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der Kapitän und Rodrig gleichzeitig auf eine zweite Gestalt, welche die unterste Sprosse der Leiter in die Hand nahm. Von da ab war auf dem Wasser nichts mehr zu erblicken, und wir kamen zu dem Schlüsse, daß wir es überhaupt nur mit vier Angreifern zu thun gehabt hatten. Eine direkte Frage beantwortete der Neger mit einem Grinsen.
„Aber, ineine Herren," sagte er, „Sie sind von einer sträflichen Neugierde!"
Wir sahen uns gegenseitig an und brachen natürlich in Lachen ans: der Mann hielt, was das allgemeine Gerede von ihm versprach, er war sicherlich eine interessante Erscheinung.
Der Kapitän erschien bald danach wieder in Begleitung des Schiffsjungen, der während der vorangegangenen Ereignisse unsichtbar geblieben war; beide brachten Lebensmittel und eine hochwillkommene Batterie von Weinflaschen herbei, und wir beeilten uns, ohne jede Nöthignng znznlangcn, da die allgemeine Erschöpfung eine Stärkung forderte. Die Erzählung meines leider verfehlten Abenteuers hörte der Kapitän mit an; als ich die Worte referirte, mit denen der unheimliche Gegner von mir Abschied genommen hatte, sah Behrensen ans, aber er sprach kein Wort, auch nicht, als die Freunde die naheliegende Ver- muthung anssprachen, daß es sich in diesem Falle um einen Akt persönlicher Rache zu handeln scheine. Mir war längst die Erinnerung an jene Morgenseene in Fischingen durch den Kopf gegangen, an den Schwur des betrogenen Liebhabers, aber der Zusammenhang war mir nicht recht wahrscheinlich. Die beiden
bekannten Personen der Handlung hatten keine Aehnlichkeit mit dem Italiener Franzis, weder der Neger, der zwischen uns lag, noch der Seemann niit dem Pflaster über einen: Auge und dem rasirten Gesichte, wie ihn Doktor Schrade übereinstimmend mit den: allgemeinen Gerüchte beschrieben hatte. Indessen fand ich wenig Zeit, über die Sache nachzugrübeln, da unser Gedankenaustausch sich auf das Nächstliegende Ercigniß beschränkte. Das erheiternde Moment blieb der Neger, der mit einem zu seiner Lage sonderbar kontrastirenden Gleichmnthe sich unaufhörlich an unserer Unterhaltung betheiligte und mit einer verzweifelten Höflichkeit uns eine Rücksicht erwies, die zu erwidern wir uns nicht bewogen fühlen konnten.
Als der Morgen anbrach, genoß der Schwarze vor uns den Vorzug eines erquickenden Schlafes, den er nicht einmal zu unterbrechen Anstalt machte, als wir ihn in das Boot trugen. Ans den: Wasser war nicht das geringste Verdächtige mehr zu finden, die beiden Boote waren verschwunden, das unseres Boots- sührers schaukelte an seiner Kette auf dem Wasser.
Es war noch nicht nenn Uhr morgens, als wir unseren Gefangenen in das Gewahrsam der Kolonialpolizei ablieferten und alsdann nichts Eiligeres zu thun hatten, als einen Bendi zu nehmen und unseren fragwürdigen Anblick den Neugierigen mit der Schnelligkeit der acht Pferdehufe zu entziehen. Der Kapitän war an Bord zurückgefahren, der Bootsmann hatte uns unten am Hafen verlassen; natürlich war Sorge getragen, daß wir uns wiedersanden. (Schluß folgt.)
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Nachdruck verboten. G^. v. H./VI. 7u.
Ernstes und Keiteres aus Wotucks Leben.
Von einem Schüler des Verstorbenen.
tauschen durfte. Unter mancher Entbehrung, aber mit eisernem
Das Daheim hat bereits vor einigeil Jahren (VII. Jahrg. S. 664) bei Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums Tholucks von berufener Hand ein Lebensbild des „Halleschen Stndenten- professors" gebracht. Von demselben Verfasser ist eine zuverlässige des Namens würdige Biographie Tholucks zu erwarten. Als geringe Beiträge für eine solche haben aber alle die anschaulichen Züge ans Tholucks Leben und dem Verkehr mit ihm, die in dem Gedächtniß von vielen lebendig sind, einen gewissen Werth. In diesem Sinne allein wünschen die nachfolgenden Erinnerungen aufgefaßt zu werden.*)
Der berühmte Professor der Theologie, der in einer glanbensarmen Zeit dem Evangelium wieder Bahn gebrochen hat, durch den Tausende von Geistlichen in allen Welttheilen zur Quelle der ewigen Wahrheit geführt worden sind, an dessen Schriften Scharen anderer sich gelabt, war in seiner Jugend selbst ein Zweifler, dem das Evangelium ein Aergerniß war. Er betrachtete es selbst wie ein Wunder, daß sein Leben eine solche Losung bekommen, wie er sie an: Tage seines fünfzigjährigen Jubiläums bekennen durste: „Ich habe nnr eine Passion und die ist Er, nur Er!" Von den merkwürdigen Wegen, ans denen ihn Gott geführt, hat er einst ans einsamer Wanderung mit einem Studenten in einem Hochthale der Schweiz ein wenig den Schleier gehoben. Aus der eigenen Erzählung des Entschlafenen beruht die zunächst folgende Mittheilung seines damaligen Begleiters, der diese Zeilen schreibt. Wenige Angaben schicken wir voraus.
