Heft 
(1878) 32
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deutliches Gesicht, er grüßte zerstreut uud war mit einem Gegen­stände so lebhaft beschäftigt, daß er gegen alle Gewohnheit die umherlungernden Malayen mit einem nicht mißzuverstehenden Winke energisch daoonjagte, jeden von uns bei einem Rockzipfel faßte, und als wir eine Gruppe bildeten, zwischen der keine Maus durchzuschlüpfen im Stande gewesen wäre, im flüstern­den Tone sagte:Ich habe sie gesehen!"

Dieser einfache Satz hätte in ganz Batavia keiner Inter­pretation bedurft; wir wußten sofort, daß von dem Neger und seinem Genossen die Rede war. Natürlich machten wir ge­spannte Gesichter, welche hinreichend waren, unseren Doktor zu der folgenden Erzählung zu veranlassen:

Was ich Euch erzähle, Freunde, ist diesmal mein alleiniges Geheimniß, eine Sache, über die ich und niemand sonst schwatzen darf. Ihr werdet hören, warum."

Können wir uns dazu nicht setzen, Doktor?" unterbrach Rodrig.

Setzen wir uns!" gab der Erzähler zu, indem er sich auf einen chinesischen Bambusstuhl rittlings und höchst unbequem setzte. Wir erleichterten uns die Situation gleichfalls, natürlich ohne von unserer Spannung einzubüßen.

Ich war heute Nachmittag im Kambong China," begann Schrade zu erzählen.

Unverbesserlich!" konnte Rodrig sich nicht enthalten ein­zuschieben, ohne jedoch bei dem Doktor mit seiner Kritik die ge­ringste Beachtung zu finden.

Ich wollte zweierlei, eilt Theehaus und, wenn mir das Glück günstig wäre, eine Partie Poh spielen sehen. Es ist be- ! bäuerlich, daß ich mir solche Sachen hier ansehen muß; aber

! ich habe keine Aussicht, in nächster Zeit die Chinesen an der

! Quelle zu studiren. Zu meinen zufälligen Bekanntschaften

gehört ein würdiger alter Chinese, der Tjnng heißt; als ich nachmittags durch eine dieser verzwickten Gassen des Kambong ging, sah ich ihn mit seinem Trichter auf dein Kopfe vor einem lächerlich schmalen Hause stehen; natürlich sprach ich ihn an, wir verständigen uns nämlich, obgleich ich sein Holländisch l für noch elender halte, als mein eigenes sprach ich ihn also an und fragte nach einem Theehause und nach einer Stelle, wo Poh gespielt wird. Ich war vor die rechte Schmiede ge­kommen; der Alte lud mich wie ein Gentleman ein, näher zu treten, worauf ich in ein sogenanntes Zimmer kam, das bei l uns zu Hause für ein einzelnes Pferd nicht zu groß wäre;

! dahinter hörte ich Stimmen und befand mich, als ich einen

h Vorhang auseinander schlug, der die einzige Zwischenwand bildete,

h in einem zweiten ebenso großen Zimmer, in dem ein halbes

^ Dutzend lederbrauner Langzöpfe um einen Tisch saß uud den

- einzigen Würfel tapfer rollen ließ, der in diesem bemerkens-

i wertsten Spiele gebraucht wird. Als sie mich eintreten sahen,

, waren die Leute etwas bestürzt, denn man findet merk-

^ würdigerweise unter den Kindern aus dem Reiche der Mitte

auffallend viele, bei denen ein schlechtes Gewissen chronisch ge- j worden ist; aber der Wirth klärte sie wahrscheinlich über meine

! rein wissenschaftliche Mission auf, und sie ließen sich dann auch

nicht weiter stören. Ich nahm einen Bambnsstuhl und setzte mich in die Ecke hart an den Vorhang, der einzige Platz, der in dem Raume für mich frei blieb. Nun war die Gelegenheit, Studien zu machen, so günstig wie möglich; aber das Unglück oder eigentlich das Glück, wie Ihr gleich hören werdet, wollte,

- daß ich nicht dazu kam. Ich saß kaum fünf Minuten in meiner Ecke, als ich hinter dem Vorhänge, anscheinend in meiner nächsten Nähe, Stimmen hörte, und als ich einen Augenblick aufhorchte, war es Englisch, was gesprochen wurde. Nun hört man diese Sprache hier zu Lande so selten, daß ich unwillkürlich mich interessirte und zwar nicht zu meinem Schaden. Ich verstand nur, wenn die Spieler ihr Geschnatter etwas mäßigten, und dann auch nur Bruchstücke; aber gerade genug, um einen aller­liebsten Plan zu belauschen, wie in dieser Nacht, zu welcher Stunde weiß ich nicht, ein deutscher Schooner ausgeplündert werden soll, der mitHavarie" im Hafen liegt undElse" heißt. Als ich soweit war, befürchtete ich, daß die Spitzbuben für meine Neugierde zu früh verschwinden möchten; ich stand also auf, winkte dem Wirthe, welcher dem Spiele zusah, in das

Nebenzimmer uud trat durch den Vorhang. Darauf zog ich meine Börse heraus und näherte mich dem einzigen Fenster, um ^ Geld zu suchen. Ihr werdet mir glauben, daß das nicht so schnell ging; denn diese Gelegenheit war die einzige, auf die Menschen, die vor dem Vorhänge saßen, einen sorgfältigen Blick zu Wersen. Es waren ihrer zwei, ein Neger und ein Weißer.

