Heft 
(1878) 32
Seite
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in denen auch nicht das leiseste Geräusch zum Ohre drang; dann wieder jenes Plätschern, nur eine Sekunde lang, dann wieder das eintönige Rauschen des Wassers und nichts weiter.

Mein seegewohntes Ohr verstand im Augenblicke, um was es sich handelte: die Wassertropfen hatten sich verrathen, welche von umwickelten Riemen auf dem kurzen Wege niederfallen, den das Holz über der Wasserfläche zurücklegen muß. Allmäh­lich und lautlos wie ein Schatten versank ich von meinem Sitze; als ich mit den Händen das Deck berührte, kroch ich vorwärts, bis ich mit der Linken die Ankertrosse faßte und ebenso schatten­haft den Kopf über die niedrige Schanzkleidung erheben konnte.

Das Geräusch wiederholte sich so eben mit solcher Deut­lichkeit, daß ich die fallenden Tropfen hätte zählen können; aber gleichzeitig hüpfte es wie ein schwaches Blinken über das Wasser, und eine Stelle vor mir war schwärzer als die Nacht. Dieser schwärzere Raum schob sich langsam vorwärts; ich er­kannte keine Spur eines Umrisses, aber ich fühlte, wie die Pu­pillen meiner Augen wandern mußten, um den Gegenstand nicht zu verlieren.

Meine linke Hand zitterte plötzlich unter einer vibrirenden Bewegung der Trosse; der schwarze Körper wurde gleichzeitig kleiner, aber um so deutlicher hob er sich schon gegen den Wasserspiegel ab. Da eine neue heftigere Erschütterung des Taues, welche sich dem Schiffe unter mir mittheilte: ich konnte sicher sein, daß dies Zittern des Schiffes meine Freunde auf­merksam machen mußte; sonst hatte ich kein Mittel, mich be­merkbar zu machen, ich wußte nicht einmal, ob sie nicht bereits hinter mir standen: ich verließ das Wasser mit keinem Blicke.

Die Schwingungen des Taues wiederholten sich eine kurze Weile regelmäßig, endlich sah ich, wie ein schwarzer Ballen daran emporwuchs und wie mit jedem Stoße, den die Trosse ans meine Hand übertrug, dieser Körper größer und schwärzer wurde. Es war nicht mehr eine Elle von meinem Bord ent­fernt, als die Bewegung des Taues eine andere wurde und mein Blick in kurzem Abstande von dem ersten auf einen zweiten unbestimmteren Ballen fiel. Im nächsten Augenblicke hatte ich die Entscheidung: ich hob die rechte Hand mit dem Revolver zum Auge, zielte, obgleich mein Blut lebhafter als sonst in den Schläfen pochte, und in demselben Moment, in welchem nicht einen Fuß von meinem Kopfe entfernt ein paar Arme sich geräuschlos auf die Schanzkleidung legten, berührte der Finger den Abzug der Waffe.

Es war das Znsammenknallen dreier Schüsse, was im nächsten Augenblicke die tiefe Stille unterbrach; ich hatte gerade Zeit wahrzunehmen, wie der schwarze Körper von der Anker­trosse versank und das dumpfe Geräusch der über einen Gegen­stand sich schließenden Wellen zu hören, als die Gestalt vor mir über der Brüstung erschien und sich lautlos aus Mich warf. Ich versuchte noch, als wir uns gepackt hatten, mit dem Re­volver einen Schlag nach dem Kopfe des Menschen zu führen, doch der Kopf wich aus, und die Waffe entlud sich. Während die Arme des Mannes sich um meine Schultern schlangen, hatte ich die Linke an seinem Halse; aber der Versuch, ihn an dem Tuche, das ich fühlte, zu erdrosseln, scheiterte, da ich die Hand nicht weiter zu drehen vermochte, als das Gelenk es zuließ. Wir rollten wie ein Ballen über einander; ein Knie zwängte sich aufwärts gegen meine Brust, aber ich drängte mich an den keuchenden Körper so dicht, daß kein Raum dafür blieb; wieder eine rollende Bewegung, mein Kopf schlug hart aus das Deck, eine Hand fuhr nach meinem Halse, aber ich vermochte darunter hinweg zu gleiten; im nächsten Augenblicke rollte mein Gegner nach unten: das Holz dröhnte von dem schweren Schlage. Dies­mal hob ich das Knie, aber es fiel hart auf den Eisenring eines Blockes nieder; der Mann unter mir hatte sich mit einer äußersten Anstrengung seitwärts geschnellt, fuhr schattenhaft in die Höhe und verschwand wie ein Phantom: das Geräusch eines fallenden Körpers im Wasser drang zu meinem Bewußtsein ebenso schnell wie die Worte, welche dieser Schatten mir beim Verschwinden zugerufen hatte:

Ich treffe Dich wieder, Claus!"

