Heft 
(1987) 43
Seite
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Elternhaus als entscheidender Faktor in das Leben des fast Dreißigjährigen ein und verhalt ihm durch den Prediger Schultz zur Anstellung in Bethanien und damit zu einer vergleichsweise gesicherten Existenz und äußerer Beschau­lichkeit während der Zeit seines stärksten innerenRevoluzzertums". Was aber tat Wolfsohn in den ereignisreichen Märztagen? Strömte er wie Fontane mit den aufgeregten Volksmassen, denen die Pariser Februarrevolution die Ver­wirklichung verborgener Wünsche möglich erschienen ließ, zu den abendlichen Versammlungen in denZelten", auf denen in Adressen Pressefreiheit und Volksvertretung gefordert wurde? Befand er sich am 13. März unter den unge­zählten Menschen, die sich von denLinden" bis zum Schloß ergossen und ihrem Unwillen gegen das preußische Militär Luft machten? Wir wissen es nicht. Sicher ist, daß Wolfsohn in erster Linie mitfühlender Beobachter war. Das einzige von seiner Hand stammende Zeugnis, das seine Gedanken über die miterlebte Berliner Revolution kundtut, datiert vom 22. März 1848, als er sich in dem endlosen Trauerzug befand, der die Gefallenen zum Friedrichs^ hain geleitete. Auf einem Baumblättchen für seine Sammlung (vgl. Abb.) notierte er:

Aus den Händen einer der Leidtragenden bei der Bestattung der Opfer der grauenvollen Nacht vom 18. 19. März." 13 Das Leid der Hinterbliebenen stand für ihn bei der Betrachtung der Ereignisse im Vordergrund.Natürlich war er .. . für Freiheit", hat Fontane seinen Genossen aus derHerwegh-Zeit" 1841M2 in Leipzig geschildert,aber er hielt Maß darin, wie in all und jedem". Dieses Maßhalten begleitete den gebürtigen Russen jüdischer Herkunft sein ganzes Leben; es war für ihn nicht nur Lebensgebot, sondern Überlebens­gebot. 1848/49 besaß Wolfsohn noch keines deutschen Kleinstaates Staats­bürgerschaft. Er war im Besitz eines russischen Passes, derjedoch alle Ur­sachen hatte, sich der Prüfung des Kundigen möglichst zu entziehen", wie er am 31. Dezember 1850 an Karl August Varnhagen von Ense schrieb. Er fuhr fort:...was ich aber auch immer zu meiner Einbürgerung in Deutschland versuche, scheitert an der ersten Forderung, die überall gestellt wird, daß ich einen Emigrationsschein beibringe. Rußland zählt bekanntlich schon den animus emigrandi zu Kapitalstaatsverbrechen, um so weniger ist eine Sanktion der Tatsache zu erlangen. Auf diese Weise bin ich verdammt, die historische Heimatlosigkeit meines Stammes polizeilich in jeder Fiber nachzufühlen." 14 Als Wolfsohn im April 1851 den (vergeblichen) Versuch unternahm, in Braun­schweig, der Hauptstadt des damaligen gleichnamigen Herzogtums, seßhaft zu werden, war er gezwungen, sein politisches Wohlverhalten von angesehe­nen Persönlichkeiten bescheinigen zu lassen. Sein Leipziger Verleger L. Fort wies ihn am 22. April 1851 als einenstreng rechtschaffenen und ehrenwerten Mann" aus,der sich auch in gesellschaftlicher und politischer Beziehung immer ruhig, besonnen und tadellos benommen und an der Aufregung der vergange­nen Jahre ohngeachtet eines lebhaften Gefühls für die ansprechenden Ideen der Neuzeit nie einen tätigen Anteil genommen hat". Auch der Regierungsrat des Ministeriums des Innern Heinrich Wilhelm Schulz versicherte am 13. April 1851 in Dresden, daß sich Wolfsohnan den politischen Fragen der Gegenwart nur wenig, jedenfalls aber nur vom wissenschaftlichen Standpunkte aus und gewiß nur mit der Mäßigung und Würde beteiligt hat, welche bei einem Gelehrten von dieser Bildung vorausgesetzt werden muß" 13 . Zu dieser Be-

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