Umschau in fernen Landen.
Wenn auch die Finanzen des ägyptischen Chedive augenblicklich schlecht stehen, so schreitet sein Land doch in vielen Dingen mächtig vorwärts und der alte Mehmed Ali würde staunen, wenn er aus seinem Grabe erstände und die mit europäischem Comfort ausgestatteten Städte Alexandria und Kairo, die weit am Nil hinausreichende Eisenbahn, den Suez-Kanal u. drgl. sähe. Jetzt ist wieder ein mächtiges Werk über das Stadium des Projektes herausgetreten, nämlich die Trockenlegung des Mareotis-Sees, welche von einer niederländischen Gesellschaft in Angriff genommen wird. Dies allein verbürgt schon eine tüchtige Ausführung, denn die Holländer sind ja Meister im Wasserbau und haben ihr Haarlemer Meer schon trocken gelegt. Der Mareotis-See ist im äußersten Nordwesten des Nildeltas gelegen, südlich von der Stadt Alexandria und stellt jetzt eine große sumpfige Marsch dar, die etwa zwei Meter unter dem Spiegel des Mittelmeeres liegt, das durch einen großen Deich bei Abukir — berühmt durch die Schlacht —vom Mareotis- See abgesperrt ist. Im Anfänge des Jahrhunderts lag der See trocken; große Flächen desselben waren bebaut und vierzig Dörfer standen da, wo heute Fische und Wasservögel Hausen. Da belagerten die Engländer unter General Hutchinson Alexandria, das von den Franzosen besetzt war, im Jahre 1801. Es galt letztere von der Hauptarmee abzuschneiden, die in Kairo stand und Hutchinson bewirkte dies durch die Durchstechung des Deiches bei Abukir. Das Mittelmeer ergoß sich in den Mareotis und verschlang 40 Dörfer und 200,000 Acker kultivirbares Land. Nun heißt es: dem Meere wieder abringen, was es genommen. Große Pumpwerke werden erbaut und wenn der Mareotis wieder trocken liegt, dann tritt eine zweite schwierige Aufgabe an die Ingenieure heran. Der Boden des SeeS ist nämlich jetzt völlig mit Salz imprägnirt, welches den Anbau von Feldfrüchten verhindert. Aber da ist der Mamumdio-Kanal vorhanden, der süßes Wasser vom Nil herführt; mit diesem will man den salzigen Boden drei Jahre lang überschwemmen, also waschen und das schönste Kulturland ist fertig. Liegt es erst ganz trocken und angebaut da, dann verliert auch Alexandria sein Fieberklima, das es hauptsächlich dem sumpfigen Mareois-See verdankt.
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Zu den beinahe ausgestorbenen Thieren gehört der Biber, doch hat er sich neuerdings an der Elbe bei Barby, wo er noch vorkommt, wieder etwas vermehrt. In Frankreich kommt er noch am Rhone vor; in Großbritannien ist er längst ausgestorben. Der Daily Telegraph meldet nun, daß einer der reichsten Grundbesitzer Schottlands, der Marquis von Bute, mit Erfolg diese interessanten Thiere wieder auf seinen großen Gütern eingeführt hat. ' Ganz nahe bei Rothesay inmitten des Waldes am Mount Stuart hat er einen Park ummauern lassen, durch den ein Bergwasser strömt, und an diesem geeigneten Platze Biber aus Cannda ausgesetzt. Die Thiere, welche ganz sich selbst überlassen waren, haben sofort das Terrain nach ihren Bedürfnissen umgestaltet; sie erbauten nämlich drei Dämme aus Zweigen, Baumstämmen und Steinen quer über das Flüßchen, stauten es so auf und erreichten auf diese Weise die Herstellung eines Sumpfes, an dessen Ufern sie ihre Behausungen mit zwei Ausgängen, einen nach den Wasser-, der andern nach der Landseite hin, anlegten. Erlen- und Saalweidenholz bearbeiten sie am liebsten; mit ihren kräftiger: Nagezähnen hauen sie es einen Fuß hoch über dem Boden an, wobei sie eine sitzende Stellung einnehmen und die abfallende Rinde verzehren. Sie sind, sagt der Bericht, im Absagen der Bäume so geschickt, daß sie dieselben ganz nach der Seite hin fällen, die ihnen beliebt. Diese Biber haben unter ihnen zusagenden Verhältnissen sich ungemein rasch vermehrt; die zwei Paar, die der Marquis von Bute einführte, sind nun schon auf hundert Stück angewachsen. Das schottische Klima, die ganzen Verhältnisse des Landes scheinen dem Biber sehr gut zuzusagen und beabsichtigt man nun noch andere Gegenden des Landes mit dem interessanten Nager zu bevölkern.
