Aus dem Uapierkoröe des Daßeim.
Jer Berliner Theetisch.
und seine ethische Bedeutung für die moderne Kultur.
Der Berliner Theetisch sieht aus, wie ein Mittelding zwischen einem Porzellanladen und einem Weißwaarengeschäft. Sein vornehmster Bestandteil sind nämlich Teller, Tassen, Kannen und Kännchen in ungezählter Menge, und Servietten. Besitzt dis Familie Silberzeug, so ist auch dieses in Ermanglung anderer Genußmittel wie in einem Schaufenster aufgestellt. Man würde indessen übertreiben, wenn man behauptete, daß sich gar nichts Eßbares auf dem Berliner Theetisch befände. Immer wird wenigstens symbolisch angedeutet, daß auf dringendes Verlangen jemand auch materiell, nicht nur g eistig hier befriedigt werden könnte. Nur, daß man ein so rohes Begehren bei den erwarteten Gästen nicht voraussetzt; denn ein anständiger Theegast hat zwischen 6 und 7 Uhr abends zu Mittag gespeist und erfreut sich im Moment seines Eintreffens einer gänzlichen Äpp'etitlosigkeit.
Die symbolischen Nahrungsmittel bestehen in der Regel aus Folgendem:
Am einen Ende des Tisches befindet sich der bekannte silberne Theekesiel, der in allen Novellen vorkommt, in welchen ein Theeabend im vornehmen Salon geschildert wird. Er „brodelt" und „singt" sehr geräuschvoll, nimmt auch den Hauptplatz fort. Trotzdem ist nichts darin, als pures Wasser, das unter dem Beifall der Eingeladenen sehr allmählich zu kochen anfängt.
Mr. Slade und Bellachini würden über ihre Stumperhaftigkeit erbleichen, wenn sie mit ansähen, welche unvergleichlichen Kunststücke zarte Hände mit dieser Substanz — dem warmen Wasser — zu vollbringen im Stande sind. Zunächst wird sieben- bis achtmal mit dem äußersten Spitzchen von Zeigefinger und Daumen der Deckel des Theekessels gehoben und wieder gesenkt, nachdem der Versuch, hineinzusehen, an den aufsteigenden Dämpfen ebenso häufig gescheitert ist. Aus diesem Experiment erwächst jedoch der Gesellschaft die Ueberzeugung, das; der Deckel keinen doppelten Boden hat, und daß die noch folgenden Vorgänge mit natürlichen Dingen zugehen. Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Kommt man um halb neun Uhr, so ist spätestens um ein Viertel auf elf die erste Tasse Thee als ein Triumph der Wissenschaft an die Lampe gefördert. Dem Deckelheben folgte nämlich das Umgießen: aus der Kanne zunächst in eine Tasse, aus dieser zurück an den ursprünglichen Ort der Bestimmung, sodann in ein Kännchen, ferner auf eine Prise Thee als Probe. Hierauf werden zwei ganze, gehäuft volle, Theelösfel aus der chinesischen Theebüchse entnommen. Das eigentliche Aufgießen beginnt. Endlich entsteht eine Flüssigkeit, über welche sich der gegründete Verdacht erhebt, daß sie ein Theeextrakt wäre. Dies kann indessen niemals genau festgestellt werden, weil dis Verabfolgung an das Publikum nur in homöopathischer Verdünnung geschieht, so daß sich ohne mikroskopische Untersuchung die ursprünglichen Beftandtheile nicht mehr enträthseln lassen.
Neben der Theemafchine steht der Würfelzucker. Es ist jedoch die Sorte, von welcher !)0 nicht V«) Stück aufs Pfund gehen; denn die Geheimräthin weiß, daß der Hofrath Müller und der Rittmeister Zettlitz doch drei Stück zu jeder Tasse nehmen, gleichgültig, ob sie groß oder klein sind. Im silbernen Kännchen begleitet den Zucker eine Milch, deren verwandtschaftliche Beziehungen zum Brunnenwasser sie zur Vermischung mit Thee ganz besonders geeignet machen.
In fester Form befinden sich auf dein Theetisch:
1. Die Vexirbrödchen, welche znsammengeklappt sind, so daß der Neuling Butter daraus vermuthet.
2. Geröstete Zwieback, die sich auch halten, falls sie nicht gegessen werden.
Z. Ein Teller mit kaltem Aufschnitt, dessen eigentliche Bestimmung die
Frühstückssemmeln des Hausherrn für die nächste Woche sind.
4. Der Heringssalat — die piseo äo rosistnnes, zur Hauptsache aus Korinthen, einer Gurke und dem kleingeschnittenen Kalbsbraten vom letzten Sonntage bestehend.
5. Die Cierschnittchen. Drei thatsächliche, unläugbare Hühnereier werden, hart gekocht, ein jedes in acht Theilchen zerlegt, so daß die gegenwärtig so außerordentlich beliebte Halbmondform entsteht. Auf jedem Schnittchen krümmt sich ein Sardellenjüngling zu einer kunstvollen Spirale.
