, aber häufiger roth, blau oder weiß als gelb aufweisen. Die holländische Kunst- und Handelsgärtncrei befaßte sich schon in Luthers Zeit mit Hyacinthenzucht, und die gelbe Hyacinthe, welche auch heutzutage die kostbarste ist, mag damals als die vorzüglichste eigentliche Hyacinthe gegolten haben.
Purpnrroth und Purpurblau sind beides Conchylienfarb- stoffe, die Sprache aber bekundet auch hier ihre Unfähigkeit, den Farbencharakter auszudrücken, indem sie das Purpur-blau mit dem Muschelnamcn taelülstll und das Purpnrroth als Bunt- särbestosf mit dem Namen ar--amün (aramäisch und aramai- sirend ai-Atzrvan) bezeichnet. Beide gehörten der Gesetzgebnngs- geschichte zufolge zu den Erfordernissen des Kultus schon während der vierzig Jahre zwischen dem Auszug aus Aegypten und dem Einzug in Kanaan. Es ist also vorausgesetzt, daß man schon damals über Wollenstoffe, die mit den beiden Mnschel- schneckenfarben gefärbt waren, verfügte. Diese Voraussetzung ist auch nicht unglaubwürdig, obgleich man in der Denkmalsprache des alten Aegyptens bis jetzt weder den Purpur noch den Scharlach entdeckt hat. Der Purpur war ein uraltes Monopol der den Aegyptern wohlbekannten erfinderischen und kunstsinnigen Phönizier, des Handelsvolkes der oberen nach Syrien hin gelegenen Mittelmeerküste. Später machten die Phönizier