Heft 
(1878) 42
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1878 .

Daheinr-Aeilage zu Ao.

KHwerkLerbiLöer vom Kongreß.

III. Noch Einige vom Congreß.

Die Hauptfiguren, deren Meinungsverschiedenheit über die orientalische Frage den Kongreß nothrvendig machte, haben wir unseren Lesern schon vor­geführt. Heute sollen noch einige Kongreßmitglieder folgen, von denen wiederum ein kleiner Kreis durch unseres Künstlers Stift glücklich ereilt wurde, als er sich bei den Klängen desChors der Friedensboten" aus Rienzi im zoologischen Garten versammelte.

Vom großen Kanzler, dem gestrengen Präsidenten der illustren Diplo­matengesellschaft, für diesmal abgesehen, sind die Nächstbetheiligten nach Gortschakoff und Beaconsfield die Türken. Ihre Mission ist sogar die schwieligste; denn sie sollen Alle befriedigen, die Großmächte nicht nur, son­dern auch Slaven und Griechen, Armenier und die Christen des Libanon, und dies ausschließlich auf eigene Kosten. Nichts zu empfangen und nur zu geben, ist ein leidiges Geschäft, und ergibt sich der Gläubige auch stets mit Würde in Allahs Willen, so erheischt derselbe diesmal doch so viel Her­bes, daß die hohe Pforte keinen Türken ausgesendet hat, ihn zu vollstrecken. Karatheodori ist bekanntlich ein Grieche, Mehemed Ali zwar ein Mos­lem, aber von Geburt ein ehrlicher Deutscher aus Magdeburg. Diese Sendung verstößt in gewissem Sinne gegen die Tradition der ottomanischen Staatskunst. Sie hat in früheren ähnlichen Krisen der glatten europäischen Diplomatie jedesmal die einsache Bauernklugheit des Älttürkenthums ent­gegengesetzt, und gar oft mit Glück. Als sich vor 50 Jahren die europäischen Gesandten am goldnen Horn zu ähnlichen Zwecken wie jetzt in der deutschen Hauptstadt versammelten und Einer von ihnen emphatisch betonte, es gälte jetzt, die Verhältnisse des Orientsauf ewige Zeiten" zu ordnen, schlug ihn der Großvezier mit der einfachen aber wahren Bemerkung aus dem Felde:Alles Irdische ist vergänglich, Gott allein ist ewig." Wie sehr er Recht hatte, beweist der Kongreß von 1878.

Andere Zeiten andere Diplomaten. Mehemed Ali Pascha ist von der vornehmen Gesellschaft Berlins sowol, wie von dem großen Publi­kum freundlich begrüßt worden, für die Damenwelt ist er sogar ein inter­essanter Mann. Bei allem Ernst der Politik hat er sich die volle Frische und Leutseligkeit des Umgangs gewahrt. Er ist ein gewandter und freund­licher Herr und dabei, für einen türkischen General gewiß eine Seltenheit, ein Dichter von Allahs Gnaden. Die Fremde hat ihm die Liebe zur Muttersprache nicht geraubt;hinten weit in der Türkei" las er gar oft in den Meisterwerken deutscher Poeten und übte in aller Stille sein Talent. Es zu verwerthen, mag dort die Gelegenheit gefehlt haben. In Berlin aber hat er schon manche schöne Dame mit zarten Versen erfreut, welche Zeug- niß dafür geben, daß er die deutsche Metrik ebenso beherrscht, wie türkische Armeen.

Ueber Mehemed Alis Schicksale sind mancherlei romantische Versionen verbreitet. Sicher scheint nur, was er selbst gelegentlich erzählt hat. Da­nach ist er, wie bekannt, in Magdeburg geboren, wo sein Vater Musiklehrer war. Er besuchte dort bis zum 16. Jahre hin das Gymnasium. Dann erst trieb der Thatendurst ihn nach Hamburg auf ein Schiff, wo er sich als Schiffsjungen anwerben ließ. Unwürdige Behandlung aber brachte ihn, als das Fahrzeug eines Tages am goldenen Horn lag, zu dem Entschluß der Flucht. Glücklich entkam er und trat in die Dienste des Großveziers Ali Pascha, der ihm irgend eine untergeordnete Stellung in seinem Harem an­wies. In der Türkei konnte nun damals ein deutscher Gymnasiast schon ein gar gelehrter Herr sein. Der junge intelligente und vielwissende Fremde fiel also Ali Pascha auf. Dieser brachte ihn an die Konstantinopler Militär­schule, welche damals zum Theil sehr tüchtige deutsche Lehrer hatte, und der Pascha bewog ihn auch, zum Muhamedanismus überzutreten, damit er Karriere machen könne. Von der Akademie trat er in die Armee und bald in den Generalstab, in welchem er schon den Feldzug von 1853 und 1854 mit­machte. Seine weiteren Schicksale sind bekannt. Die reißenden Fortschritte der Russen nach dem Donauübergange bei Sistowa, die erste Ueberschreitung des Balkan im Juli vorigen Jahres riefen ihn statt Abdul Kerims an die Spitze der türkischen Armee. Die Folge lehrte, daß die Wahl keine falsche war, so unerwartet sie damals auch aller Welt gekommen ist. Mehemed Ali erwies sich als einer der wenigen, wo nicht als der einzige türkische General, der es verstand, bedeutende Heeresmassen nach den Grundsätzen des großen Krieges zu führen. Er kam nach einer Reihe von glücklichen Gefechten am Lom dem entscheidenden Siege sehr nahe. Ihn zu erringen und dem Feld­zuge eine Wendung zu geben, besaß er wohl kaum die hinreichenden Kräfte; auch wurde er, absichtlich oder unabsichtlich, von Suleyman und Osman Pascha nicht recht unterstützt.

