Heft 
(1987) 43
Seite
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die ebenfalls erste zweibändige Biographie von Anton X. Schurz, dem Schwager des Dichters, die, wie deren Autor versicherte,großenteils aus des Dichters eigenen Briefen" erarbeitet worden war, diese Jugendbriefe wieder in Erinne­rung bringen auch wenn er zu dem Zeitpunkt selbst noch in London war: gekannt hat er sie sicher.

In diesen Briefen zog der damalige Medizinstudent in Wien seinen Freund ins Vertrauen. Unter dem 8. Dezember 1823 findet sich der folgende Brief des damals einundzwanzigjährigen Lenau:Freund! ich liebe! einem armen, vaterlosen (!) verlaßnen Mädchen, von 15 Jahren, ohne eigentliche Bildung, aber mit Anlagen, die sie der schönsten Bildung fähig machen, schenkte ich mein Herz, mit dem feststehenden Entschlüsse, es nicht wieder zurückzuneh­men, wenn sie es in in der Folge so zu schätzen weiß wie jetzt. Ihre Gestalt ist sehr anziehend, ihr Grundzug des Charakters tiefes Gefühl, Hang zu lie­benswürdiger Schwärmerei, angeborener Sinn fürs Schöne und Schickliche. Bei des Mädchens großer Anhänglichkeit zu mir läßt sich erwarten, daß sich ihr ganzes Wesen dem meinigen anpassen werde und daß ich einst schöne Tage an ihrer Seite verlebe." 2 Das ist eigentlich bereits der ganze Lenau in nuce. Die schönen, von ihm erhofften Tage waren ihm freilich nicht beschie- den und das rundet das Bild erst erst denn er mußte schon bald ent­decken, daß es mit demSchicklichen" bei dem jungen Mädchen wie ihrer Mutter nicht zum besten bestellt war, so daß er am Ende nicht wußte, ob das Kind, das ihm da in die Wiege gelegt war, dieserillegitime Sprößling", wie Fontane sich rund zehn Jahre später ausdrücken wird, wenn er sich in einer ähnlichen Lage befindet, wirklich auch sein eigenes war. Es ist eine alte Geschichte, doch ist sie auch immer wieder neu. Und auch Fontane hat sie er­lebt, wie schon angedeutet, jedoch gleichsam in zwei Schüben, in zwei sehr verschiedenen Erlebnissen, von denen man jedoch sagen kann, daß das eine die fast notwendige Folge des anderen gewesen ist.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst kurz, was sich zwischen ihm und Minna abgespielt hat und wie es sich in seinen Versen widerspiegelt. Wir werden hier von einer Sommerliebe aus dem Jahre 1838 und vielleicht auch schon aus dem voraufgehenden Sommer sprechen dürfen, denn Fontane war damals noch in der Schule in Berlin. Was er da in Heringsdorf mit Minna erlebt hat, hat er dem Freund Lepel in lebhaften Farben ausgemalt, als dieser sich im Sommer 1851 dorb mit seiner Familie in einer Villa aufhielt, die ihm nur zu bekannt war. Am 21. August dieses Jahres schrieb er ihm in Antwort auf einen Brief des Freundes:Das Haus, das Du in Heringsdorf bewohnst, kenn' ich ganz genau; in dem großen Vorderzimmer hab' ich als 15jähriger Faulpelz oft bewundernd gestanden, wenn Eduard Devrient und seine Wirthin, die dazumal bildschöne Commercien-Räthin Krause am Klavier spielten, san­gen und deklamirten. Draußen aber, nach dem Walde zu, war es noch schöner: da lief ich stundenlang dem schönen Backfisch der schönen Frau nach, und hatte Herzschmerzen, wenn ich die Gemüthsruhe der jungen Dreizehnjährigen sah, die saure Kirschen und aus der Speisekammer gestohlne Backpflaumen, während ganz andres Verlangen mir die Kehle zuschnürte. Auch das nicht allzuberühmte Gedicht ,Die Strandbuche'" aus dem Jahre 1839, das Fontane noch am 5. Mai 1844 im Tunnel vorgelesen hattehat seine .lokale Fär­bung' dem Dünenhügel entlehnt, den Du jetzt bewohnst." 3 Zu dem Erlebnis

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