Heft 
(1878) 31
Seite
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Herzen zu erwähnen. Sie erscheinen als verdickte, mit zusammen- ziehbarcm Muskelbeleg versehene Stellen der Arterienwand und pulsiren lebhaft. Am seltsamsten aber erscheint der Um­stand, daß das Gefäßsystem nicht vollkommen geschlossen ist, sondern Verbindung mit der Außenwelt zeigt, so daß sich das salzige Element unbehindert dem Blute beimengen kann und mit ihm innig gemischt durch den Körper rinnt.

Höchst interessant ist das Schutzmittel, vermöge dessen unsere Cephalopoden sich den Angriffen ihrer schnelleren Feinde ent­ziehen. Es ist ihnen dieses ein Excretionsorgan, der sogenannte Tintenbeutel, der gleichzeitig die Veranlassung zu dem Namen Tinten(fisch) wurde. Dasselbe besteht ans einem birnenförmigen Sacke, welcher mit einem stielförmigen Ausfnhrnngsgang ins Freie mündet. Wird das Thier verfolgt, so entleert sich daraus eine intensiv schwarzbraune Flüssigkeit, welche den Leib mit einer dichten, für das Auge des Feindes undurchdringlichen Wolke umgibt. Die abgesonderte Flüssigkeit aber, gereinigt und präparirt, ist jedem als Lopiu. oder Xoro äi Roirm be­kannt und wird von Zeichnern wegen des weichen Tones, welchen sie dem Bilde verleiht, manchen anderen Farben vorgezogen.

Die Cephalopoden sind sehr fruchtbar; tausende verhältniß- mäßig große Eier werden traubenförmig vereinigt von dem Weibchen abgelegt und führen bei den Fischern der südlichen Meere den NamenMeertrauben".

Obgleich die Tintenfische gelegentlich auch vorwärts kriechen, so erfolgt ihre eigentliche Fortbewegung doch rückwärts. Eine schnelle Vorwärtsbewegung ließe sich aber auch sonst kaum er­möglichen, denn die mächtig entwickelten Arme würden der

Wasfermasse einen viel zu gewaltigen Widerstand entgegensetzen und der Verfolger hätte leichte Mühe seine Beute zu er­haschen. Die Rückwärtsbewegung kommt in folgender Weise zu Stande: An der Bauchseite des Rumpfes unserer Thiere erhebt sich aus einer durch Saugnäpfe verschließbaren Mantelspalte ein dem Fuße der übrigen Mollusken ähnliches Organ, welches nach seiner Form den Namen Trichter führt. Dieser, mit seiner breiten Oeffnung in der Mantelhöhle beginnend und mit seiner kleinen ins Freie mündend, bewirkt im Verein mit der kräftigen Muskulatur des Mantels die wunderbare Fortbewegung, welche nach ganz demselben Prinzips geschieht, das die Rakete in die Lüfte schlendert. Die sich zusammenziehenden Muskeln des Mantels entleeren die in dessen Raum enthaltene, den der entzündeten Rakete entströmenden Gasen vergleichbare Wasser­masse mit einiger Gewalt stoßweise aus der kleinen Oeffnung des Trichters, und infolge des so bewirkten Rückstoßes schießt dann das ganze Thier nach rückwärts im Wasser fort. Im Seebecken des Aquariums sind solche Schwimmbewegnngen gleich­sam nur Hebungen, die sich auf dem abgemessenen Raum nicht zur vollendeten Fertigkeit gestalten lassen; doch alles, was sich hier im Kleinen abspielt, ereignet sich auch, nur in größerem Maßstabe, in den Finthen des Weltmeeres. Daß die Cepha­lopoden mitunter in riesenhaften Exemplaren Vorkommen und durch diese zu der Sage von Kraken Veranlassung gegeben haben, wissen Ihre Leser bereits ans den Begleitworten zu der Abbildung des Octopons im New-Uorker Aquarium (Nr. 7. XIV, des Daheim). Unsere Berliner Tintenfische zeigen freilich nur sehr bescheidene Dimensionen. Dr. Griesbach.