Ein brennender Wissensdurst beseelte Tholuck schon im Knabenalter; Noth und Armuth waren der Grund, warum er trotzdem Le: seinen: Vater als Goldschmied in die Lehre trat. Nicht seiner schwachen Augen wegen, wie man nicht selten erzählt, verließ er dieses Handwerk, der Knabe zeigte sich vielmehr durchaus ungeschickt zur Handhabung der kostbaren Ge- räthe. Noch in: Alter verwahrte er einen Ring, den er zum besonderen Verdruß seines Vaters einst zerbrochen hatte. Derselbe war ihm Werth, weil er schließlich den Ausschlag gab, daß er den Lehrlingsschemel wieder mit der Schulbank ver-
*) Zur vorläufigen Ergänzung nennen wir nnsern Lesern zwei im Verlage von Jul. Fricke in Halle erschienene Broschüren: „v. Tholucks fünfzigjähriges Jubiläum am 2. Decbr. 1870" und „v. Aug. Tholuck. Zur Einnerung an seinen Heimgang für seine Freunde." Letzteres zum Besten des Tholuckschen Convikts. (Vgl. Notiz am Familientisch.) D. R.
Fleiß durchlief er dann die Klassen des Gymnasiums zu Breslau. Schon als Primaner war er des Arabischen so mächtig, daß er sich mit seinen: Lehrer, dem Kenner des Arabischen, Habicht and der Tochter desselben in der Znnge Muhammeds unterhalten konnte. Dem Studium der orientalischen Sprache widmete sich der angehende Student mit rastlosem Eifer, und zumal die Romantik morgenländischer DichtniMi: fesselte ihn mit Zaubergewalt. Die Schriften des berühmtesten damaligen Vertreters dieser Studien, des Herrn v. Diez, waren seine liebste Lektüre. Die christliche Glaubenslehre kam ihm nach seinen: eigenen Geständniß damals nur abstoßend nnd wie abgestandenes Wasser vor.
Es wurde das glühende Ideal seines Lebens, wie Herr v. Diez einst aus diplomatischen Sendungen die Länder des Orients kennen zu lernen und in die Blütensülle des Zanber- gartens persischer Dichtungen sich immer mehr zu versenken. Ohne diese Aussicht erschien ihn: sein Leben mehr als zwecklos. Sollten dennoch unüberwindliche Hindernisse ihm in den Weg treten, dann — sah er vor sich nnr einen furchtbaren Abgrund gähnen. Er war entschlossen, den Sprung in die entsetzliche Leere zn wagen, Hand an sein eigenes Leben zu legen, wenn sein Ideal sich nicht erfüllte.
An: Schluß des ersten Studiensemesters in Breslau war sein Entschluß gefaßt. In einen: an Herrn v. Diez gerichteten ^ Briefe brachte er seine glühende Begeisterung für die Welt des Orients und die flehentliche Bitte um Anleitung und Hilfe für sein Streben zum Ausdruck. ^
Um diesen Brief persönlich zu überbringen, machte er sich ans zur Reise nach Berlin. Von der Antwort des Herrn v. Diez ; sollte die Erfüllung oder Vernichtung seiner Lebenshoffnung ! abhängen. Der Abschied von Breslau ward ihm nicht schwer.
Ihn beseelte nur der eine Gedanke. Kaum war er in dem langsamen Postwagen gegen Kälte geschützt. Kärglich war seine l Baarschaft. In Berlin war Tholucks erster Gang zu Herrn v. Diez.
An einem trüben Regentage in: März, wenige Tage vor seinem j Geburtstage, zog der junge unbekannte Mann mit klopfendem Herzen an dem einsam vor dem Thore gelegenen Hause die Klingel. Ein Diener öffnet und gibt auf die Frage: „Ist Herr v. Diez zn sprechen?" die Antwort: „Herr v. Diez ist leidend, ! und der Arzt hat ihm verboten, Besuche zu empfangen." j