Als ich mich erhob, tanzten mir rothe Lichter vor den Augen; auf dem Wasser sah ich nichts, aber vom Heck her drang

das Getöse ringender Männer zu mir. Ich raffte meinen Re­volver auf und eilte nach hinten.

Ein Ende!" tönte mir ein Ruf entgegen aus einem Knäuel verschlungener Gestalten. Mit einem Sprunge war ich am Maste; ich fühlte eine Leine heraus aus dem Tanwerk, als ich mich mit dem ganzen Gewichte meines Körpers daran hing, brach sie in der Höhe. Mit einem zweiten Sprunge war ich zurück und warf mich auf den Haufen. Ans dein Gewühle griff eine Hand nach dem Tau und verschwand wieder in dem Knäuel wirbelnder Gliedmaßen. Ein Paar Beine streckten sich aus der Masse heraus und stemmten sich mit einer äußersten Anstrengung gegen einen Balken; instinktmäßig erkannte ich, daß diese Glieder dem Feinde gehörten, und umschlang sie mit beiden Armen. Aber es war eine ungeheure Kraft, gegen die ich zu kämpfen hatte: ich preßte diese Beine gegen meinen Körper, und unter ihren Zuckungen flog ich selbst umher wie ein Ball.

So!" sagte eine Stimme aus dem Menschenknüuel.Nun die Beine!"

Ich halte sie!" rief ich.

Von neuem machten die Beine verzweifelte Anstrengungen, sich ans meiner Umschlingung zu befreien; das Deck dröhnte unter meinen Stößen, und es war fast am Ende mit meiner Widerstandsfähigkeit, als ich die Stimme des Doktors sagen hörte:Lassen Sie los, wir haben ihn sicher!"

Ich löste meine Arme und erhob mich taumelnd. Der Knäuel hatte sich gelöst, wir umstanden einen Körper, der am Boden lag und sich so eben halb ausrichtete.

Gcntlemen, ich mache Ihnen mein Kompliment!" sagte der Mensch am Boden.Auch Ihnen, Kapitän; Ihr Tanwerk ist von vorzüglicher Haltbarkeit, hoffentlich dauerhafter als die Handschellen des Gouverneurs!"

Ich hoffe es, Mann!" sagte der Kapitän lachend.Es wäre schade um das schöne Stück Arbeit, wenn ein braves Seemannstan nicht solchen Kerl zur Ruhe bringen sollte!"

Schade auch um die zehntausend Gulden des Gouverneurs!" sagte der Mann.

Fünftausend!" warf der Doktor ein.Höher hat er Sie leider nicht geschätzt."

Ach ich sehe, die Herren haben sich noch nicht Zeit ge­nommen, die neueste Zeitung zu lesen. Mein Freund, der Gou­verneur, hat eine bessere Meinung von mir als Sie, obgleich er mich nicht halb so gut schätzen kann. Seit heute Abend bin ich im Preise auf das Doppelte gestiegen!"

Gleichviel!" unterbrach der Kapitän die sonderbare Unter­haltung.Wir können unmöglich den Rest der Nacht an Deck kampiren; ich denke, wir schaffen den Gefangenen nach unten und besehen uns die Geschichte bei Licht."

Der Mann ließ sich ohne Widerstand aufheben und unter Deck tragen. Der Kapitän brachte einige Lampen zusammen, und wir bildeten in dem wüsten leeren Raume des Zwischen­decks eine Gruppe, die einem Künstler ein würdiger Vorwurf gewesen wäre. Mein äußerer Zustand war überhaupt nicht mehr menschenwürdig; in Fetzen hing mir die Kleidung vom Leibe, und die Reste starrten in einer Kruste von Theer und Schmutz. Indessen hatte keiner unter uns einen Vorzug voraus: die Spuren des Ringens waren an jedem mit erschreckender Deutlichkeit haften geblieben. Der Kapitän entschuldigte sich, daß er uns nicht in seine Kajüte führte: sie sei nicht auf Gäste eingerichtet; aber er verschwand auf einige Zeit und überließ uns die Sorge um ein leidliches Unterkommen. Wir waren in unserem Zustande nicht mehr wählerisch, wir streckten uns auf den Planken der Länge nach aus, ohne den Gefangenen aus den Augen zu verlieren, und erzählten uns unsere Er­lebnisse.

Die Räuber hatten ihren Ueberfall mit aller erdenklichen Vorsicht ins Werk gesetzt; der Angriff erfolgte von zwei Booten aus, gleichzeitig vorn und hinten. Dort war ihnen die Leiter zu statten gekommen, welche wir selbst bei unserer Ankunft be­nutzt hatten; der Doktor, welcher mit gespannter Aufmerksam­keit das Nahen der Gefahr verfolgte, war nicht zum Schüsse gekommen, da er seine Beute lebend haben wollte; aber in dem­selben Augenblicke, in welchem Schrade den Neger Packte, schossen