der mein Herz in unglücklicher Liebe schmachtet, wenn man mich prosaisch schilt, „schlechter Laune" zu sein. — Werd ich jene Unbekannte, mein zweites Ich, werd ich sie finden? Ich werd es wähnen — und — mich getäuscht sehen. So oft mich ein liebeverwandtes Gefühl beschlichen, ward es plötzlich öde und leer in meiner Seele; die Lippen, die eben noch von begeisterten Worten, vom Ausdruck tiefster Empfindung übergeströmt waren, unterdrückten mühsam ein Gähnen, und das Bewußtsein, daß alles eitel, wohl gar schal und abgeschmackt sei, gewann mehr und mehr Leben in mir. — Es ist traurige Wahrheit, was ich Dir bekenne; wie leicht ist es möglich, daß die Täuschung statt weniger Stunden mondelang währt, daß ich ein Band für das Leben knüpfe, und dann erwachend schmerzlich meinen Irrtum gewahre. — Doch wozu dies „Bekenntnis einer unschönen Seele" 1 2 3 4 5 * , das ich ebensogut auf Kamschatka, vielleicht sogar mit größerem Rechte, machen dürfte. Du willst von meinem Briefe, er soll den Stempel Dresdens, und zwar einen andern als den des Postamts tragen; so laß mich denn zu nähergelegenen Dingen übergehn. Ich schreibe absichtlich nähergelegen, und gedenke dabei meiner Nachbarschaft 1 ', in der Du ein gut Teil unsrer deutschen Literatur repräsentiert siehst. Als Licht erster Größe macht sich der Fürst Pückler 7 bemerkbar, der hier in Sehnsucht seines Schnelläufers Mensen Ernst 8 harrt, der im Aufträge seines Herrn die Quellen des Nil entdecken und eine Wasserprobe mitbringen soll, damit die Tutti Frutti’s des Verstorbenen 9 einmal mit einer neuen Sorte Wasser aufwarten können. Durch die Abwesenheit seines Lieblings ist die Menagerie fremdländischer Geschöpfe um ein wesentliches Mitglied vermindert worden; er begnügt sich jetzt mit einem Mohren 10 und einem Russen, da der Pair von England 11 , der eine Etage höher wohnt, die Gallerie von Merkwürdigkeiten — trotz der vorteilhaftesten Anerbietungen — nicht vermehren will. — Von Braun von Braunthal 12 hab ich einen blonden Ziegenbart, von Adolph Bube 111 eine Ballade, von Tieck 1 ' 1 aber ein früheres Dienstmädchen gesehn, die etwas sehr klassisch und durchaus nicht novellistisch war. Wenn ich diese Glücksumstände erwäge und hinzurechne, daß ich täglich den „Dresdner Anzeiger" mit ähnlichen Gedichten lese wie z. B.
Wasser trinkt wohl Niemand gern,
Drum herbei von nah und fern,
Bier, Bier, Bier,
.Her zu mir! (welch kategorischer Imperativ !) 13 so begreif ich's kaum, daß ich binnen acht Tagen noch zu keinem Liede begeistert worden bin. Beifolgend noch einige wohlgelungene Verse desselben ehrenwerten Organs, dessen Hauptmitarbeiter hoffentlich mein Freund Milo ist. Leb wohl.
Dein Th. Fontane
1 Gemeint ist die Brühlsche Terrasse.
2 Fontane hatte am 1. Juii 1842 seine Stellung in der Struveschen Apotheke in Dresden angetreten.
3 Karl Gottfried Theodor Winkler (1775-1856) war sächsischer Hofrat und von 1817 bis 1843 Herausgeber der Dresdner .Abendzeitung"; 1841 wurde er auch Vizedirektor des Dresdner Theaters. Er schrieb unter dem Pseudonym Theodor Hell zahlreiche damals vielgelesene Erzählungen.
4 J. W. Goethe. Faust. 1. Teil, Vers 44.
5 Parallelbildung zu .Bekenntnisse einer schönen Seele", dem Titel des 6. Buches von J. W. Goethes
.Wilhelm Meisters Lehrjahre“.