Heft 
(1987) 43
Seite
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Familiennamen seines Lieblingsdichters etwas komisch gefunden und erinnerte sich jetzt, fast ein halbes Jahrhundert später, wieder an sein damaliges Schmunzeln? Namen hatten es ihm ja immer schon bei seiner Neigung zu Wortspielen besonders angetan, und einen Zug ins Komische, literarisch nicht ganz Akzeptable was Lenau selbst empfunden haben muß, als er sich zu seinem Pseudonym entschloß hat der Name ja denn auch. Daß der Name Lenes außerdem nur ein angenommener ist, nämlich der ihrer Adoptiveltern, kompliziert die Situation noch weiter. Wie sie wirklich heißt, wissen wir nicht, womit sich bekanntlich die Tore in die Märchenwelt öffnen und eine daraus entstammendePrinzessin motivisch ins Spiel bringen. Aber ebenso im Dun­kel bleibt der Sinn der Anspielung auf den österreichischen zwar aus einer alten preußischen Adelsfamilie stammenden Dichter mit dem etwas ponde- rösen Namen Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau, doch niemand hat bisher den Umstand als solchen bestritten, ohne ihm aber deswegen, soviel ich sehe, des näheren nachzugehen. Reuter hatte darin noch eine geheime Huldigung an den Lieblingsdichter des jungen Fontane gesehen, was Frederick Betz in seinen Erläuterungen zu Irrungen, Wirrungen übernommen hat. 1 Das wäre aber doch eine sonderbar angebrachte Huldigung, als ob Fontane, wenn schon gehuldigt sein sollte, dafür nicht einen geeigneteren Namensträger hätte finden können als dieses so wenig sentimentale Mädchen aus dem Berliner Volk. Wäre dafür zum Beispiel Franziska Franz nicht geeigneter gewesen? Warum aber mußte es unbedingt eine Frau sein, wenn hier von einem Mann einem Manne gehuldigt werden sollte? War sie etwa dafür ausersehen, ihm in seinem Namen gleichsam hinter dem Rücken des lesenden Publikums ein Bukett zu überreichen? Es wirkt so sonderbarunfontanesch". So begnügt sich denn auch die Hanser-Ausgabe in ihren Anmerkungen mit dem bloßen Hin­weis auf Lenaus Familiennamen und überläßt es dem Leser, sich darauf einen Reim zu bilden, während die Aufbau-Ausgabe weise genug ist, die Anspielung auf sich beruhen zu lassen.

Wie nahe Lenau Lenes Dichter auch im Alter noch war, geht schon daraus hervor, daß er in dem dem ihren unmittelbar vorausgehenden Grafen Petöfy dessen Lyrik so etwas wie einen inneren Leitfaden spielen ließ. Natürlich paßte ein in Österreich empfundener Dichter eher in einen Wiener als in einen Berliner Rahmen. Dem ist letztlich wieder Lieselotte Voss in ihrer kenntnis­reichen, wenn auch etwas beklemmenden Untersuchung Literarische Trans­figuration dargestellter Wirklichkeit bei Fontane (München 1985) nachgegan­gen beklemmend deswegen, meine ich, weil Fontane hier so überzeugend auf weite Strecken hin auf literarische Vorformen, die zum Klischee werden, und damit auf die literarische Tradition festgelegt wird, daß von dem Rea­listen kaum mehr als ein Detailmaler übrigbleibt. Warum Fontane aber in diesem Roman und anderwärts ausgerechnet Lenau bemüht hat, erklärt sie damit, daß er auf diese Weise denRückbezug" auf die in seinerJugend aktuellen Befreiungskämpfe" habe herstellen wollen und speziell in Irrungen, Wirrungendamit auf das Prinzip der Freiheit überhaupt, im Gegenprinzip zu dem von Baron Botho vertretenen Prinzip der Ordnung" (S. 4 und 171) hingewiesen habe. Das aber hat nun gleich zwei Haken: einmal nämlich war Lenau überhaupt kein Freiheitsdichter die Beziehung zu dem wirklichen ungarischen Freiheitsdichter bleibt nebulös und wenn Fontane ihn auch

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