Heft 
(1878) 42
Seite
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hängt noch heute wärmer an ihr als an dieser. Unser Buch hebt, nachdem cs ein geographisches Bild des merkwürdigen Landes vorauf­geschickt, mit der Pfahlbauzeit und der Periode der keltischen Helvetier an, führt durch die Römerzeit, das Mittelalter und die Zeit der neu­begründeten Freiheit die Landesgeschichte hindurch, -den Kriegsthaten und den bürgerlichen Zuständen stets die Kulturgeschichte in Kirche, Sitte, Kunst und Wissenschaft an die Seite stellend. Der ewige Ruhm der Schweizer, daß an der Schwelle der Neuzeit von zwei Punkten des Landes die reformatorische Bewegung ansgegangen ist (Zwingli, Calvin), wird mit Nachdruck und gerechtem Stolze betont. Aber gegenüber dem sich erhebenden Protestantismus beginnt auch hier die katholische Re­aktion, die der Verfasser von den Wirkungen des Tridentinums bis zum westfälischen Frieden, der die Schweiz zugleich dauernd vom Reiche losriß, eingehend schildert. Das religiös-kirchliche Interesse wird dann wieder abgelöst durch das politische, zuerst in der Form der herrschenden Aristokratie, bis dann ini Gefolge der großen fran­zösischen Umwälzung die Schweizer Revolution 1707 und 1708 die moderne Demokratie" schafft, die noch heute besteht und in der Bun­desverfassung von 1818 ihren vorläufigen Abschluß gefunden hat. So ist es ganz in der Ordnung, daß Vullieinin an diesem Zeitpunkte Halt macht.

Wenn der Fachmann von der Höhe der Wissenschaft, ohne ihr etwas zu vergeben, zu der populären Form herabsteigt, so wird ihm diese Resignation dadurch vergütet, daß er nun zu tausenden redet. Wir zweifeln nicht, daß dies gedrängte Bild ihrer reichen Volks­geschichte zunächst von den Schweizern selbst wird willkommen geheißen werden, aber auch im Anslande und bei uns Deutschen wird man das Buch mit Vertrauen in die Hand nehmen. Der Einsatz des kleinen Alpenvolkes in die weltgeschichtliche Bewegung diese Beobachtung drängt sich auch bei der Lektüre dieses Gesammtbildes auf ist ein ungemein hoher und steht zu dem räumlichem Umfang des Landes, vollends mit seiner Seelenzahl, in gar keinem Verhältnis;. Möge das ist unser Schlußwunsch auch diese historische Rückschau zu der Erkenntnis; unter Schweizern wie Deutschen beitragen, daß beide trotz po­litischer Scheidung durch die größten Lebensinteresseu, ideale noch mehr als materielle, durch Natur und Geschichte aufeinander angewiesen sind.

II. Herbst.

Am Vierwaldstätter See.

Niemals bin ich allein, nicht hoch auf einsamem Felsgrat,

Nicht wo im schweigenden Thal Falter und Blume sich paart, Wahrlich es lebt mir die Welt, wo immer der Geist der Geschichte Aus dem Gebild der Natur groß sich und lieblich enthüllt.

Wie sich dem grünen Smaragd anschmiegt die güldene Fassung, Also umstrahlt dies Land golden die Wunder des Sees.

Siehe, die Mythen*) beschauen so ernst das Feld der Geschichte, Wo gründunkel der See rauschet von Geßler und Tell, Mythengestalten sie selbst! Doch aus dem Nebel der Mythen Dringt gar markig und hell Geist und Geschichte und That. Nimmer des Volks anmnthigen Traum in der Weihe des Sängers Nimm ihn nimmer, Du nimmst wahrlich die Seele hinweg, Glaube Du, Schweizer, nur fort; das so zu träumen verstanden, Wahrlich auch wachend vermag Thaten zu üben ein Volk,

*) Die wundersam geformten kahlen Berge, an deren Fuß Schwyz

liegt.