6. Imst not loast: ein und ein halbes Dutzend Theekuchen, auf nur elf Personen gerechnet.
Während die ersten vier Nahrungsmittel sich zum Aufheben eignen und daher mehr die Rolle des Schaubrots spielen, werden die beiden letzten schonungslos der Vernichtung preis gegeben, weil sie sonst alt würden. Die Hausfrau gibt selbst das Signal hierzu, indem sie einen Theekuchen ohne Erbarmen zwischen den Finger zerbricht und die Hälfte davon in den Mund schiebt, die andre aber liegen läßt.
Damit sind die materiellen Seiten der Festlichkeit übrigens noch nicht erledigt. Gegen das Ende wird der Moselwein des Hausherrn vorgeführt und, da es bekanntlich die Eigenschaft der Säure ist, lustig zu machen, so bricht am ganzen Theetisch in Kürze eine ungeheure Heiterkeit aus.
Zur Umgebung des Theetisches gehört in erster Linie ein Geheimrath, dessen Frau, die Räthin, der eigentliche Hausherr ist. Kein Geheimrath besitzt ferner unter drei gleichgekleideten Töchtern, welche außer dem Theean- gießen das Erröthen und das Tellerherumreichen besorgen. An Appetitlosigkeit übertressen sie den wohlgezogensten Gast. Die Geheimräthin aber ist das Auge des Theetisches. Sie versteht es, mit einem einzigen Blick, Zuckerdose, Kuchenteller, Heringssalat, kalten Aufschnitt und die sämmtlichen Eingeladenen mit allem was sie vor und an sich haben, zu mustern. Dabei hält sie die Zügel der Konversation fest in der zarten Rechten.
Außer dem Hofrath und dem Rittmeister nebst Gattinnen ist ein zweiter Geheimrath aus demselben Ministerium, ein jüngerer Gardelieutenant, der die Violine spielt und Witze macht, ein sehr subtiler Referendarius, den die Geheimräthin einen Mann von den besten Sitten nennt, und der Professor da. Der letztere zeichnet sich nicht allein durch Gelehrsamkeit, sondern auch durch eine ungeheure gelbe Piqusweste und sehr siegesgewisfe Manieren aus. Es rst nämlich eine Specialität der großen Gattung, der elegante Salonprofessor.
Winterfeld, der bekannte Humorist, sagte einmal von dem Berliner Theetisch, daß er sich zum englischen Theetische verhalte, wie ein Sperling aus der Lüneburger Heide zu einer fetten pommerschen Gans. Unzählige Scherze hat er sich gefallen lassen.
Dennoch hat er auch seine großen Vorzüge, selbst unläugbare Verdienste
um die Gesellschaft, die über der sprichwörtlichen Magerkeit, welche ihm eigen ist, niemals recht zur Geltung gekommen sind. Treten wir also seinen Lichtseiten näher, die uns seine ethische Bedeutung für die moderne Kultur werden erkennen lassen. —
In der jüngst erschienenen Schrift eines Russen über das preußische Offizierkorps*) ist Folgendes als Zugabe vom deutschen Familienleben gesagt: „Die Mehrzahl der deutschen Männer zieht es vor, die freie Zeit in einer Restauration, im Kreise von Freunden und bei dem unvermeidlichen Bierkrua, sanstatt zu Hause in der Familie zuzubringen. Jede Beschränkung der persönlichen Freiheit hassend, gestattet sich der Deutsche hier volle Freiheit. Mit zwei, drei Freunden hinter dein Tisch geborgen, urtheilt er tiefsinnig über den Stand der Dinge. So behaglich er sich in dieser Situation fühlt, so gezwungen und bedrückt suhlt er sich in Gegenwart von Frauen und im allgemeinen in jeder gebetenen Gesellschaft, die er durchaus nicht liebt, und in der er nur deshalb erscheint, weil er sie für etwas ganz Besonderes, gewissermaßen eine Verpflichtung ansieht, der sich der Wirth seinen Bekannten gegenüber ein, zwei Mal im Jahre zu entledigen hat. Bei solchen Gelegenheiten hält es der Hausherr für ein unbedingtes Erfordernis; des guten Tones, seine Gäste mit einem durchaus überflüssigen Luxus zu umgeben, während er sonst für gewöhnlich in den allereinfachsten Verhältnissen lebt. Infolge dessen werden meistens ungebetene Gäste durchaus nicht gern gesehn. weil einen Bekannten einfach aufzunehmen, im allgemeinen als nicht schicklich gilt."
