sines letzte Ansprache nicht. Aber wenn der Weg zur inneren Überwindung der preußischen Widersprüche am Ende allein in der Richtung dieser Ansprache zu suchen ist und dazu noch die Junker, die eine Art Personifizierung dieser Widersprüche der. Zeit sind, als Hauptpersonen auftreten müssen, so hören wir darin auch die Resignation mitklingen, die der Autor mit dem Helden teilte, und die durchaus nicht von schwacher Natur ist; verflicht sie sich doch eng mit dem Humor des alten Fontane, dem wir mit Preisendanz eine „verklärende Macht" 53 Zutrauen.
Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß einige Schwächen geblieben sind, wie etwa die ungenügende Erkenntnis der christlich-sozialen Bewegung, die schattenhafte Gestaltung der zum vierten Stand gehörenden Personen und der Mangel an Zukunftsperspektiven in Woldemar und Armgart, die zuletzt an den Stechlin zurückkehren. Waren diese Schwächen vielleicht von einem mitten in der Zeitgeschichte Lebenden schwer zu überwinden? Wie dem auch sei, schaut Lorenzen doch mehr zur Lebensweise von Joao de Deus empor als zu der von Stöcker, mit dessen Bewegung er sympathisiert.
Um zum Schluß die Schaffensweise zu streifen, deren sich Fontane im „Stechlin" bediente: Außer dem Humor, auf dessen positive Funktion wir oben einen flüchtigen Blick geworfen haben, können wir noch die Ironie, Musikalität, Zitatentechnik 54 usw. benennen, die zusammen diesem letzten großen Werk dazu verhelfen, einen höheren dialektischen Aspekt zu erlangen und dadurch die neue Zeit vorwegzunehmen. Erst mittels dieser formenreichen, verfeinerten Erzählkünste sind wir imstande, uns sogar andere Tage nach dem Tode des alten Stechlin vorzustellen.
In dem Sinne darf man sagen, das ganze Werk habe sozusagen zu einer Symphonie der höheren dichterischen Methoden werden können. Daher kommt es sicher, daß es uns etwas wie das großartige Wogen der menschlichen Elemente, das von keinen Kunstgriffen mehr abhängig scheint, und die wirklichen Reize der Sprachkunst fühlen läßt. Unseres Erachtens hat Thomas Mann eben deshalb unseren Roman mit dem Adjektiv „sublim" beschenkt 55 , weil er darin eine Art wunderbare Harmonie von Inhalt und Form wahrnehmen konnte. Wir wollen uns ihm in dieser Hinsicht anschließen und in diesem Meisterwerk, mit dem der Neunundsiebzigjährige nach Müller-Seidel „eine Verjüngung der Romanform in Deutschland"* eingeleitet hat, eine Höchstleistung des Gesellschaftsromans des ausgehenden 19. Jahrhunderts sehen, die wohl den Rahmen der hergebrachten realistischen Erzählungen gesprengt hat und, wenn sie insofern unter Umständen einen Endpunkt darstellen könnte, doch ohne Zweifel auch den Atem der neuen Zeit ahnen läßt.
Anmerkungen
1 Petersen, Julius: Fontanes Altersroman. — In: Euphorion, Bd. 29, Heftl/2, 1928, S. 1—75.
2 Wandrey, Conrad: Theodor Fontane. München 1919. S. 294—311.
3 Ibid. S. 300.
4 Mann, Thomas: Anzeige eines Fontane-Buches. — In: Gesammelte Werke, Bd. 11. Berlin 1956. S. 559-570.
5 Ibid. S. 568.
6 Demetz, Peter: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. München 1964. S. 179.
7 Ibid. S. 183.
551