Kein zähes Fleisch mehr.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts machten Tropenreisende die Beobachtung, daß die Eingeborenen ein Mittel besaßen, um zähes Fleisch in kurzer Zeit mürbe zu machen, Zn diesem Zwecke bedienten sie sich der saftigen Blätter des Melonenbaumes (Oarioa, Unpazm), in welche das Fleisch eine Zeit lang eingewickelt wurde, das dann später beim Kochen und Braten ungewöhnlich rasch erwünschte Zartheit er­hielt. So interessant diese Angabe auch war, fand sie sich in fast allen botanischen Handbüchern als Cnriosnm angeführt, ohne das; ihr von glaubwürdiger Seite eine weitere Bestätigung zu Thcil ward, nun­mehr ist jedoch jeder Zweifel an ihrer Richtigkeit beseitigt, seitdem es Herrn Dr. Wittmack in Berlin gelang, sowohl mit der Frucht als den Blättern des merkwürdigen Baumes auf wissenschaftlicher Basis be­ruhende Experimente anznstellen. Von befreundeter Hand wurden Herrn Dr. Wittmack aus Magdeburg Früchte und Blätter eines im Gewächs- Hanse gezogenen Melonenbanmes übersandt, die zu folgenden Versuchen dienten.

Einige Tropfen des ans der Frucht erhaltenen Milchsaftes wurden mit zwanzig Gramm Wasser verdünnt und in dieser Mischung zehn Gramm mageres frisches Fleisch gekocht. Schon nach fünf Minuten war das Fleisch in lauter gröbere Fetzen zerfallen, während ein gleichgroßes Stück Fleisch ohne den Zusatz des Milchsaftes während des Kochens immer härter wurde. Ein Stück frisches Fleisch, das in ein Blatt des Melonenbanmes eingewickelt 21 Stunden gelegen hatte, wurde mit einem gleichen Stücke Fleisch znsammengekocht, das dieselbe Zeit hin­durch nur in Papier eingewickelt gewesen war. Elfteres wurde beim Kochen in kurzer Zeit mürbe, während das letztere noch ganz hart war. Ferner löste der mit Wasser stark verdünnte Milchsaft hart gekochtes Eiweiß in vier Tagen fast vollständig auf, während mit' reinem Wasser unter denselben Umständen behandeltes Eiweiß unverändert blieb. Ein fast unwägbares Theilchen des eingetrockneten Saftes in etwas Milch gethan, brachte dieselbe bei einer Temperatur von 35 Grad sofort zum

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Gerinnen, ohne daß Säurebildung auftrat. Es besitzt daher der Milch­saft des Melonenbanms dem Pepsin ganz ähnliche Eigenschaften mit jener Substanz, welche die Magenwand absondert und die zur Ver­dauung stickstoffhaltiger Nahrungsmittel, als Eiweiß, Fleisch re,, un­umgänglich nothwendilp ist, indem es dieselben zur Auflösung bringt. Nachdem die pepsinartige Wirkungsweise des in der Frucht des Melonenbanmes enthaltenen Milchsaftes konstatirt ist, bleibt nur noch die Frage zu erörtern, ob derselbe in solchen Quantitäten gewonnen werden kann, daß seiner Einführung in den Haushalt nichts entgegen­steht, Der Baum gedeiht im heißen Amerika, Brasilien, Surinam, Westindien, Mejiko und Ostindien, sein Wachsthum ist ein sehr rasches und seine Fruchtbarkeit eine große. Da auch der eingetrocknete Milch­saft seine Wirksamkeit nicht einzubüßen scheint, so würde es nicht schwer halten können, die geeignete Methode seiner Gewinnung zu finden, und wenn intelligente Leute die Sache in die Hand nehmen, dürfte mit der Zeit jede Hausfrau in den Stand gesetzt werden, mittels einiger Tropfen des Milchsaftes vom Melonenbaum das zäheste Kuhfleisch in das zarteste Filet umzuwandeln. Ste.

Das erste Mal wieder mit Musik bei Kaisers vorbei.

