Heft 
(1987) 43
Seite
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ten, ist es denkbar, dafj sie gelegentlich eingegriffen hat, aber da der Dichter eine Gegenkontrolle ausübte, wäre hier nichts zu berichtigen. Dann gab es noch Änderungswünsche seitens der Redakteure, denen Fontane nur z. T. entsprach, d. h. z. T. akzeptierte. Für die Buchausgabe wurde meistens der Vorabdruck als Vorlage benutzt, während beinah alle Reinschriften vernichtet wurden, aber auch daran und wieder in den Druckfahnen hat Fontane manche Detail­änderung vorgenommen. Beim Stechlin z. B. hat er sich in dieser Zwischenzeit mit dem angeblich tschechischen Akzent des Dr. Niels Wrschowitz sehr viel Mühe gegeben. In der Buchausgabe spricht derkritikk"freudige Musiker kaum einen Satz genauso wie im Vorabdruck. Und nachdem seine Romane erschienen waren, schrieb Fontane sie nicht mehr um.

Wo geschludert wurde, wie etwa beim Vorabdruck von L'Adultera, oder bei der Buchausgabe von Frau Jenny Treibei, hat es den späteren Herausgebern voll­kommen ausgereicht, die jeweils andere Druckfassung und den eigenen gesun­den Menschenverstand zu konsultieren. Natürlich gab (und gibt) es Druck­fehler, aber abgesehen von solchen Zufällen mu§ davon ausgegangen werden, dafj alle vom Druck abweichenden Textzeugen keine Variante konkurrierender Fassungen, sondern Stufen eines Entstehungsprozesses sind. Es kann nicht Sinn und Zweck einer historisch-kritischen Ausgabe sein, Detailfehler zu beseitigen oder womöglich den dichterischen Entscheidungsprozeh rückgängig zu machen. Und wenn sie bei Fontane ein jedes Schrittchen dieses Prozesses, mittels eines Apparates festhalten wollte, würde dieser unübersichtlich grofj und kompliziert werden.

Also nochmals: wo liegt der aktuelle Aniah? Spielen hier nicht gewisse Vor­stellungen hinein, wie etwa die, dafj Fontane ein zu grober Dichter sei, um bei der Vergabe historisch-kritischer Ausgaben leer auszugehen? Weil es aber eigentlich keine Varianten konkurrierender Fassungen gibt, so hat sich das Interesse auf die Arbeitshandschriften konzentriert, die jedoch keineswegs geeignet sind, die wenigen Unsicherheiten der vorhandenen Ausgaben besei­tigen zu helfen. Es scheint, als suche man ein Ziel und eine Aufgabe, um die Arbeitshandschriften endlich irgendwie auszuwerten, ohne erst einmal gründlich überlegt zu haben, wozu sie wirklich gut sein könnten. Sind sie nur Kuriosa, haben sie nur Autogrammwert, oder haben sie doch eine eigene Funktion?

Vor den drei vorliegenden Vorstöben in diese Richtung betont Behrends Studie die Möglichkeit, Rätsel der Interpretation generativ zu lösen 1 , Seiffert stellt überhaupt keine derartigen Fragen, vielleicht weil er sich auf die Methoden der Herausgabe im allgemeinen beschränkt 2 . In der gerade erschienenen Studie des Montinari-Schülers Domenico Mugnolo 3 , wird dieser Vergleichswert so beschrieben, als sei er die eigentliche, Fontanesche Stilschule; man könne ver­folgen, wie der Dichter seine Formulierungen gesucht und gefunden habe. Obwohl dies kaum zu bestreiten ist, drängt sich die Frage auf, ob dies ein erschöpfendes oder befriedigendes Ziel ist. Wäre es zu diesem Zweck wün­schenswert, Fontanes Gesamtwerk auf diese indirekte Weise, d. h. durch diplo­matische Wiedergabe im Apparat durchzuziehen? Kann man überhaupt mit einem Apparat das wiedergeben, was so komplizierte Gebilde wie die oben beschriebenen Blätter der Arbeitshandschriften zu bieten haben?

Im epischen Film der Entstehungsgeschichte ist der Nachvollzug Fontanescher Stilfindung bestenfalls eine Momentaufnahme und wiegt wenig im Vergleich

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