Hubertus Fischer (Hannover)
Selbstanzeige: Gegen-Wanderungen
Keine Tat ohne Anlaß, kein Täter ohne Motiv. — Schreibanlässe gab es viele, mittelbare und unmittelbare. Zu den mittelbaren gehören frühe Erzählungen vom Leben einer Familie jenseits der Oder, die handwerkend und dienend Gott und der Obrigkeit das Schuldige gab. „Aller Mahlzeit Beginn und Schluß hieß Gebet. Brot, Schwein und Kartoffel lag inmitten. Das und die Familie war protestantisch. Preußisch der liebe Gott." (Sternheim) Nur einer, der '48 nach Berlin gegangen war, „um die Freiheit zu verteidigen", soll dieses Lebens nicht mehr froh geworden sein. Danach war alles politische Begreifen auf die Person des Landrats gedrillt, früher oder später Abgeordneter in Land- und Reichstag, Anweiser auch von Zivilversorgungsstellen. Vom Vormärz bis 1919 fast durchweg von zwei altadligen Familien des Kreises gestellt, saß der letzte „a. D." geschäftsführend dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund vor. Gewählt wurde nach solchen Vorgaben: konservativ, deutschkonservativ, deutschnational. Nicht wählbar war die Sozialdemokratie: „Dei Dezimoldemokrotschen, dei glöwen nich an Gott un sin Gebot." Ein einziger Kommunist, Landschlachter von Beruf, wurde durch gutsherrlich gezinkte Wahlzettel ermittelt. Dann wählte man sich raus aus der Republik. — Das Anekdotische wich im Studium der Erkenntnis von der besonderen Geschichtsmächtigkeit des Konservatismus preußisch-protestantisch-agrarischer Prägung, der Einsicht in die Kontinuität von Machtstrukturen über Bismarckreich und Novemberrevolution hinaus, dem forschenden Interesse schließlich an Preußens Machtelite und ihrer folgenreichen Selbstbehauptung. Dies um so mehr, als sich längst Überständiges revi- talisierte, in Aufrufen etwa zur „Konservativen Sammlung" aller „politisch Heimatlosen, denen es um Wahrung deutscher Geschichte und Tradition zu tun ist" — zu welchem Ende einmal mehr „das einstige preußische Staatsethos" gegen Demokratie und Detente in Anspruch genommen wurde. Mittelbar haben die daraufhin in Nacht- und Nebenstunden (Tagesberuf: Altgermanist) entstandenen Beiträge zur Geschichte und Tradition dieser wohlfundierten „Staatsethos" vorbereitend und anregend gewirkt.*
Unmittelbar ist das Buch indes aus einer Arbeit über den .politischen' Fontane und seinen näheren Umgangskreis als Seitentrieb herausgewachsen. Da ein Verleger keine Beihilfe zur „Denkmalschändung" leisten mochte, eine Kommission sich versagte, konnte die (inzwischen der Überarbeitung bedürftige) Schrift bisher nicht erscheinen. Tröstlich immerhin, daß das einschlägige Kapitel einer neueren „Geschichte Preußens" einigen Nutzen daraus gezogen hat.
• Der .Treubund mit Gott für König und Vaterland". Ein Beitrag zur Reaktion in Preußen, in: JbGMOD 24 (1975), S. 60—127; Gespenstische Leibhaftigkeit. Figur und Bildtradition in den historischen Preußenfilmen. in; A. Marquardt / H. Rathsack (Hg.), Preußen in Film, Reinbek b. Hamburg 1981, S. 183-194; Denkmalsbesetzung. Denkmal, Politik und Lied in Berlin, in: A. Kaiser (Hg), Denkmalsbesetzung. Preußen wird aufgelöst. Berlin (West) 1982, S. 135-152; Konservatismus von unten. Wahlen im ländlichen Preußen 1849/52 — Organisation, Agitation, Manipulation, in: D. Stegmann u. a. (Hg.), Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert. Fs. Fritz Fischer zum 75. Geb., Bonn 1983, S. 69—127.
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