bindet die märkische Sage von der Wassernixe mit ihr und wiederum mit der Gestalt der Melusine, deren mythische Ursprünge, wie Fontane auch früher in anderem Zusammenhang erwähnte, in Südfrankreich, der Heimat der Fontanes, lagen. Die Wassernixe mit der roten Kappe wird sozusagen die autoch- thone Form der personifizierten Weltrevolution, wie der Stechlin „heimatlicher Reflex weltgeschichtlicher Vorgänge ". 11 In diesem abgelegenen Winkel von Preußen-Deutschland, der so scheinbar ruhig unter der Herrschaft des alteingesessenen Adels hinschlummert, kann es einmal und vielleicht auch bald „lesgehen". Die Erneuerung der alten Ordnung auf nicht revolutionäre Weise scheint als Möglichkeit im Sinnbild der kranken Aloe mitgegeben zu sein, die sich alljährlich von der wuchernden Blüte des weißen und roten Wasserlieschs im Kübel vor dem herrschaftlichen Schloß Stechlin verjüngt. In Wahrheit ist dies ein Trugbild, wie auch Dubslav selber schmunzelnd bestätigt, denn bald wird die Aloe vollkommen vom plebejischen Strauch verdrängt werden . 12 Die revolutionäre Botschaft des Stechlinsees läßt sich als Hinweis auf die kommende Revolution des Proletariats deuten und ist vielfach von der Forschung, nicht nur in der Deutschen Demokratischen Republik, so verstanden worden. Rot, die Farbe der Revolution, wird wiederholt im Roman in verschiedenen Kontexten erwähnt, die stets auf Wandel, Herausforderung oder Aufruhr an- spielen. So etwa die roten Ziegeldächer der Globsower Kolonie, die die Adelsgesellschaft vom Stechliner „Turm" sieht,“ oder die roten Strümpfe des Proletarierkindes, lütt Agnes, die Adelheid so heftig erregen; so auch der rote Fetzen an der preußischen Fahne, die rote Krawatte des sozialistisch angehauchten Doktors Moscheies, alles läßt sich mit dem roten Hahn und der roten Kappe der Wassernixe in Verbindung bringen. Nachdrücklich mahnt Dubslav an die Sinnbildlichkeit der kugelförmigen Retorten (Kugel als Weltkugel!) der Glasballons in der Globsower Fabrik. Der universale Bezug — die Glasballons gehen in alle Welt hinaus — wird in der warnenden Bemerkung Dubslavs deutlich, wenn er behauptet, diese „Globsower Riesenbocksbeutelflaschen" hätten etwas „Infernalisches", Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure, ein bloßer Tropfen ihres Inhalts lasse alles „angebrannt und angeätzt". „Und wenn ich dann bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich die Werkzeuge liefern für die große Generalweltanbrennung, ja hören Sie, meine Herren, das gibt mir einen Stich ." 1 ' 1 Seine beiden selbstsicheren wie selbstgefälligen Besucher sehen darum jedoch keineswegs den „politischen Sprengstoff als Gesprächsstoff" (Scherpe) lf ’, sondern analog zu Bothos Bild der Fabrikarbeiter am Gelände in Irrungen, Wirrungen nur eine ländliche Idylle. Ja, Czako, der über die „Bataille" und „Barrikade" und „Feuergefecht" der Fabrikkinder ausgiebig berichtet und es alles als „wirklich scharmant" beschreibt, drückt den Wunsch aus: „Ich gäbe was drum, . .. wenn jetzt der Hahn zu krähen anfinge". 11 ’ Czako ist nicht zufällig der Gesprächspartner Dubslavs in dieser Szene. Am Abend vorher hat dieser naive Zyniker im Gespräch mit Frau Gundermann das nachhaltigste Bild der Revolution im ganzen Roman entworfen. Frau Gundermann gehört durchaus zum Typus jener bürgerlichen Frauen, die am Maitag in Berlin ihre Kinder zu Hause behielten, aus Angst vor dem öffentlichen Fest der Arbeiter . 17 Die unterschwellige Bedrohung der bürgerlichen Welt durch die hungernden besitzlosen Massen wird im scheinbar gemütlichen Bericht Czakos von seinem Gang in die Unterwelt der Pariser Katakomben
Heft
(1987) 43
Seite
536
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