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Die gesammte Kohlenausbeute aller Länder der Erde betrug im Jahre 1875 mindestens 274 Millionen Tonnen oder 5480 Will. Centner. 'Unter allen kohlenerzeugenden Ländern der Erde steht Großbritannien mit 185(4 Mill Tonnen oben an; unser deutsches Reich folgt dann mit 46 V 2 Mill. Tonnen in zweiter Linie. Es dürfte aber bald von den Vereinigten Staaten überholt werden, welche schon 42 Mill. Tonnen im Jahre producirten, deren Kohlenfelder aber hundertfach so groß wie die Deutschlands sind und die mit der Zeit wohl den ersten Platz erreichen werden, da auch die englischen Kohlenfelder nur klein im Vergleich mit den nordamerikanischen sind. Aber ob diesen nicht auch einmal eine noch gewaltigere Concurrenz erwachsen wird? Freiherr von Ri chthofen, der beste Kenner Chinas, stellte jetzt Berechnungen über die Kohlenfelder und Kohlenproduction Chinas an, wobei er zeigte, daß die letztere gegenwärtig nur 3 Mill. Tonnen im Jahre beträgt. Wahrscheinlich aber übertrifst das Areal der Kohlenfelder Chinas nach die viel angestaunte Ausbreitung der nordamerikanischen und mit dem größten, dem von Schansi, kann sich in der Vereinigung der günstigsten Bedingungen in Hinsicht auf Lagerung, Qualität und Quantität, kein anderes Kohlengebiet messen, um so weniger, als hier in Verbindung mit der Kohle ausgezeichnetes Brauneisenerz sich in großer Menge findet. Bei einer jährlichen Kohlenausbeute von 800 Mill. Tonnen könnte dieses vortreffliche Anthrazitlager allein den ganzen gegenwärtigen Bedarf der Welt für 2400 Jahre decken. Die Ausbeutung der chinesischen Kohlenfelder ist aber noch so sehr in der Kindheit, daß sie gegenwärtig trotz der günstigsten Bedingungen nur erst ein fünfzehntel der deutschen Kohlenproduction betrügt. Richthofen zweifelt indessen nicht, daß sie sich schon in der nächsten Zeit sehr erheblich steigern wird und da nirgends so billiges Brennmaterial mit einer so unerschöpflichen Fülle billiger und zugleich intelligenter Arbeitskraft vereinigt ist, wie in China, so können sich, falls die Chinesen nur wollen, in kurzer Zeit Produktionscentren ersten Ranges bei den Kohlenfeldern bilden. Die bisher so günstige Handelsbilanz mit China droht dadurch erheblich gestört zu werden; Opium und Baumwollgewebe, die Hauptgegenstände des europäischen Imports, drohen beide mit einem Rückgang, welcher in nicht ferner Zeit Europa die Frage vorlegen wird, womit Thee und Seide bezahlt werden sollen, von denen wir Europäer schon jetzt für nahezu 400 Mill. Mark im Jahre einführen.