Eines Tages gegen Ende des Monats Juni so werden wir be­richtet frug der Kaiser, welches Regiment die Wache gäbe, und schickte dann den Kammerdiener direkt an den betreffenden Obersten, die Wache solle wieder wie vordem mit Musik auf- und an seinem Palais vorbeiziehen. Kopfschüttelnd zog der Oberst die Uhr heraus, um dann in der schnellsten Gangart, deren ein Berliner Droschkenganl fähig, seine Kaserne zu erreichen. Im Portale steht wirklich dasSanto xioeolo", aber auch dessen Mienen nehmen einen Ausdruck unsagbarer Verlegenheit an, als er gefragt wird nach den übrigen Mitgliedern des hochlöblichen Musikkorps. Einige sind wohl nach Hause gegangen," meint er bedenklich,mehrstens aber doch wohl frühstücken, und in welche Lokaler" des is nu schonst jar nich zu sagen." Kaum hat er aus­gesprochen, so ruft das Hornsignalalle Mann" ans den Kasernenhof, und wenige Augenblicke später beginnt eine Jagd, wie sie Berlin noch nie erlebt hat, einStadttrciben" auf Musiker und Droschken, Da erscheint am Ende der L-Straße ein Unteroffizier und zwölf Mann. Nr. 10, Hof, 2 Treppen wohnt die Baßtnba," ruft er einem Füsilier zu,vorwärts! Und Sie," einem zweiten,Trab ans die Droschke, die da fährt, und Ihr andern, 'rein in die Kneipen Laufschritt, Marsch- Marsch!" Ein kurzer Lauf und die Droschke istfeste" gemacht. Zwar ist dieBaßtuba" nicht zu Hause, wie Santo xieoolo in richtiger Ahnung geweissagt, aber aus einem Lokal unter der Erde entwickelt sich braunroth dieerste Posaune", seit Jahren ob ihres Umfanges ein Schrecken des oapitaino ck'armss. Einige Stufen herunter springt an einer anderen Stelle dasWaldhorn" eines andern Regiments ein Rock ist bald gefunden, und an: Ende können sie mich auch ver­brauchen, kalkulirt er sehr richtig. Weiter stürmt ein alter Herr zur Droschke, welcher anfangs aus einem Zimmer der Bel-Etage dem ganzen Treiben verwundert zugeschaut hat,Von 183850 zweite Kla­rinette beim ersten Garderegiment zu Fuß," sagt er nicht ohne Würde und weist auf sein Instrument,Life, vorwärts!" ruft der Droschken­kutscher,heute geht's für den Kaiser!" und wirklich frischt Life die Erinnerung an den Attackengalopp auf, den sieach so lange Jahre" gegangen für den Kaiser, Droschke auf Droschke, ähnlich beladen mit edlem Wilde, führt vor, und richtig, als die Kasernennhr zum zwölften Schlage anhebt, steht auf dem rechten Flügel der Wache ein Mnsik- corps, wie es gleich vollzählig niemals dem Regimente vorangeschritlen. Brausender Jubel empfängt es beim Verlassen der Kaserne und be­gleitet es weithin, in der Nähe von des Kaisers Wohnung aber wird cs still, während gleichzeitig die Melodie des alten Prenßenliedes an­schwillt, als gälte es ganz Berlin mit feinen Schallwellen zu überfluten. Warum? Die Musiker haben begriffen, daß sie mit dein treuen Liede dem Kaiser die erste geistige Erfrischung bringen, nach der er selbst verlangt hat, darum setzen sie die letzte Kraft der Lungen hinter ihre Instrumente, Und das Publikum begreift, daß es dem hohen Kranken besser gehen muß, und schwenkt Tücher und Hüte freudig erregt, aber es schweigt, damit kein Laut derArzenei in Tönen" dem Ohre des Kaisers verloren gehe. Und wie wohl kein Kommando:Augen links!" es befiehlt, so schauen doch aller Blicke unverwandt nach dem Fenster, von dem sonst ein mildes Antlitz, gütig grüßend, herab sah auf seine jungen Söhne in Waffen. Vergeblich; noch zeigt der Kriegsherr sich nicht,

' Aber Santo xioeolo und die Posaune und dasfremde" Wald­horn und die ausgegrabene Clarinette von Anno Toback je nun, sie feierten das ersteBlasen wieder bei Kaisers vorbei" in einträchtiger Frühstücksharmonie,in welche Loküler, des is nn schonst jar nicht M sagen".

Urirtüasten.

Herrn A. A. in Petersbur,,. Wir bitten nm umgehende Angabe Ihrer Adresse, da uns Ihre Mitarbeit voraussichtlich sehr erwünscht wäre,

Inhalt: Erkämpft, (Fortsetzung.) Novelle von M, Franck, Ein deutsches Gelehrtenleben, Mit Porträt von Karl Friedrich Gauß, Bilder ans den Sevennen, III, Von A, Ebrard. Die Licht­mühle, Von Ste. Mit Abbildung, Vor dem Sturm, (Fort­setzung.) Historischer Roman von Theodor Fontane, Drei Freunde, Originalzeichnnng von Sonderland. Am Familientische: Bücher­schau, UTII, Kein zähes Fleisch mehr, Das erste Mal wieder mit Musik bei Kaisers vorbei.

Herausgeber: vr UoScrt Koenig und Theodor Kermann Aantenius m /cixzig. Für die Redaktion verantwortlich Htto Klastng in Leipzig. Verlag der Iaheim - Krpeditio» (Sclhage« t Klastng) in /eipzig. Druck von A. H. UeuSncr in Leipzig.