Heft 
(1987) 43
Seite
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und läßt einen Vermittler zwischen sich und dem Original ungern einschalten. Ob durch diplomatisches oder synoptisches oder kombiniertes Verfahren wür­den Jahrzehnte notwendig sein, um das Material vollständig zu präsentieren. Das diplomatische Konzept wäre etwas schneller zu verwirklichen als das synoptische, würde aber einen Apparat von einem solch komplizierten Umfang produzieren, daß der Interpret gezwungen würde, seine eigenen Synopsen danach anzufertigen. So oder so geht der unmittelbare Eindruck verloren. Beim direkten Studium dagegen kann man diesen sofort mit dem Auge er­fassen, während sich die Gedanken auf den Gang der Textentwicklung kon­zentrieren können. Faksimileexemplare könnten in wenigen Jahren angefertigt werden und würden Fehler seitens der Herausgeber automatisch ausschließen. Warum also die Pferdekutsche in Handarbeit bauen lassen, wenn es schon roboterproduzierte Autos gibt?

Dank der heutigen Fotokopiertechnik sieht sich die Philologie in der Lage, eine Faksimileausgabe zu erschwinglichen Preisen und in relativ kurzer Zeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Um möglichst viel Detail auf den halben Folioblättern wiederzugeben, sollte das Format DIN A 3 betragen, aber DIN A 4 wäre noch denkbar. Zettelvorder- und -rückseiten sind zu be­rücksichtigen, wie auch durch Zettel verdeckte Textseitenteile; aber wir sind nicht daran gebunden, rechts Text-, links Rückseiten abzubilden. Das ist immerhin eine Sparversion, die manche Archive sich leisten, um Forschern und Originalen Strapazen zu ersparen. Jedenfalls müßte dafür gesorgt wer­den, daß die Arbeit nicht durch ahnungslose Arbeitskräfte ausgeführt wird, denn der Nur-Techniker würde versuchen, ein gleichmäßiges Schriftbild her­zustellen genau das, was unbedingt zu vermeiden ist.

Die Vorderseiten sollten nur rechts abgedruckt werden, während die Rück­seiten alle dem entsprechenden Kapitel bzw. Kapitelgruppe zugeordnet und mit einem Standortvermerk versehen werden könnten. Damit würde auf den linken Seiten Platz für textfremde Zettelrückseiten und bedeckte Stellen, wie auch für die Entzifferung von Randbemerkungen, usw. frei. Zettelrückseiten sollten genauso wie ganze Rückseiten behandelt werden, zumal sich einige wie Puzzleteile wieder zusammenfügen lassen. Bei bestimmten Werken z. B. Schach von Wuthenow müssen Rückseiten aus den Arbeitshandschriften und Konzepten anderer Werke herübergenommen werden: in dieser Hinsicht ist Der Stechlin eine große, selbständige Ausnahme.

Wenn man aber alle Textzeugen der ersten Niederschrift zusammenfaßte, so drängt sich die Frage auf, ob die heutige Technik in der Lage wäre, den Urtext auf den oft stark korrigierten Vorderseiten rein mechanisch abzuheben. Da­durch würde es möglich sein, denUrstechlin" weitgehend zu rekonstruieren, ja, ihm sogar eine Druckfassung zu geben. Die Korrekturen lassen sich ja als eine Art Fälschung betrachten, zu deren Erkennung es in der Kunstgeschichte und Kriminalistik bewährte Methoden gibt. Es fragt sich nur, wieviel Zeit beim heutigen Stand der Technik dafür nötig wäre. Sicherlich wären auch weitere Verfeinerungen denkbar und wünschenswert, aber hiermit möchte ich das Plädoyer abschließen, denn es ist, glaube ich, klargeworden, daß dem eigentlichen Publikum, der Forschung, nur und am besten durch Faksimile­herausgabe gedient werden kann.

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