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nun trifft es mich. Es ist, als ob wir etwas verscherzt hätten. Einen Augenblick schien es, daß es anders werden sollte, da sällt nun dies in unser Leben hinein. Und wieder ist es hin. Altes und Neues zeugt gegen uns, und das „ja", das ich zu hören verlange, will nicht über Deine Lippen."
Da war nun das „Selbstbekenntniß", das Marie am Abend vorher erst prophezeit hatte, und der leise Spott ihrer Worte klang schmerzlich in Renaten nach. Aber einen Augenblick nur, dann war es überwunden und alles, was sich jemals zu Gunsten ihres Jugendfreundes in ihrer Seele geregt hatte, es war wieder da, doppelt da unter dem Einflüsse tiefen Mitgefühls, und mit jener Offenheit und Heiterkeit, die den Zauber ihres Wesens ausmachte, sagte sie: „Höre mich, Tubal, ich will Dir nichts verschweigen. Lewin und ich, wir haben es oft mit einander dnrchgesprochen, auch gestern erst. Euer Loos ist nicht das
schlimmste. Eines ward Euch versagt, ein anderes ward Euch gegeben. Und dies andere. . .." Sie schwieg. Er aber ergriff ihre Hand und rief, indem er sie mit Küssen bedeckte: „O diese Deine Hand, daß ich sie halten dürfte mein Lebelang, immer, immer. Ich beschwöre Dich, Renate, sprich, sage ja."
„Ich werde sie keinem andern geben, gewiß nicht. Aber verlange von dieser Stunde nicht mehr, am wenigsten binde Dich; ich, ich bin gebunden."
„O sage, daß Du mich liebst, Renate. Sprich es, es hängt so viel an diesem Wort."
„Nein, nicht jetzt. Es find nicht Zeiten für Bund und Verlöbniß oder doch nicht für uns. Aber andere Zeiten kommen. Und hast Du dann das eigene Herz geprüft und das meine, das, ich bekenne es Dir, in Zweifeln bangt, vertrauen gelehrt, dann, ja dann!" (Fortsetzung folgt.)
Am JannlienLische.
Bücherschau. UVII.
Spätherbstblätter von Emannel Geibel. Zweite Auflage, der ersten unveränderter Abdruck. Stuttgart, Verlag der I. C. Cotta- scheu Buchhandlung. 377 S. Kl. 8.
Immer gern wieder begegnen wir der Muse E. Geibels, auch wenn es „Spätherbstblätter" sind, die uns der Dichter nahe der Schwelle des Greisenalters bietet. Seit Uhlands Dichtermund verstummt ist, wurde Geibel der Liebling der Nation, ja in manchem Betracht ist er der geistige Fortsetzer der Uhlandschen Muse. Denn wenn er auch namentlich darin sich von dem schwäbischen Sänger unterscheidet, daß dieser ganz und gar in germanischem Boden wurzelt, während Geibel, der hellenisches Land mit Augen schauen durfte, auch von althellenischen Vorbildern die Formenschöne empfing, die seine Dichtungen adelt, so bleibt doch ungleich mehr das Gemeinsame in den sonnigen Liedern beider Sänger, des süd- und des norddeutschen. Auch das ist beiden gemeinsam, daß der Schwerpunkt ihres Genius durchaus in der Lyrik liegt, die sich zu epischen Elementen erweitert, nicht im Drama trotz mancherlei Anläufen. Auch die vorliegende Sammlung bestätigt das. Nicht alle Lieder darin sind Kinder des Alters; die 25 letzten stammen sogar aus früher Jugendzeit, aus den Jahren 1835—1842. Aus manchem dieser Jngendlieder spricht der Humor des Burschentones. So aus der heitern Stndentenanekdote, wo der den Propheten Habakuk erklärende Professor mit nennundvierzig Gründen beweist, daß an einer bestimmten Stelle kein Aleph stehen dürfe:
Er schlägt aufs Buch im Zorne,
Da springt das Aleph weg —
Was ihn so sehr verdrossen War nur ein Fliegendreck.
Zwischen Studien, Sonnenschein und schönen Mädchengesichtern flattern diese frischen, wenn auch nicht gerade bedeutenden Lieder. Eines davon „Nachts auf dem Archipelagus" erinnert uns daran, daß der Dichter in jungen Jahren die Zauber von Hellas genossen. Aber es folgt ihm nach dem Süden die verlassene Liebe des Nordens:
Ließe sich das Leid vergessen,
Nimmer als das einzig meine Hätt' ich dann das Glück besessen,
Dessen Flucht ich jetzt beweine.
Wurde mir mein Schmerz entrissen,
Müßt ich auch die Liebe meiden,
Müßt ich auch das Leben missen —
Eins sind Leben, Lieb' und Leiden.
Doch diese Nachlese der Jugendlieder ist an Gestalt und Werth längst überholt durch die früher veröffentlichten. Darum noch ein Wort über die wirklichen „Spätherbstblätter", als deren bester Kommentar das von Wehmuth und Glück zeugende Schlußlied (S. 188) gelten kann: Im Spätherbst steht mein Leben,
Zu Ende ging das frohe Spiel,
Die Sonn' erblaßt, die Nebel weben,
Und bald, ich fühl's, bin ich am Ziel.