Die gute Meinung, die Herr v. Richthofen hier von der chinesischen Arbeitsbevölkerung ausspricht, wird getheilt von einem Engländer, Herbert A- Giles, welcher lange Zeit englischer Consularbeamter in China war und von dem soeben in deutscher Uebersetzung „Chinesische Skizzen" (Berlin I. A. Wohlgemuth 1878) erschienen sind. Man übertreibe des Chinesen Laster und übersehe seine Tugenden, meint Giles. Trunksucht gebe es dort
nicht; nach neun Uhr abends seien dort dis Straßen ruhig und verlassen, was man in Europa nicht erreichen könne. Man nehme hinzu: Fleiß, Fru- galität, Patriotismus und eine unbegränzte Achtung vor der Pflicht und man wird erkennen, daß die Chinesen eine reich beanlagte und weise Nation sind, lieber die chinesische Literatur, welche Herr Giles genau kennt, urtheilt derselbe ziemlich geringschätzig, während er die Zahnarzneikunst der Chinesen dagegen in einem ganz merkwürdigen Lichte erscheinen läßt, so daß wir nicht umhin können' eine Stelle aus dem betreffenden Abschnitte hier herzustellen: „Als ich einst durch jene unerschöpfliche Fundgrube, eine chinesische Stadt, schlenderte, wurde ich Zeuge einer seltsamen aber nicht ungewöhnlichen Scene. Ich stand gerade vor der Bude eines Straßen- apothekers, Wundarztes und Allerweltsheilkünstlers nnd überschaute seinen Vorrath von Kräutern, Drachenzähnen, Tigerkrallen und ähnlichen Heilmitteln der chinesischen Pharmacopöe, als ich einen Mann kommen sah, welcher anscheinend unter großen Schmerzen die Hand an den Backen hielt. Er setzte sich neben dein Arzt nieder und sagte ihm, er wolle sich einen Zahn auszrehen lassen, weil er schrecklich an Zahnschmerzen litte. Der Doktor öffnete den Mund des Patienten und untersuchte den kranken Zahn; dann schüttete er aus einem kleinen Fläschchen seines Medizinkastens etwas rothes Pulver in die Hand, leckte an die Finger, tupfte auf das Pulver und rieb den schmerzenden Zahn und Gaumen damit. Dies wiederholte er drei bis viermal; dann drehte er den Kopf des Kranken nach unten und zum nicht geringen Erstaunen der Umstehenden und augenscheinlich auch des Patienten selbst, fiel der Zahn auf die Erde. Auf die Frage des Doktors, ob er irgend welchen Schmerz verspürt hätte, antwortete er mit nein, und nach Erlegung einer geringen Summe war die Consultation zu Ende. Auf meinen Wunsch wurde der Zahn aufgehoben und mir von den: Besitzer selbst mit der größten Bereitwilligkeit gezeigt; er kam zwar offenbar frisch aus einem menschlichen Kiefer, da aber auch nicht der geringste Blutausfluß aus dem Munde des Mannes zu sehen war, so hielt ich die ganze Operation für Humbug nnd den Patienten für den Mitschuldigen. In diesem Falle war aber der Doktor kein Neuling in Taschenspielerkunststücken und deb Ausdruck des Erstaunens im Gesichte des andern Mannes, als er seinen Zahn auf der Erde liegen sah, gehörte zu den vorzüglichsten Leistungen der Schauspielerkunst, dis ich je gesehen habe. In jener Nacht träumte ich von einem großen Etablissement in London mit einem gewaltigen Schilde über der Thür: „Hier werden die Zähne schmerzlos ausgezogen." Herzoge und Herzoginnen stiegen meine Treppe auf und ab um sich durch einen aus China eingeführten, ge- heimnißvollen und nur mir bekannten Prozeß die Zähne ausnehmen zu lassen."
