Heft 
(1987) 43
Seite
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leitmotivischen See, den Stechlin, keinen Schatten geworfen? Oder sollten wir überhaupt nichts von dersozialdemokratischen Modernität" im Likedeeler- Stoff 18 ,. die Fontane ganz ungeheuer reizte, im Wesen der Hauptpersonen und in den Gesprächen zwischen ihnen, ganz zu schweigen von einer Reihe von Wahläktionen, imStechlin" Wiederaufleben sehen? Nach diesem Gedankengang scheint es uns geradezu festzustehen, daß das Testamentarische amStech­lin" erst recht anzuerkennen ist, aber auch dafj der Autor mit diesem Werk aufs geschickteste, wenn wir uns vorgreiflich so einen verwegenen Ausdruck erlauben dürfen, seine Lebensbahn hat abschließen können. . .

Jetzt sind wir bei der ersten , und vierten Meinung, die wir anfangs angeführt haben, was aber die vierte, d. h. die Behauptung von einem gescheiterten Bildungsroman, angeht, so wird sie näher und treffender zu betrachten sein, wenn zunächst die erste, nämlich unser Hauptproblem, erörtert wird.

Während der Niederschrift desStechlin" hat Fontane in seinen Briefen wenigstens dreimal dieses Werk einen politischen Roman genannt (an Paul Schlenther, 21. 12. 1895; an Carl Robert Lessing, 8. 6.1896; an Ernst Heilborn, 12. 5.'1897).t° Zwar wird er außerdem bald auch bescheidener als ein mär­kischer Roman bezeichnet, bald, auch weitherziger als ein Zeitroman, aber nichts ist so herausfordernd wie solch ein Beharren des Autors auf jener Formulierung. Denn er schrieb auch:Zum Schluß stirbt ein Alter, und zwei Junge heiraten sich; das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Von Verwicklungen und Lösungen, von Herzenskonflikten oder Konflikten überhaupt, ; von Spannungen und Überraschungen findet sich nichts. Einerseits auf einem-altmodischen märkischen Guß'andrerseits in einem neumodischen gräflichen Hause (Berlin) treffen sich verschiedene Personen und sprechen da Gott und die Welt durch. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte. Natürlich halte, ich dies nicht-nur . für die richtige, sondern sogar für die gebotene Art, einen Zeitroman zu schreiben" (an Adolf -Hoffmann, Mai/Juni 1897). 20 Schon aus dieser mit verhülltem Selbst­bewußtsein ausgerüsteten Äußerung geht hervor,- daß derStechlin" allem Anschein nach ganz anders aufgebaut ist als ein üblicher politischer Roman. Allerdings kommt der Wahlakt vor, in dem. der alte Stechlin auf die Aufforde­rung seiner Standesgenossen für den Reichstag kandidiert und von einem sozialdemokratischen Arbeiter besiegt wird. Aber das stellt sich, wenn wir so sagen dürfen, in der Hauptsache dar in der Gesamtheit der Plaudereien aller beteiligten Personen, wo sich weder ein Kampf um einen politischen Grund­satz noch eine Wiedergabe zeitgenössischer politischer Geschehnisse finden lassen. Der Autor hat hier nämlich weder nach einer sogenannten Tendenz­dichtung noch nach einem ausgedehnten epischen Panorama der politischen Situation seiner Zeit gestrebt. Übrigens hat sich :audn die politische Tätigkeit des alten Fontane selbst lediglich auf die Teilnahme an der Petition gegen die Umsturzvorlage beschränkt, die 1894 im Reichstag eingebracht wurde. Andererseits besteht kein Zweifel daran, daß Fohtane es von 1 Jugend auf immerfort mit der Politik zu tun hatte, gewissermaßen als sei dies- sein schmerzerfülltes Schicksal gewesen, wie es auch dem kürzlich herausgegebenen Buch von Ch. Jolles 21 entnommen werden kann.-Daher ist es gar nicht unberech­tigt, wenn man etwa alle Romane und Erzählungeh des alten Fontane für politisch hält 22 ; vorläufig sei dazu allein anVor dem Stürm" bzw.Schach von

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