rungen auf den Vorderseiten der ersten Phase weisen Schriftbilder auf, die dem Urtext so unähnlich sind, daß ein „restitutio in integrum" nicht unmöglich wäre. Übrigens druckte Petersen nur wenige Rückseiten aus den verschollenen ersten zwanzig Kapiteln ab, so daß wir wohl annehmen dürfen, daß wenigstens die interessantere Hälfte der Handschrift erhalten wurde.
Die Angriffe auf Petersen aufgrund seiner konservativen Gesinnung scheinen mir aber danebengegriffen. Seine nicht belegte These eines ursprünglichen Bildungsromans um die Gestalt Woldemar läßt sich einerseits durch seine philologische Voreingenommenheit, andererseits durch seine Unkenntnis der Tatsache erklären, dafj die allererste Stufe bei der Aufarbeitung des ursprünglichen Stoffes aus dem Leben ein Briefromankonzept war, und zwar mit dem Titel „Eleonore" aus dem Jahre 1880 7 . Natürlich ist nicht ganz auszuschließen, dafj ihn seine Gesinnung unbewufjt in eine falsche Richtung gedrängt hat. Was er jedoch beweisen wollte, hat er bewiesen: dafj die christsoziale Gesprächsthematik deswegen kaum in die Handlung eingreift, weil sie erst nach der Niederschrift aufgearbeitet wurde. Ich konnte ihn nun insofern widerlegen, als die Nebenhandlung mit der kleinen Agnes mitsamt der dadurch ausgelösten späten Entfremdung zwischen Dubslav und seiner Schwester Adelheid zu der ersten Niederschrift gehören und relativ wenig nachgebessert wurden. Damit wäre bewiesen, dafj, wenn nicht der Buchstabe, so wenigstens doch der Geist der christsozialen Bewegung diese bedeutende Nebenhandlung schon im Urstechlin bestimmt hat. Und als Beispiel dafür, wie wichtig es sein kann, die Details selbst der Zettel zu registrieren, kann ich hinzufügen, dafj Fontane den Pastor Lorenz von vornherein als Gegner des Hofpredigers Stoecker konzipiert hatte: die Bemerkung des Herrn von Blecherhahn im 43. Kapitel, die den Pastor in die Nähe des Stoecker-Gegners Göhre rückt, steht auf einem kleinen, aus einem Erstphaseblatt herausgeschittenen Zettel. Sein Name ist auch sichtbar mit den Buchstaben „en" ergänzt worden, wie auch sonst auf allen Erstephaseblättern, die als Vorderseiten übernommen sind.
Wie sieht denn jenes Schriftbild der ersten Phase aus? Es rührt von einem Federkiel, aber nicht alle Federkielschriftbilder sind gleich. Dieses unterscheidet sich von den anderen durch die Höhe der Buchstaben — sie sind mittelgroß und auffallend gleichmäßig —, und durch die Intensität — überhaupt das schwächste aller Federkielschriftbilder —, weil der Dichter sich ungewöhnlich viel Zeit nahm, bzw. Wörter niederschrieb, ehe er die beinah trockene Feder wieder in die Tinte tunkte. Dies führte dazu — mirabile dictu —, daß man Erstephaseblätter praktisch auf den ersten Blick erkennen kann. Sofern dieses Schriftbild auf Vorderseiten erscheint, ist es wenigstens teilweise, manchmal sehr stark geändert worden zwischen den Zeilen oder durch Überschreiben.
Wie ist dieses Schriftbild denn so gleichmäßig geraten, so leicht von späteren zu unterscheiden? Warum zwang Fontane seinen Federkiel bei der ersten Niederschrift immer weiter zu schreiben, als die Tinte auszugehen drohte? Nächstliegende Antworten gibt sein Terminus „Psychographie".
Probleme bei der Definition dieses Terminus dürfte es eigentlich nicht geben, aber die gibt es trotzdem, denn es bedeutet anderes, als mancher bisher angenommen hat. Reuter hat ihn als „Seelenzeichnung" ausgelegt, und andere, u. a.
521