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(Berlin, Anfang August 1846]
Mein lieber, guter Wolfsohn.
Der an und für sich unerquickliche Umstand, daß ich meine Wohnung 1 verrammelt und keine Menschenseele zu Hause fand, hat mich heut — vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben — zu einem guten Kommissionär gemacht. Ich empfing Deinen lieben Brief auf dem Stettiner Bahnhof, wo ich mich zu einer Abschieds- und Familienszene (meine Tante wurde entführt, natürlich mit Wissen von Dero Gemahl) eingefunden hatte,- — ohne oben erwähnte Hindernisse bei beabsichtigter Besitznahme meines Schlafsophas (in seiner Doppeleigenschaft als Bett und Diwan doppelt anziehend) würd ich die Besorgung Deines Auftrages ein paar Stunden hinausgeschoben haben, so aber trat ich unter unzähligen Verwünschungen und Donnerwettern auf unsre ausge- kniffne Köchin von Humanitäts wegen — meine Expedition nach dem Anhaitischen Bahnhof an.
Über das Ergebnis dieser Entdeckungsreise (durch den stillen Ozean der Langenweile, welcher unausgesetzt in der Berliner Wilhelmsstraße 2 flutet) — brauch ich Dir nicht zu berichten; Koffer und Reisesack' 1 sind in diesem Augenblick hoffentlich schon in Deines Freundes Händen.
Die für den Notfall beigefügten Pläne und Signalements zur Auffindung des Kneipiers Methfessel haben mich tief gerührt. Da links von Tore gar keine Straße und mithin auch kein drittes und viertes Haus existiert, Kneipier Methfessel überdies auch keine Zierde des Berliner Wohnungsanzeigers ist, so fiel mir dabei die Anekdote von dem neu engagierten Polizisten ein, der, als er den Schneidergesellen Müller im Bullenwinkel arretieren sollte, den Droschkenkutscher Schulze aus der Paddengasse herbeischleppte, und sich viel auf dies sein erstes Debüt als Jagdhund zugute tat.
Gott sei Dank durften jene Detailangaben unbenutzt bleiben.
Nun zu was Andrem als Koffer und Schnappsäcke, Methfessels und unerbaute Straßen.
Du schreibst: „Wenn Du deutsche Zeitungen liest, wirst Du von mir gehört haben!" Lieber Junge, verwechselst Du mich vielleicht mit dem Abbate Mezzo- fanti' 1 , der 33 Sprachen spricht, oder bezweifelst Du, daß ich überhaupt Zeitungen lese? Freilich les ich die Tagesblätter, und weil der Knüppel beim Hunde liegt, auch natürlich in gutem Deutsch; hab auch die Berichte darin über Deine Dresdner Vorlesungen gefunden. Onkel sprach auch von Dainem Auftreten in Leipzig' 1 ; hat das seine Richtigkeit? ich habe sonst noch nichts davon gehört, woran ein mehrwöchentlicher Aufenthalt bei meinen Eltern 6 Schuld sein mag. Vielleicht würfelt auch der Onkel bunt durcheinander, es kommt ihm auf eine Hand voll Noten niemals an.
Führe Deinen Plan aus und komm nach Berlin 7 ; es wird Dir auch hier nicht fehlschlagen; Du hast in Prutz 8 einen Vorgänger gehabt, der sich allem Lind- Enthusiasmus 6 zum Trotz ein volles Auditorium zu verschaffen wußte. Berlin ist groß und wimmelt zu allen Zeiten von Literaturfreunden beiderlei Geschlechts; dilettierende Lieutenants, Studenten mit erster Liebe und poetischen Frühgeburten, sentimentale Jungfrauen im Schillerstadium, und emanzipations-
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