Karatheodori ist noch heute ein Giaur, und, wie sein Name erratheu läßt, ein Grieche. Ja er ist mehr als das; er ist ein schöner Grieche von schlanker Gestalt und intelligentem, etwas melancholischem Ausdruck, von an­gesehener Familie und trefflicher Erziehung. Er ist Diplomat von Fach. Seine Ausbildung erhielt er in Paris; dann begann er seine Karriere gleich unseren vornehmen Herrn der hohen Aristokratie als Attache bei verschiedenen Gesandtschaften. Später war er Gesandter in Rom und avancirte schließlich zum Unterstaatssekretär im auswärtigen Amte der Hohen Pforte. Von dort aus sandte man ihn zum Kongreß. Karatheodori ist der Mann des Büreaus. Stets war er der bescheidene aber unentbehrliche Rathgeber seines jedesmaligen Ministers, deren er in letzter Zeit gar viele kommen und gehen sah. Zum ersten Male tritt er jetzt selbst mit großer eigener Verantwortlichkeit vor die Welt und für ihn heißt es auf dem Kongreß im wahren Sinne des Worts: Ute Rtioäns, Irie satba!" Wenn er dabei nicht strauchelt, hat er die Probe glänzend bestanden. Für seine Mission fehlte ihm übrigens bislang auch die äußere Stellung. In aller Eile machte Savfet Pascha aus dem einfachen Alexander Karatheodori Effendi einen Muschir Karatheodori Pascha. In der Türkei ist alles möglich.

Ueber die großmüthigen Freunde derselben, die anS nachbarlicher Liebe

und erhabenen Pflichten der Humanität Bosnien und die Herzegowina besetzen wollen, über Andraffy und Karolyi gehen wir, als über wohlbekannte Größen hinweg.

Auch von Lord Salisbury dürfen wir nur wenig sagen; denn er hat schon einmal im vorigen Jahre ein Rundreise-Billet durch Europa gelöst, um Frieden zu stiften und ist damals weidlich interviewt, besprochen und be­schrieben worden. Wenn Graf Karolyi, trotzdem er Ungar ist, aussieht wie ein ächter deutscher Edelmann, so erscheint Salisbury als der Typus des ächt-englischen Lords vom Lande, groß, breitschultrig und überaus kräftig, blond mit blauen Augen. Dabei hat sein Wesen eine ausgesuchte ruhige Vornehmheit. Es ist gut, das dem so ist; denn das Exterieur der groß- britanischen Botschaft kann eine solche Erscheinung wohl vertragen, da Lord Beaconsfield zwar zu den mächtigsten, bekanntlich aber garnicht zu den schönsten Männern Europas gehört. Neu ist von Salisbury, was dasDeutsche Montagsblatt" zu erzählen weiß, daß er in seiner Jugend auf den Reichthum und die Gunst seines Vaters habe verzichten und im Schweiße seines An­gesichts sein Brot verdienen müssen, um dein Weibe seines Herzens auch seine Hand zu reichen. Das war sicherlich sehr brav von ihm.

Einige Worte mehr wollen wir zwei Erscheinungen widmen, welche man als feindliche Brüder voll alten Grolls einander gegenüber denken könnte, und die dennoch trefflich mit einander harmoniren und ebenso trefflich in ihrem ganzen Auftreten zu einander passen. Es sind: der deutsche Botschafter in Paris, Fürst Hohenlohe und der französische Minister des Auswärtigen Mr. Waddington.

