laufen oder durch ihre Konflikte umso mehr in neue Situationen geraten, je weiter die Kapitel vorwärtsschreiten. Schon die Alt-Neu-Thematik des Romans wird auf die eigene Art Fontanes, der auf die menschliche Gesinnung Wert legte und jeder dogmatischen Forderung mit Skepsis gegenüberstehen muhte, in der fontaneschen Relativierung 44 sozusagen nach und nach angehäuft, indem sie sich in den Gesprächen und Plaudereien der Personen hin- und herbewegt. Dabei wird hier ein meisterhafter Gesprächsstil erreicht, und es wird eine immer das Grundthema von Alt und Neu im Auge behaltende „Assoziationskette" gebildet, wie sie Strech anhand der Tischgespräche im Schloß Stechlin nachweist. 43 Wenn auch andere deskriptive Sätze wohl auf ihre eigene Weise fungieren, so wird doch das Thema, scheinbar auf Umwegen nach Art des Causeurs, im großen und ganzen erweitert und vertieft, worin auch ein Beweis für die an das „Wie" geknüpfte Erwartung des Autors vorliegt. Über solche dichterischen Züge schreibt Hans-Heinrich Reuter mit vollem Recht: „Die Handlung versiegt. An ihre Stelle tritt die .Idee', das Thema. Genauer: das Thema ist die Handlung". 40 In dieser Hinsicht sprechen sich auch Jolles und Müller-Seidel ganz ähnlich aus. 47
Melusine, eine sehr charmante Frauengestalt, die wie ihr Name 48 gewissermaßen nicht im irdischen Rahmen verweilt und durch ihre geistvollen Gespräche mit manchen Personen tief ins Grundthema ein greift, fordert am Schluß des Romans, „es ist nicht nötig, daß die Stechline weiterleben, aber es lebe der Stechlin". 49 Es sind eben die Worte des alten Fontane selbst, gleichsam eiii Resümee der um „eine bessere und eine glücklichere Zeit" scheinbar unendlich geführten „politischen" Gespräche, denn um mit Melusine zu sprechen, lehrt uns gerade dieser „revolutionäre" See „den großen Zusammenhang der Dinge".
Hier, mit diesem entscheidenden Schlußsatz, wird der Stechlin, der See, der vom Anfang an gelegentlich als Symbol gewirkt hat, wieder als solches aufs höchste lebendig. Wie oben in bezug auf den Likedeeler-Plan erwähnt, ist hier ferner auch Gelegenheit dazu gegeben, die Eigenschaften dieses Werkes, kurzum, „die Kunstreize, die weit über allen bürgerlichen Realismus hinaus liegen" (Th. Mann), klar und deutlich hervortreten zu sehen.
Übrigens denken wir bei dem Namen Thomas Mann an eine geistesgeschichtlich tiefsinnige Bemerkung 50 , die in Beziehung auf solch einen Schluß des Romans von Ch. Jolles gemacht wurde. Sie hat nämlich den „Stechlin" und den „-Zauberberg", in denen das Ende eines Epos dargestellt wird, miteinander verglichen und darauf aufmerksam gemacht, daß der „Zauberberg", der 26 Jahre nach Fontanes Roman erschien, mit einem verhängnisvollen Fragezeichen’ 1 schließen muß, während jener noch mit dem Imperativ, wie es wenigstens Melusines Worte zeigen, enden kann, was freilich ein anderes Mal noch genauer geprüft werden soll.
Jetzt sind wir davon überzeugt, daß in unserem Roman die Sprache, namentlich die, die von den Personen gesprochen wird, eine wichtige Rolle übernimmt, so daß ihn Hans-Heinrich Reuter nicht zu Unrecht einen „Roman der Sprache" 5 * nennt, und sind nicht weniger überzcuot. daß Fontane, bei all seinen Vorbehalten und Relativierungen, die vor allem von einer derartigen Funktion der Sprache herrühren, in der Einsicht in die preußisch-deutseko Wirklichkeit keineswegs einem Eskapismus nachgegeben hat. Sonst gäbe es Mein
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