Am Aamilientische.

Am Sarge des Vaters.

(Zu dem Bilde aus S. 4g3.>

Ein hohes Alter des Geschlechts gilt wohl bei allen Stämmen, gewiß aber bei allen germanischen Völkern als ein Vorzug, der gern oder ungern, bewußt oder unbewußt von jedem anerkannt wird. Ge­sellen sich zu dem Alter noch Reichthum und eine ruhmreiche Tradition, so erweckt das Erlöschen eines solchen Hauses auch in weiteren Kreisen Theilnahme als in denen, die mit der Familie in direktem Zusammen­hang standen. Ein großes Geschlecht aber ist es, dessen vorletzten Sprossen sie hier niedergelegt haben in der Schloßkapelle, während vielleicht der letzte betend am Sarge des Vaters kniet. Was wird die Zukunft des Knaben sein? Wird er einmal zu den alten Ehrenkränzen seines Stammes neue hinzufügen und sie künftigen Geschlechtern übermachen, oder wird er einst ins Grab sinken als der letzte seines Stammes?

Interessante Vergleiche.

Als man im Januar 1877 bei einem Bau auf die Grundmauern des ehemaligen Kunstpfeiferhauses in Berlin stieß, welches im 16. Jahr­hundert errichtet worden war, fand man darin das Gerippe eines Hasen und ein Hühnerei. Im Fundament eines alten Hauses zu Altenhagen fanden sich Eierschalen eingemauert. Ein eingemauertes Ei fand sich auch im Gemäuer der Kirchspielskirche zu Iserlohn.

Damit die Kirche unverrückt stehen bleiben sollte, mauerte man nach dänischen Ueberlieferungen unter dem Altar ein Lamm ein, auf jedem Kirchhofe aber begrub man, bevor eine Leiche eingesenkt wurde, ein lebendiges Pferd.

John Jackson sah, wie beim Bau einer Häuptlingswohnung auf Rewa (Fidschi-Inseln), nachdem die Löcher sür die Grundfesten ge­graben waren, in jedes derselben ein Sklave stieg, der lebendig mit Erde überschüttet wurde, und auf dem man dann die Pfosten errichtete.

Als Radschah Sala Byen das Fort von Sialket erbaute, stürzte die Grundlage der südöstlichen Bastion so oft ein, daß er sich schließ­lich an einen Wahrsager wandte, der ihm versicherte, daß sie niemals halten würde, wenn nicht das Blut eures einzigen Sohnes hier ver­gossen würde. So geschah es mit dem einzigen Sohne einer Wittwe.

In Galame in Afrika hat man früher vor denr Hauptthore der Stadt bisweilen einen Knaben und ein Mädchen lebendig, begraben, um die Stadt dadurch uneinnehmbar zu machen.

Um den gebrochenen Damm des Nogatstromes (1463) wieder her­zustellen, rieth ein Unbekannter, einen lebenden Menschen hineinzn- stürzen, woraus die Bauern einen Bettler betrunken machten und dann dort begruben.

So haben wir an einer Anzahl Beispielen gesehen, wie das Ei, das die Maurer des 16. und 17. Jahrhunderts in das Fundament ein- manerten, in seiner Eigenschaft als Symbol des Lebens in milderer Zeit an Stelle der lebendigen Menschenseele getreten war. Ursprüng­lich wurde auch in Europa wie außer dem angeführten Beispiel zahlreiche Sagen beweisen ein Bau gern auf den lebendig begra­benen Menschen begründet. Was aber in Europa der fernsten Ver­gangenheit angehört, das fand auf den Inseln der Südsee, in Afrika und Asien noch unlängst statt, ja es ist wohl zweifellos, daß auch heute

noch hier und dort der Grundpfahl zum Bau des Tempels oder Pa­lastes des Häuptlings durch den warmen Leib lebendig Begrabener ge­trieben wird.