Wenn man Herrn Waddington, ohne ihn zu kennen, im Salon erblickt, so hält man ihn etwa für einen preußischen Geheimen Hofrath, der zugleich Poet und Gelehrter, und dabei eine wichtige Vertrauensperson der aller­höchsten Herrschaften ist. Das Characteristische dieser mittelgroßen ein wenig vollen Gestalt, mit dem leicht vorgeneigten Haupte, dem klugen und überaus milven Gesichtsausdruck ist, daß sie sofort Vertrauen einflößt. Dieser Ein­druck wird noch erhöht durch die geistvolle ruhige Art zu sprechen, seine licht­vollen Sätze und die characteristischen Schilderungen. Es scheint, als ob Mr. Waddington die Vorzüge der beiden Nationen, denen er angehört, in seiner Person vereinigt. Er stammt aus einer englischen Familie; sein Vater aber ließ sich als Kaufmann in Frankreich nieder. Er selbst soll dort erst seit 1850 naturalisirt sein. Seit 1864 war er Generalrath im Departe­ment der Aisne, in welchem seine Güter liegen. Die politische Laufbahn begann er mit einer persönlichen Wahlcampagne unter dem Kaiserreich, bei der es ihm indeß nicht gelang, gegen den offiziellen Kandidaten aufzu­kommen. Erst 1871 gelangte er in die Nationalversammlung. Thiers be­rief ihn noch in den letzten Tagen seines Regiments in das Ministerium der öffentlichen Arbeiten. 1876 wurde er Senator und bald darauf Unterrichts- mmister, was er bis zum 16. Mai 1877 blieb. Dem gegenwärtigen Mini­sterium gehört er, wie erwähnt, als Minister des Auswärtigen an, und wir können überzeugt sein, daß Frankreichs auswärtige Angelegenheiten nur selten in so guten Händen waren. Bezeichnend für Mr. Waddingtons Wesen ist das Maßvolle, das nirgends so gut angebracht ist, wie in der Politik, und das noch jedem wirklich hervorragenden Staatsmanns eigen war. Vielleicht ist es ihm zu Statten gekommen, daß er von der englischen Abstammung die ruhige Ueberlegung und den praktischen Sinn, von der französischen Heimat die Gewandtheit ererbte.

Die Bilder, die von Herrn Waddington verbreitet werden, sind meist recht ähnlich, geben aber dennoch das Eigenthümliche seiner Erscheinung nicht wieder. Man muß sich die kraftvollen, etwas derben Züge, die man dort fleht, ins Geistige übersetzt denken.

Viel Aehnliches mit ihm hat Fürst Hohenlohe, doch liegt dies keineswegs in seinem Aeußeren. Unser pariser Botschafter ist eine mittelgroße hagere Gestalt; seine Gesichtszüge sind scharf markirt, seinem Auftreten fehlt eine gewisse Weichheit, die jenem eigen ist. Auch er aber ist ein Mann, der mit unwiderstehlicher Gewalt das Vertrauen gewinnt. Es liegt dies hauptsächlich in der Wahrheit, die aus seinem Wesen spricht. Man hat den Eindruck, daß er alle äußeren Mittel verschmäht, sich selbst oder seinen Worten eine erhöhte Bedeutung zu geben. Das aber entspringt aus dem Gefühl der Sicherheit, der geistigen Beherrschung jeglichen Stoffs. Diese Sicherheit er­langt über Jedermann, der den Fürsten kennen lernt, unbedingte Autorität. Niemand, der ihn nicht kennt, würde ihn beim Eintreten für dasjenige hal­ten, was er ist, jeder aber bald daraus sagen:Dies wäre ein Mann für einen schwierigen Botschafterposten, für ein wichtiges Minister-Portefeuille." Man könnte auch die Bescheidenheit als ein Kennzeichen seines Auftretens anführen. Indessen dieser Begriff wird heutzutage so viel falsch aufgefaßt und mit einer bestimmten Spezies von gesellschaftlicher Koquetterie verwechselt. Darum möchten wir es bei der Wahrheit bewenden lassen. Wie Mr. Wad­dington, zeichnet sich auch Hohenlohe durch das Maaßvolle in seinen Urtheilen, seiner gesummten Auffassungsweise aus. Beide Männer müssen trefflich zu­sammenstimmen, und wer sie mit einander gesehen, gewinnt die Ueberzeugun g, daß, so lange die Beziehungen Deutschlands und Frankreichs in ihren Hän­den ruhen, jeder jähe Bruch, jede Differenz, welche sich vermeiden läßt, auch wirklich ausgeschlossen bleibt.

Welch' ausgezeichnete Stellung Minister Waddington sich im Kongreß geschaffen, haben alle Zeitungen berichtet. In der deutschen Gesellschaft be­gegnet ihm ungetheilte Sympathie, und solche pflegt Gleiches zu erzeugen. Daß sich die allmächtigen Minister der Großmächte auf dem Kongreß mensch­lich näher getreten sind, daß sie einander persönlich schätzen gelernt, wird sicherlich seine Früchte tragen. Es fördert unzweifelhaft das Werk, zu dem ie kamen, und dessen Ende ein dauerhafter Friede stin soll, wenn er rcilich auch kein ewiger sein kann, da Gott allein ewig ist.