Doch nicht in klagenden Akkorden Hinsterben soll mein Harfenschlag,
Zwei Freuden sind mir noch geworden,
Drum ich beglückt mich preisen mag.
Ich sah mit Augen noch die Siege Des deutschen Volks und sah das Reich,
Und legt' auf eines Enkels Wiege Den frisch erkämpften Eichenzweig.
Es wechseln Motive und Stoffe aus Hellas, dem deutschen Norden, von der Ostsee und ans den Alpen, Antikes und Modernes mit poetischen Sprüchen voll milder Reife des Alters und rein lyrische Klänge, in denen noch das alte Jugendfeuer fortglüht. Der Dichter klagt einmal („Als Epilog", S. 144), bei aller Gunst der deutschen Leserwelt
sei man ihm darin nicht gerecht geworden, daß man seine Jugendpoesien über die „reife Kunst" späterer Jahre gestellt habe.
Er verlangt, auch in den Leistungen seiner Reife gewürdigt zu werden:
So Hab' auch ich beharrlich fortgerungen
Und schritt, im Lernen wachsend, durch das Leben,
Drum seid mir endlich unbefang'ne Richter,
Und wägt ihr mich, so wägt den ganzen Dichter.
Wir vermögen das nicht hier auf engstem Raum. Aber das sei gesagt, daß uns Geibel außer der Lyrik, worin er ein Meister ersten Ranges ist und bleibt, vorzüglich zu epischen Stoffen im Kleinen, wo das historische Bild sich zum Genre verkleinert, zum Idyll und zur Elegie gestimmt zu sein scheint, während das Drama nicht seine Welt ist. Auch diese neueste Sammlung spricht für dies Urtheil. Auch die beiden Idyllen „Das Mädchen vom Don" und „Eine Seeräubergeschichte", wenngleich der tragische Stoff der ersteren wenig idyllisch ist, beweisen das. Es sind kleine Novellen in Versen. Geht durch manche Lieder, wie die obigen Stellen schon verrathen, ein Ton von Resignation, von Trauer um verlorene Jugendlust und verlorene Freude („Ach, wie viele nahm der Tod, wie viel mehr das Leben!), von Täuschung und Enttäuschung, so weiß sich der Liederdichter, dem bis in die alten Tage, länger als irgend einem Lyriker der Nation die Muse treu geblieben, mit Fug zu trösten!
Ich bin, was ich bin, Und hat sich's gefügt,
Und lernt' ich von Vielen! Und laßt ihr mich gelten,
Nach eigensten Zielen So glaubt, daß ich selten
Stand' immer mein Sinn. Mir selber genügt.
Ein Strahl Poesie Beschien mir die Pfade, Ich spürt' ihn als Gnade, Und rühmte mich nie.
Und wißt ihr dahin Mein Lied nicht zu nehmen, So darf's mich nicht grämen; Ich bin, der ich bin.
Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von L. Vul- liemin, Professor in Lausanne. Deutsch von I. Keller. Zwei Bände. Aarau, Verlag von H. R. Sauerländer. I. Von den ältesten Zeiten bis auf die Reformation. 1877. 258 S. II. Von den Anfängen der Reformation bis auf die Gegenwart. 1878. 289 S. Preis: 7 Mark 20 Pf.
Wir zeigen mit Freude und warm empfehlend das vielleicht letzte Werk des greisen Vulliemin an. Dem die beste Kraft und Liebe seiner Jugend gegolten, dem weiht der treffliche Mann auch die letzte Kraft und Liebe seines Alters — dem Vaterlande. So ist denn auch dies ursprünglich französisch*) erschienene und einem weiten Leserkreis bestimmte Geschichtsbuch ganz mit jenem eidgenössischen Stolze geschrieben, der den Schweizer Geschichtsschreibern seit Johann von Müller, ja schon seit Aegidius Tschndi eigen ist. Aber dieses Pathos artet bei Vnllie- min doch nirgends in leere Ruhmrederei aus; erkennt auch die Schatten und die Gefahren seines Volks; das Buch ist durchweg sachlich und nüchtern gehalten. In der Schweizergeschichte des Mittelalters, zumal in der Darstellung des Ursprungs der Eidgenossenschaft (1291— 1315), hat der Verfasser die Ergebnisse der gerade hier so stark auf- ränmenden und umgestaltenden urkundlichen Kritik in angemessener Weise verwendet. Aber sehr treffend erklärt er es auch für die Pflicht des Historikers, „die Sage und die mündliche Ueberlieferung in ihrem Rechte zu schützen. Manch eine Sage" — so fährt er fort — „die dem Volke lieb und sein eigen Fleisch geworden, besitzt mehr sittlichen. Inhalt und hat eine größere historische Bedeutung erlangt, als viele Geschichtsthatsachen, über welcher kein Zweifel schwebt". Mit diesem Maßstab wird die schweizerische Heldensage von Teil, vom Rüttlibund rc. gemessen; es ist die Dichtung neben der Wahrheit, aber das Volk
ch Uistoirs cls 1s, OoQksclsrgckioii Lnisss xar U. Vnlliorain. 2 voll. Uansanns, (loorZos Ui'iclol. Das in sehr schönem eleganten Französisch geschriebene Original ist allen zu empfehlen, die eine ansprechende, edel unterhaltende und zugleich belehrende Lektüre in jener Sprache wünschen. D. R.