Nachdem Fontanes Besonderheiten und unsere Zielvorstellungen berücksichtigt sind, können die technischen Modalitäten überzeugender bestimmt werden. Schon Fritz Behrend schickte seinem 1924er Privatdruck folgendes „technisches Beiwort" voraus:
Bei vorliegendem Druck kam es darauf an, zu zeigen, wie ein verworrenes Manuskript typographisch dargestellt werden könne. Zur Lösung dieses Problems, an das einige Privatdruckereien sich nicht herangewagt hatten, ist die Reichsdruckerei behilflich gewesen und legt ein Ergebnis vor, von dem wir hoffen, daß es künftigen wissenschaftlichen Aufgaben ähnlicher Art als Muster dienen wird. 10 Danach vergingen beinah vierzig Jahre, bis Hans Werner Seiffert seine Einwände samt eines Alternativkonzepts veröffentlichte.
[Behrends] als „Rohdruck" gebotene(r) Text [wird] lesbar, vermag aber den handschriftlichen Befund noch immer nicht exakt widerzuspiegeln. Insbesondere wird der Einblick in die eigentliche Gestaltung durch das „Nacheinander" der Darstellung verwehrt, so daß leicht Fehlbeurteilungen unterlaufen können. [.,. Behrends Versuch] läßt erkennen, daß es nicht möglich ist, durch typographische Mittel allein Schichtungen darzustellen, Es gehört die Übersicht dazu, wie sie durch das synoptische Verfahren verwirklicht wird. 11
Daher bietet Seiffert eine Kombination aus diplomatischen und synoptischen Verfahren an. Daß aber auch dieses Angebot nicht angenommen wurde, wird — ähnlich Behrends Erfahrungen — an der mangelnden. Bereitschaft der Druckereien, den dazu nötigen Aufwand und die erforderlichen Qualitätsgarantien aufzubringen, wenn nicht bereits an der Geldfrage gelegen haben. Inzwischen haben moderne elektronische Verfahren, die mehrere Tipparten relativ leicht handhaben lassen, es Mugnolo ermöglicht, diese praktischen Probleme wenigstens teilweise zu lösen, — allerdings ohne Seifferts Übersichtlichkeitsgrad zu erreichen, weil er ausschließlich diplomatisch verfährt.
In mancher Hinsicht fallen Seifferts und Mugnolos Konzepte sogar ärmer aus als Behrends. Das zeigt sich schon daran, daß Seiffert nur eine einzige Seite zur Illustration anführt, während Behrend das ganze 27. Kapitel von Effi Briest aufgearbeitet und darüberhinaus die Textinterpretation und -kritik mit berücksichtigt hat. Überhaupt reduziert Seiffert das ganze Problem auf das reih Technische und klammert somit sämtliche weiterreichende Fragestellungen von vornherein aus. Behrend interessierte sich vor allem für die Entstehungsgeschichte und für die erste Werkniederschrift wegen inhaltlicher Abweichungen vom fertigen Text, während Seiffert die Druckfassung betont, die erste Niederschrift nicht erst sucht, sondern den Urtext des einzelnen Blattes samt Zwischenstufen als Varianten behandelt. Konkret wirkt sich das Verfahren so aus, daß Seiffert nur vier Schriftbilder unterscheidet, während Behrend noch sieben kannte, die freilich nicht alle auf jedem Blatt Vorkommen. Auch Mugnolos Arbeit weist eine myopische Perspektive auf, die nicht über Stilfragen hinausgeht, aber das mag dadurch bedingt sein, daß er die Arbeitshandschriften zu drei Romanen herangezogen hat, von denen nur wenige Kapitel vorhanden sind 12 .
Alle drei Druckkonzepte wollten das Ziel der Leserfreundlichkeit im Auge behalten, aber damit wird am eigentlichen Zielpublikum vorbeigeschossen. Wer sich für die Arbeitshandschriften interessiert, ist Literaturwissenschaftler
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