trotz aller berechtigten Vorbehalte. Gerade für jemanden von Fontanes Generation, der als junger Mensch die erste Eisenbahn bewußt miterlebt hat, mußte der revolutionäre Aspekt der neuen Verkehrsverbindungen augenfällig sein. Melusine deutet im Gespräch mit Baronin Berchtesgaden darauf hin, wie schon vermerkt worden ist; für Woldemar im Gespräch mit ihr ist der abwesende Lorenzen „ein Excelsior, ein Aufsteigemensch" 1 ': Das Bild verbindet Lorenzen, diesen Mann der Zukunft, mit der Eroberung des Luftraums, die das neue Jahrhundert zu bringen verspricht. Im Gespräch mit Dubslav deutet dieser wiederum darauf hin, daß der Mann der technischen Erfindung die Menschen zwingt, die alten Vorstellungen von Heldentum und Eroberung neu zu durchdenken. So hat die „Revolution" im täglichen Leben der Menschen vielleicht mindestens so nachhaltige Konsequenzen, wie die großen politischen Umwälzungen des Jahrhunderts. Im Stechlin-Roman sind die Sinnbilder der Revolution wie auch die Revolutionsthematik in den Erzählerberichten und den Gesprächen über den ganzen Roman hin verstreut. Erst im Zwischenspiel von Erzählerbericht und Figurensage ergibt sich das Bild ganz. „Die Revolution" wird des öfteren zum Hauptthema eines Gesprächs, aber eben so oft wie beiläufig in einem Dialogfetzen erwähnt. Hellsichtige politische Köpfe sprechen von ihr, bornierte Menschen ebenfalls,- auch einfältige oder ausgesprochen dumme Menschen äußern sich zu großen Zeitereignissen, wie beispielsweise die Schmargendorf oder die Thadden-Triglaff. Die Gestalt der Melusine, „Weltdame" und „elementares Wesen" zugleich, vermittelt die revolutionäre Botschaft des Stechlinsees, dem Zentralsymbol des Romans; wie es auch bei ihrem Gesprächspartner Lorenzen der Fall ist, nimmt sie dem Revolutionären viel von seiner Schrecklichkeit. Daß der Stechlinsee als Bild der Revolution zu deuten ist, wird gleich am Anfang — und wieder am Schluß — des Romans nahegelqgt, und somit wird der Horizont eröffnet für ein Verständnis der Metaphorik des Romans. Mitten in der Arbeit schrieb Fontane an Carl Robert Lessing, Inhaber der Voßischen Zeitung: „Um diesen See handelt es sich, trotzdem daß er nur am Anfang und Ende mit etwa fünf Zeilen vorkommt. Er ist das Leitmotiv ." 7 Eine seismographische Bildung führt vom abgelegenen See auf der Mecklenburgischen Seenplatte zur schläfrigen Hauptstadt Portugals, wo einmal jenes schreckliche Erdbeben sich ereignete, das in der deutschen Literatur so lange nachklang , 8 ferner zu den Heißquellen auf Island, zur exotischen Südsee und zum Kolonialland von Java. Die heimliche Verbindung des Sees mit ferner Erschütterung läßt sich in der Gestalt eines roten Hahns erblicken: „Wenn's draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt's hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein". „Lorenzen erklärt ihn außerdem für einen richtigen Revolutionär, der gleich mitrumort, wenn irgendwo was los ist. Und es ist auch wirklich so", meint Dubslav zu seinen Gästen Rex und Czako. Der rote Hahn ist seit Fontanes Jugendzeit auch in Deutschland ein Bild des revolutionären Frankreichs gewesen; er wird im Vormärz zum Sinnbild des von Frankreich ausgehenden revolutionären Umbruchs . 9 Im Stechlin-Roman deutet er auf die Allgegenwart der Revolution in unserer Zeit. Damit verbunden ist die Nixensage: Die Revolution (wie „la France" und „la liberte") wurde schon am Anfang des neuen Jahrhunderts als holde Frau in der Ikonographie dargestellt . 19 Fontane ver-
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