Folgende Cinwände sind hier am Platz:
„Es ist doch nur ein Russe, der das sagt. Die Russen aber sind bekanntlich Barbaren, welche fünf Monate brauchen, um Plewna zu nehmen, und die nur durch den Anblick ungeheurer Schneemasscn so weit begeistert werden konnten, daß sie im Umsehen über den Balkan gingen. Wie kann ein Russe über deutsches Familienleben urtheilen!"
Barbaren sind indessen naiv. So ist es auch diesem hier ergangen. Er ist nämlich ein optimistischer Bewunderer unserer Zustände, durchaus für uns eingenommen und gewiß ganz ohne es zu ahnen, trifft er in naiver Unschuld den Nagel an einer Stelle auf den Kopf, an welcher er uns weh thut.
Der Mann im Mond könnte nicht richtiger und nicht unparteiischer urtheilen. Ein erheuchelter trügerischer Luxus ist im Begriff, die deutsche Gastlichkeit zu ruiniren.
Diesen Luxus aber können dein Berliner Theetisch selbst seine erbittertsten Feinde nicht nachsagen. Die Einfachheit ist seine Parole und ungebetene Gäste mögen daran erscheinen, so oft sie wollen; die Theemafchine ist unerschöpflich und von den drei Eiern und den Theekuchen bekommen sie immer noch etwas ab.
Die natürliche Folge von der Bescheidenheit der materiellen Seite des Berliner Theetisches aber ist es, daß die geistige sich um so mehr entfaltet. Bei den „geladenen" Gesellschaften, wie sie uns Friedrich Wilhelm Müller in diesen Spalten geschildert hat, werden immer nur zwei vernünftige Worte gesprochen. Beide fallen am Schluß der Gesellschaft. Das eine geht von der Hausfrau aus und heißt „Gott sei Dank, diese Kompagnie wäre abgefüttert," das andre spricht draußen der Chor der Gäste, nachdem er die Fisch- majonnaise beim Bedienten bezahlt hat, und es lautet: „Endlich glücklich überstanden; jedes Ding hat sein Ende."
Am Theetisch geht's freilich anfangs auch einsilbig her. Die beiden Ge- heimräths sind noch müde von dein Vortrag bei Excellenz, der spät nachmittags stattgefunden hat, der Hofrath glaubt die Gesellschaft noch zu zerstreut, mir ihn anhören zu können; der Salonprofessor lächelt überlegen, der Referendarius fühlt sich bedrückt durch die Gegenwart der beiden Räthe, der Rittmeister dreht sich den Schnurrbart und der Lieutenant guckt seinen schönen Kousincn auf die weißen zierlichen Hände, während sie jene unglaublichen Akrobntenstückchen an der Theemafchine leisten.
Aber die Geheimräthin bringt das Gespräch bald in Gang. Gegessen wird fünf Minuten nach dem Anfang nichts mehr, das Spiel des Teller- herumreichens ermüdet binnen kurzem, und es bleibt nichts übrig, als die Unterhaltung, namentlich, wenn die Damen in ihrer Handarbeit an die Stelle gelangen, wo sie ohne Hilfe ihrer Kammerzofe nicht mehr weiter können.
Der Hosrath hält seinen Augenblick für gekommen. Der Professor rüstet sich, dessen Behauptungen zu widerlegen, die Geheimräthe erwachen, der Lieutenant hat sich satt gesehen und seine neuesten Kalauer fallen ihm ein; der Rittmeister inacht das dankbare Publikum und der Referendarius sekundirt seinen beiden hohen Chefs, wenn sie irgend etwas sagen, das sich schwer beweisen läßt. Alle sind Leute, die in der Welt leben, viel hören und sehen, die meisten haben Geist und guten Willen, das Plauderstündchen recht amüsant zu machen. Sie kommen sämmtlich gern zu Raths, weil sie es zwanglos thun dürfen, wenn es ihnen gerade paßt.
Seit auf den Bällen geschlendert und bei den Diners gezecht wird, ist der Theeabend in Familie der Hort der feinen Sitte geworden, wo die jungen Leute ästhetische Lebensart lernen und die alten ein würdiges Erholungsstündchen feiern.
Ich habe Berliner Thees in ungemeffener Zahl mitgemacht, aber ich würde mich ihrer selbst bei einem holländischen Hochzeitsschmause mit Sehnsucht erinnern. Ja, ich lernte sogar ein Haus kennen, in dem es nur Weinreis und Butterbröde gab, und in dem es doch reizend war.
„Wie aber haben Sie es mit ihrem Hunger gemacht?" höre ich mich siegesgewiß befragen.
„Ganz einfach. Ich bin hinterdrein zu Hanns**) gegangen und habe ein Beefsteak gegessen."
Dies Beispiel kann ich zur Nachachtung empfehlen.
Der Vierzehnte.
y Oberst von Kanlbars in Wojenny Sbornik. Siehe A. v. Drygalski k, Beihest des Mili- tärwvchenblattcs von 1878.
") Eine bekannte Nestanration unter den Linden.