In denr Schwarzen erkannte ich auf der Stelle den berüchtigten Einbrecher zwei Neger von dieser außergewöhnlichen Körper­größe wird es hoffentlich hier nicht geben; der Weiße war ein schwarzhaariger Mann in Seemannskleidung, mit bartlosem Ge­sichte, das aber einen bläulichen Schatten an der unteren Partie hatte, dazu ein schwarzes Pflaster, welches das linke Auge völlig verdeckte. Das rechte funkelte dafür doppelt unheimlich und dunkel. Ihr begreift, daß es nach dem Signalement un­zweifelhaft der zweite Mann war. Ich glaube, ich habe mich bei dieser Gelegenheit ausgezeichnet unbefangen benommen; ich ! bezahlte meine Tasse Thee, grüßte die beiden Kerls höflich und schleuderte langsam davon. Wahrscheinlich hat sie der Wirth über mich beruhigt, denn ich habe nicht gesehen, daß mir einer gefolgt wäre. Ich nahm erst eine Viertelstunde später ein Bendi und hier bin ich, stark Willens, mir die fünftausend Gulden des Gouverneurs zu verdienen."

Während der Doktor nach seiner Erzählung mit in die Höhe gezogenen Augenbrauen seinen Reitsitz behauptete, waren wir beide aufgesprungen und liefen, nicht unähnlich eingesperrten Raubthieren, ein paar Male erregt die Veranda auf und nieder. Indessen hatte Schrade nicht die Geduld, uns mit unseren Ueber- legungen zu Ende kommen zu lassen.

Ich will Euch sagen, was mit der Geschichte zu machen ist," sing er an, worauf wir nuferen Spaziergang unterbrachen. Zunächst scheint mir, daß wir die Polizei aus dem Spiele lassen, weil das meine Aussichten auf die fünftausend Gulden schmählich verringern würde. Ich meine also, Rodrig läßt den Bendi anspannen; während dessen stopfen wir uns die

Taschen voll mit allerlei Schießgcräth; wir müssen daran denken, daß an Bord vielleicht nicht genug davon vorhanden ist. Dann fahren wir nach dem Hafen hinunter, Rodrig kann sich im Schisf- fahrtsburean ohne viel Aufhebens nach derElse" erkundigen; schließlich nehmen wir ein Boot und fahren an Bord."

Der Vorschlag war ebenso vernünftig wie einfach. Da die Nacht bereits auf der Erde lag, hatten wir keine Zeit

zu verlieren und rollten eine Viertelstunde später nach der !

alten Stadt hinunter. Es hatte keine Schwierigkeit zu er­

fahren, daß ein deutscher SchoonerElse" seit wenigen Wochen mit großer Havarie draußen auf der Rhede lag. Unser Plan war gleichwohl dem Scheitern nahe, als wir in der Dunkelheit vergebens nach einem Punkte auf dem Wasser such- ^

ten, der einem Schiffe überhaupt ähnlich gesehen hätte. Glück- i

licherweise fand sich, als unsere Geduld nach einigen vergeb- !

lichen Bemühungen, den Platz ausfindig zu machen, reißen

wollte, ein Bootsführer, welcher dieElse" zu finden behauptete, natürlich gegen eine angemessene Erhöhung der Regierungstaxe. Diese Schwierigkeit war leichter bewältigt, und wir waren bald genug unterwegs in der schweigenden Wasserwüste, hinter uns die Lichter der Stadt zurücklassend.

Die Fahrt dauerte bereits eine Stunde; die langen Wellen, welche am Strande gegen das Bollwerk plätschernd sich bemerk­bar gemacht hatten, waren zu ansehnlicheren Rollern angewachsen, auf denen unser Boot sich in großen Kurven hob und senkte; der Wind wehte kaum merklich, aber die Dünung verrieth, daß nicht fern von uns ein Sturm des Weges gewandert war. Wir schwiegen, da wir in Gegenwart des Schiffers das einzige Thema, mit dem sich unsere Gedanken beschäftigten, nicht er­örtern konnten. Indessen überlegte ich mir, daß unser Boots­führer, wenn er durch einen unglücklichen Zufall bei der Rück­fahrt den Räubern begegnen sollte, das Unternehmen durch arglosen Verrätst leicht vereiteln konnte, und beschloß, im rechten ^ Augenblicke meine Vorkehrungen zu treffen.

Endlich tauchte ein Licht aus der Dunkelheit auf, einige Zeit später näherten wir uns einem schwarzen Körper. Da unser Boot kein Licht führte, so streiften wir bereits die Schiffs­wand, als von oben eine Stimme herunter rief: