heraufbeschworen. 18 Er sei dort gewesen, erzählt er Frau Gundermann, als er „mal hinkommandiert" worden sei, wohl im Französisch-Preußischen Krieg. Der versteckte Hinweis auf die Pariser Kommune durch den Erzähler wird evident. Die Kommune hat ihren Charakter als Bürgerschreck (ursprünglich bei Fontane auch) besonders in Deutschland lange beibehalten und galt allgemein als lebendiges Sinnbild einer kommenden Weltrevolution. 19 Daß Czako in seiner Anekdote zum sichtlichen Vergnügen seiner Hörerin von den Ratten so viel erzählt, die zu den Pariser Bürgern angeblich in einem Verhältnis von 1:1 stehen, stellt den Zusammenhang mit Deutschland noch einmal her. Wie anderswo in seinem Spätwerk, so auch in diesem Roman, gibt ein Heinegedicht den Schlüssel zur Deutung des symbolischen Bezugs, nämlich das Lied von den Wanderratten. 20
Welcher Art wird diese Revolution sein, unter welchem Zeichen soll man sie sich vorstellen? Rein parteipolitisch wohl kaum, trotz Wahlsiegs des Sozialdemokraten Torgelow, trotz der vielen ernstzunehmenden Hinweise auf die Zukunft des vierten Standes, die von vielen und verschiedentlichen Gestalten im Roman zur Sprache gebracht werden. Unter diesen, neben den großen Gesprächen von Dubslav mit Lorenzen und Melusine wären zu nennen: Etwa Portier Nottebohm mit seiner Mahnung: „Die Bourgeoisie tut nichts für die Menschheit. Und wer nichts für die Menschheit tut, der muß abgeschafft werden" oder Graf Barbys nachdrückliches Wort: „Ob sich der vierte Stand etabliert und stabilisiert, . . . darauf läuft doch in ihrem vernünftigen Kern die ganze Sache hinaus" oder aber auch Dr. Moscheies. 21 Keine Diktatur des Proletariats im üblichen Sinn des Wortes also, doch gewiß ist der Untergang der feudalen Ordnungswelt des preußischen Junkertums in seiner traditionellen wie auch in seiner scheinbar dem modernen Industriestaat angepaßten Form mitverstanden. Dubslav wird des öfteren zum selbsternannten Sprecher des vorauszusehenden Untergangs: „Solange ich hier sitze, solange hält es noch. Aber freilich es kommen andere Tage". 22 In seinem Haus blickt der „Zeitgott mit Hippe" jedem Eintretenden entgegen.
Überhaupt gibt die Beschreibung der Behausung und der unmittelbaren Umgebung Dubslavs durch den Erzähler Auskunft über seinen Stand und sein persönliches Schicksal. Wir sehen ihn zum ersten Mal auf der mit weiß und schwarzen Fliesen gedeckten Veranda, also den preußischen Farben. Über ihm die „große etwas schadhafte Markise .. . gab Schutz gegen die Sonne, deren Lichter durch die schadhaften Stellen hindurchschienen und auf den Fliesen ein Schattenspiel aufführten." Das Schattendasein, das er und sein Kasten führen, ist Dubslav im Gegensatz zu seinen Kollegen durchaus bewußt; hier hat seine Selbstironie ihren Ursprung. So kann er fast vergnügt von der Zeit reden, in der „sie mit uns aufräumen", und von seinen Mitbrüdern sagen, daß sie den „Ast absägen, auf dem sie sitzen", kann das Wort von einem „Kladderadatsch“ mit Gleichmut über sich ergehen lassen, genau wie er heiteren Gemüts den „Kladderadatsch" seiner Wahlniederlage voraussieht. Jener Paragraph, in dem Dubslav dem Leser vorgeführt wird, endet mit der Erwähnung von einer „Fahnenstange", „daran die preußische Flagge wehte, schwarz und weiß, alles schon ziemlich verschlissen". Dubslav läßt seinen Diener nicht daran rühren: „Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch". 23 Trotz der ausdrücklichen Beschreibung des Stechlinschen Schlosses als „Zauberschloß", als „Fata
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