Wir haben die vorliegenden Beispiele aus einer großen Anzahl ähnlicher hervorgehoben, die sich in einem so eben erschienenen Buche des Dr. Richard Andree:Ethnographische Parallelen und Ver­gleiche" (Stuttgart, Julius Maier 1878) verzeichnet finden. Es handelt sich in diesem Buche darum, an der Hand gut beglaubigter Thatsachen, den Nachweis zu führen, daß eine Fülle von Vorstellungen der Menschheit als solcher immanent sinv, oder daß sie doch wenigstens unter den verschiedensten Völkern durchaus unabhängig von einander entstanden sind. Man kann eben in der That mit Fug und Recht von einer Menschenseele sprechen, man kann sagen, daß der Mensch ebenso, wie er überall in ähnlicher Weise ißt und trinkt, auch in gleicher Weise empfindet, woraus sich dann auch ganz ähnliche Vorstellungen ergeben. So gibt es z. B. bei allen Völkern lluglückstage, und zwar gilt bei fast allen denen, welche unsere Wocheneintheilung kennen, der Freitag als ein solcher. Warum? U. A. w. g.

Das Andreesche Buch ist ein (wenn auch nicht pedantisch) streng wissenschaftliches, es ergibt sich schon daraus, daß es nicht amüsant im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist. Wer aber Interesse hat für Ethnographie und Psychologie, und sei es auch nur als Dilettant, der wird mit Interesse dem Nachweise folgen, daß z. B. die Geschichte vom Swinegel und Hasen sich in Südafrika wiederholt als Wettkampf zwischen Strauß und Schildkröte und in Südamerika zwischen Reh und Schildkröte spielt.

Zum Schluß noch eins: Andree ist ein besonnener Forscher, einer noch ans der guten alten Schule, in der es noch für wissenschaftlich galt, zu sagen:das weiß ich nicht", wenn man es eben nicht wußte. Er har ferner die dem Manne der Wissenschaft so nöthige Abneigung gegen leichtfertige oder doch nicht hinreichend begründete Schlüsse. Das zeigt sich namentlich in dem trefflichen, mit höchst interessanten Ab­bildungen versehenen Abschnitt über die Petroglyphen, in Stein ge­ritzten oder geschnittenen Ornamente rc. Der auf diesem Felde so üppig wuchernde Humbug wird da tüchtig ausgeranft. Um den Inhalt näher zu charakterisiren, erwähnen wir unter den einzelnen Abhandlungen noch jene über Tagewählerei, Hausbau, Sündenbock, Böser Blick, Wer­wolf, Vampyr, Fußspuren, Erdbeben, Gestirne, Speiseverbote, Schädel- cultus, den Schmied, Personennamen, Knotenschrift, Werthmesser rc. Möge Andree bald Nachfolger finden, Nachfolger, die nicht nur ebenso gelehrt und fleißig, sondern auch ebenso wahrheitsliebend und besonnen sind wie er.

Th. H. P.

Inhalt: Im Wahn. (Forts.) Seenovelle von Bernhard Wagener.

Farbenstndien. (Schluß.) III. Purpur und Scharlach. Von Franz Delitzsch. Vor dem Sturm. (Forts.) Roman von Theodor Fontane.

Adam Riese, der Rechenmeister. Von Max Allihn. Mit dem Titelblatt seines Werkes. Die Tintenfische im Berliner Aquarium. Von Dr. Griesbach. Mit 4 Jllustr. Am Familientische: Am Sarge des Vaters. Zn dem Bilde von Jakob Leisten. Interessante Vergleiche.

Herausgeber: Di. Moöerl Kocnig und Theodor Kermann Aanteniiis in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Hlto Klastng in Leipzig. Vertag der paheim - Expedition (Kekhagen k Alakng) in -Leipzig- Druck von A. H. Tenbner in Leipzig.