Heft 
(1987) 43
Seite
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Eda Sagarra (Dublin)

Symbolik der Revolution im RomanDer Stechlin"

Als Jakob Burckhardt nach dem 1870/71er Krieg seine Basler Vorlesungen über die französische Revolution wiederaufnahm, eröffnete er sie mit den Worten:Zum Namen dieses Kurses ist zu bemerken, daß eigentlich alles bis auf unsere Tage im Grunde lauter Revolutionszeitalter ist." 1 Wenn man Fontanes Wort über den Stechlin als Zeitroman in dem, wie ich meine, von ihm verstandenen Sitnn als Rückblick und Abrechnung mit den vergangenen Jahrzehnten seit dem revolutionären Einschnitt von 1848 nach­vollzieht und die Bilder dieses Zeitromans untersucht, so stellt man eine solche Fülle von Hinweisen auf die Revolution und dasRevolutionäre" fest, daß man berechtigt ist, hier von einem Leitmotiv zu sprechen. Man ginge nicht zu weit, wollte man den Stechlin-Roman als poetisches Gegenstück zur histori­schen Erkenntnis von Fontanes schweizerischem Zeitgenossen sehen. Die Ge­schichte bot Fontane Stoff und poetische Inspiration für seine Dichtung. Und so auch hier.Das Poetische", läßt er seinen Wilibald Schmidt sagen,wächst weit über das Historische hinaus". 2 Nach der Rolle zu urteilen, die die Bilder der Revolution in seinem letzten Roman spielen, hat Fontane in ihr den be­sonderen Charakter seiner Zeit und seines Jahrhunderts erkannt, in der euro­päischen Geschichte schlechthin und ganz besonders in der preußisch-deutschen. Dieses Urteil wird durch die autobiographischen und essayistischen Arbeiten seiner Reife bestätigt, wobei man sich jedoch sagen muß, daß seine Einschät­zung der Revolution über eine Zeitspanne von 50 Jahren stark geschwankt hat. 3 Jedoch wie Pierre-Paul Sagave urteilt:Die Jahrzehnte eines Denk­prozesses und einer inneren Wandlung" haben ihn dann zurErkenntnis von der Notwendigkeit sozialer Umwälzungen" und zu einem klareren Verständnis von der Funktion und Notwendigkeit des eigentlichenRevolutionären" ge führt: Es ist aufschlußreich, daß er nach Abschluß des Stechiin-Romans an die Niederschrift seiner eigenen Revolutionserinnerungen im Band Von Zwanzig bis Dreißig ging, die eine poetische Überhöhung der Geschichte beinhalten. Sagave stellt fest:Die französische Revolution von 1789 mit ihren über Europa sich erstreckenden Folgen, und die aus ihr entstandene, durch das 19. Jahrhundert über 1848 bis zur Pariser Kommune sich hinziehende revolu­tionäre Tradition haben Fontanes Schriftstellerei und Dichtung nachhaltig beeinflußt." 4 ,

Man wird die Revolutionsproblematik im Stechlin unter zweierlei Aspekten verstehen müssen, einmal, wie schon von den namhaften Fontaneinterpreten längst erkannt worden ist, als Hinweis auf die dem Deutschen Reich und der alten preußisch-deutschen Ordnung bevorstehenden Umwälzungen. Zum ande­ren aber darf man, so Fontane, das Revolutionäre im Hinblick auf das im Lauf des vergangenen Menschenalters schon Erreichte verstehen, wie etwa wahrhaft politische Parteien und ein wirkliches politisches Leben" 5 oder die Bewegungsfreiheit des modernen Menschen, ob man von den neuen Bildungs­und Informationswegen, oder den neuen Verkehrsstraßen spricht, und das

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