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Die Engländer, welche so eifersüchtig werden, wenn irgend ein andrer Staat seine Machtsphäre vergrößert, handeln ganz gewiß nicht nach dem Grundsätze „Was Du nicht willst, daß man Dir thu, das füg auch keinem andern zu." Ich will hier daran erinnern, daß das britische Kolonialreich 375,000 Quadratmeilen mit l65 Millionen Einwohnern umfaßt. In China haben sie den Chinesen Hongkong abgenommen; uiit Singapur beherrschen sie Hinterindien; St. Helena dominirt im atlantischen Ocean; Aden und die Insel Perim schließen das rothe Meer ab; kurz, wo ein strategisch und handelspolitisch wichtiger Punkt auf ganz wildfremdem Boden vorhanden, da haben sie sich eingenistet nnd wachen eifersüchtig über ihren Besitz. Uns Deutschen selbst sitzen sie in Helgoland wie die Fliege auf der Nase und die Spanier sind nicht wenig darüber erbost, daß das wichtige Gibraltar, der Schlüssel des Mittelmeeres, in den Händen jener ist. Was haben sie eigentlich in Malta zu suchen, dem alten Fels der Johanniter? Gehört dieser nicht zu Italien wie Helgoland zu Deutschland, Gibraltar zu Spanien? Auch einige französische Inseln sind unter englischer Herrschaft, wir meinen die normannischen oder Canalinseln an der nordfranzösischen Küste. Freilich sind sie nur 3(4 Quadratmeilen groß und zählen nur 10,000 Einwohner; letztere aber sind Franzosen. Nun haben kürzlich die Engländer versucht auf der Insel Jersey das Englische als Amtssprache einzuführen; sie sind aber damit von den Ständen gründlich abgewiesen worden. Jersey, Guernsey, Aurigny und Serk wollen, was die Nationalität betrifft, französisch bleiben. Das Journal des Debats, welches diesen Fall bespricht, wirft nicht unberechtigt die Frage auf: ob es denn nicht eine Anomalie sei, daß diese französischen Inseln den Engländern gehörten?
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„Das Meer gehört den Briten" sang einst Heinrich Heine und er reimte darauf: „Uns aber gehört im Reiche der Luft, die Herrschaft unbestritten." Daß es gegenwärtig anders geworden brauchen wir nicht erst hervorzuheben und wenn wir auch keinen Anspruch darauf erheben, das Meer zu beherrschen, so bürgt doch unsre Kriegsflotte dafür, daß der Deutsche ungestraft im Auslands nicht mehr beleidigt werden darf. Die Bevölkerungen halbcivilisirter überseeischer Länder glauben blos an die Macht, welche sie vor Augen sehen und bemessen danach ihr Verhalten. Für sie bilden Größe, Zahl, Ausrüstung der Kriegsschiffe, sowie das mehr oder minder häufige Erscheinen derselben den Maßstab der Beurtheilung, wie weit sie sich dem mächtigeren Staate zu fügen und dessen Autorität anzuerkennen haben. Anlaß zu diesen Bemerkungen gibt uns die Beilegung des Streites mit Nicaragua. Dieser halbcimlistrte mittelamerikanische Staat bequemte sich erst, für die Beleidigung des deutschen Consuls Genugthuung zu geben, als ein deutsches Geschwader vor der Hafenstadt Corint erschien. Ein deutsches Panzergeschwader vor Salonichi half der türkischen Justiz in dieser Stadt auf die Beine, als der deutsche Konsul dort ermordet worden war und man säumig in der Bestrafung der Verbrecher war. Als eine Bremer Handelsgesellschaft, welche im südamerikanischen Staate Colombia von Sabanilla nach Baranquilla eine Eisenbahn erbaut hatte, von jenem Staate dafür nicht bezahlt wurde, erschien 1872 Admiral Werner mit einigen Panzerschiffen in jener Gegend und flugs zahlte Colombia. Wir haben hier ferner hinzuzurechnen die Erlangung einer Entschädigung von Seiten der spanischen Regierung als Ersatz für Len im Jahre 1874 durch die Carlisten herbeigeführten Verlust der deutschen Brigg „Gustav." Durch dis Absendung deutscher Kriegsschiffe wurden 1878 die Schwierigkeiten und Hindernisse aus dem Wege geräumt, welche dein Seehandel bei den Sulu-Inseln in Ostasien in den Weg gelegt wurden und die Versammlung eines deutschen Geschwaders in Hongkong im Frühjahr 1876 endlich zeigte den Chinesen, daß mit den Repressalien für die wiederholten Strandräubereien Ernst gemacht werden sollte und übte sogleich einen heilsamen Druck aus die chinesische Regierung. Man sieht den Nutzen, den unsre Flotte in fernen Meeren gewährt,